Herta Müller trotzt der Verehrung

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Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hält die 3. Leipziger Poetikvorlesung, eine Gemeinschaftsveranstaltung des Deutschen Literaturinstituts (DLL) und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.

Da legt der Leipziger doch das Reformationsbrötchen zur Seite und schlendert zum Alten Rathaus, wo schon eine Stunde vor Beginn am Samstag mehr Menschen vor den Türen warten, als der Festsaal Sitzplätze bietet. Das atmet die Atmosphäre bester DDR-Tradition, Lesungen widerspenstiger Autoren zum Anlass für Selbstvergewisserung zu nehmen; der Resignation zu widerstehen für einen Moment der Gemeinsamkeit.

Nun ist das Querköpfige der Herta Müller überstrahlt vom Glanz des Literaturnobelpreises, der also ins rumänisches Banat ging und nach Berlin und nach Deutschland und warum nicht auch nach Österreich, spielt doch das k.u.k.-Deutsch ebenso in Syntax und Magie der Sprache Müllers, die einen „stummen Irrlauf im Kopf“ auszulösen vermag, so wie ihn die 56-Jährige an der Literatur Anderer schätzt, „wenn ich mich geniere über einen Satz oder einen Text oder eine Zeile zu reden, weil ich es nicht schaffe. Weil darin etwas ist, was sich anders denkt als in Worten.“ Das ist fast so, sagt sie, als würde sie es vor Bewunderung nicht mehr aushalten.

Die Ambivalenz dieser Autorin ist eine Herausforderung. Der Saal wäre nur halb so voll ohne den Lorbeer. Im Frühjahr eingeladen, nach Ingo Schulze und Uwe Tellkamp diese 3. Poetikvorlesung zu halten, kam sie nun – nur – zu einem Gespräch mit DLL-Professor Michael Lentz. Dessen Kollege Josef Haslinger erklärt es so: „Jemanden, der bis in die letzten Winkel des Landes mit Fotoapparaten, Filmkameras, Mikrofonen und Anrufen verfolgt wird, sollte man nicht zusätzlich noch mit der Frage quälen, ob der Vortrag schon fertig ist. Was Herta Müller heute über ihr Schreiben sagt, sagt sie zu uns, und sie sagt es auch für uns.“

Rasch weicht die Enttäuschung über die ausbleibende Analyse ihrer „Schreibweisen der Gegenwart“, denn Lentz’ Fragen ermöglichen eine sehr persönliche Begegnung mit eben jener zwiespältigen Autorin, deren Themen alle Leichtigkeit verwehren, deren Poetik aber einen Sog entwickelt. Im Mittelpunkt des Gesprächs steht das Wie, wie man über die Erfahrungen mit dem totalitären Regime Ceausescus sprechen kann, ohne sich zum sprachlichen Komplizen der Auslöschung zu machen. „Die Tatsachen hätten, als sie geschahen, die Wörter, mit denen man sie später aufschreibt, gar nicht ertragen“, hat sie mal gesagt. Nun mit dem Satz konfrontiert, erwidert sie: „Ja.“

Es ist nicht leicht, ihr Geständnisse zu entlocken. Eher wird es zum Ringen mit ihrer Bescheidenheit. Freund und Kollege Lentz gelingt die Annäherung. Seine (erste) Frage „Warum schreiben?“, stelle man sich eigentlich nur, wenn man schon damit angefangen hat. Und dann sei es zu spät. Schreiben, das sagt sie dann doch, sei der Schlüssel, der in die Tage hineinpasst. Der in jene Tage passte, zu denen die Securitate sich mit dem Brecheisen Zutritt verschaffte, in jene Zeit, als „man auf irgendeine fatale Weise doch sehr naiv“ war, als die „verflucht ideologische Sprache“ körperlichen Ekel bereitete, als sie dem im Fiktionalen begegnete mit ihrem ersten Buch „Niederungen“. Bewusstmachung als Schutz, „eingekleidet in Selbstbeobachtung“.
Wie oft mag sie das in den vergangenen Wochen geantwortet haben auf Fragen der von der Nobelpreis-Entscheidung Überraschten. Immer wieder herausgefordert von den Mutmaßungen einer politischen Ambition der Schwedischen Akademie, die gewiss nicht von der Hand zu weisen ist, die aber bei dieser Entscheidung der literarischen Qualität nachsteht, über die so schwer zu befinden ist, weil das Erzählte die Seele angreift, weil die Bedrückung das Schwelgen in der Form unmöglich zu machen scheint.

Dass das nicht ganz stimmt, beweist Müller an diesem Abend. Sie erklärt sich nicht, sie erzählt. Spricht über die Allmacht des Geheimdienstes, über ihre Suizidgedanken. Wenn aber der Selbstmord eine Genugtuung des Geheimdienst wäre, „dann ist er dir innerlich verboten. Das wäre ja der größter Opportunismus gewesen.“ Sie habe nicht tot sein wollen, nur das Leben nicht mehr ertragen können. „Wenn ich schon aus dem Weg geräumt werden soll, dann sollen die das doch gefälligst selbst tun.“ Immer wieder fällt der Satz „So war das.“ Und immer wieder findet Lentz die Verbindung zum Schreiben – zum Worthunger der Dichterin, zur Bilderwucht ihrer Bücher, die sich schon in den Titeln zeigt: „Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt“, „Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne“, „Der König verneigt sich und tötet“, schließlich „Atemschaukel“.

Diesen, ihren jüngsten Roman, hat sie gemeinsam mit Oskar Pastior konzipiert. Nachdem der ebenfalls rumäniendeutsche Lyriker 2006 starb, hat sie dessen Notizen, Erfahrungen der Deportation ins ukrainische Arbeitslager zu einem Roman gefügt, in eine Handlung gebracht, hat Personen erfunden und die Textteile mit Gelenken verbunden, hat seine Wortschöpfungen bewahrt, fehlende Adjektive in seinen Gedichten gefunden. „Man sieht ja nur das, was man weiß“. Sie habe an seinem Wissen entlang geschrieben und auch an ihm entlang imaginiert Selbstlos ist dieses Verfahren, nobel ist, wie sie darüber spricht.

Sich selbst gesteht sie weniger zu. Die magische Qualität der Wörter in ihrem Schreibverfahren der Metamorphose? „Irgendetwas haben sie schon, sonst würden sie einen ja in Ruhe lassen. Und wir sie.“ Lakonisch trotzt sie der Verehrung. Ihr ist der Rhythmus ihrer Texte wichtig, weshalb sie laut liest. „Ich muss es gesehen und ich muss es gehört haben. Wenn es sich gut ausschaut und gut anhört, dann ist es einigermaßen in Ordnung.“ Kommt dazu der „stumme Irrlauf im Kopf“, dann ist es ein Herta-Müller-Text, wie er im Buche steht. In zahlreichen Büchern, die sie in Leipzig geduldig signiert, zwar nur eines pro Kopf, aber mit einem aufmerksamen Augenblick für jeden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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