Kluge Köpfe a.D.

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Das wird ja manchmal vergessen: dass aus Leipzig nicht nur die Prinzen kommen und Verkehrsminister Tiefensee, sondern dass hier vor 20 Jahren das passierte, was wir heute nicht mehr Wende nennen wollen (von Egon Krenz in die Welt gesetzt) und auch nicht Mauerfall (weil die Wand nicht umfiel, sondern eingerissen wurde mit so vielen Hämmerchen). Von friedlicher Revolution zu sprechen, ist auch in Maßen schwierig, wenn sie in solch gesellschafts-politische Demenz mündet wie dieses, nun, nennen wir es: das große Andersrum.
Das große Andersrum also nahm in Leipzig seinen Anfang, was weder Zufall ist noch Strategie, sondern einem Menschenschlag geschuldet, der die einzige Weltstadt der DDR bewohnbar machte, wie es heute kaum noch einer kann. Roland M. Schernikau, der das Land mehr liebte, als es Einheimischen noch schicklich erschien, wäre 1989 gern hierher gezogen. Er, der letzte Kommunist, musste aber nach Ostberlin übersiedeln, um seinen Westberliner Freund öfter sehen zu können. Geld spielt eine Rolle.
Leipzig aber war Kultur in jeder Hinsicht. Hier gab es die Verlage, hier gab es die Kabaretts, hier gab Theater, Kunst und Untergrundkreativität - mehr und besser als irgendwo. Hier hat sich die Welt im Kopf getroffen und im Herzen. Nur deshalb konnte sich ein sächsischer Braunkohle-Weiler wie dieser für die Olympischen Spiele 2012 bewerben. Das war dann aber auch der Anfang vom Ende, denn seitdem glaubt man, mehr zu sein, als eine kreativ-intellektuelle Bürgerstadt. Dabei wäre das schon viel.
Nun haben wir einen neuen Kulturbürgermeister. Michael Faber heißt er, Verleger-Elmars Sohn ist er. Aber: vorgeschlagen von den Linken, der parteilose Schelm. Und sowas geht ja nun gar nicht im Jahr 20 danach. Drum schickt die CDU noch schnell ihren Michael Koelsch ins Rennen, der zwar mal ihr Mitglied war, derzeit aber mit Grünen-Ticket fährt. Das muss schon stutzig machen, wenn die CDU sich einen Grünen gönnt und die FDP sich formlos anschmiegt. Erich Loest, der Kempowski der Heimatdichtung, droht promt nach Halle zu emigrieren, bleibt dann aber doch. Es hat ihn wohl die Wut verlassen.
Und was macht die Kulturszene, die berühmte, die reichhaltige, die seit 20 Jahren in kommunal geförderten Randlagen vor sich hin insistierende? Sie schließt sich kurz, sehr kurz vor der Kulturbürgermeisterwahl mit den Großen zusammen, den bislang polemisch als Fördermittelgrab bearwöhnten - Gewandhaus, Oper, Schauspiel. Das hat es so seit 89 nicht gegeben: Wir sind wieder mehr, eine Macht, eine Wacht.
Geht es um Anspruch, um die Zukunft der Kultur? Nur auf dem Papier. Geht es um Kompetenz, politisches Geschick, um das Erbe dieser Stadt? In Nebensätzen. Es geht um Stadtratswahlkampf, Eitelkeit und Macht. Und so verkommt der Aufruhr zur provinziellen Farce.
Faber ist ein Intellektueller, ein Fremdling in Leinen, der sich auf Vernissagen heimischer fühlt als bei Arbeitsessen. Er ist gewählt, und er wird schwer zu tragen haben an den Stimmen der Linken und der SPD. Er hat den Ruch des Visionärs, der Duft des Geldes aber geht ihm ab.
Und so ist 20 Jahre nach dem großen Andersrum die Stadt, von der es ausging, angekommen in der real existierenden Unfähigkeit, sich jener Werte zu besinnen, zu versichern und, warum nicht, auch zu bedienen, die sie einst prägten. Die Stimmen der Vernunft sind lange schon verstummt, die klugen Köpfe außer Dienst. Ein Kulturbürgermeister Faber wird daran nichts ändern können. Ihm das vorzuwerfen, wäre der Triumph der Unterlegenen, ein Offenbarungseid der Selbstgerechten, die Ankunft im Alltag, morgens halb zehn in Deutschland.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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