Leipziger Offenbarungseid

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„Mir hatten doch nischt“, pflegen die Leipziger ihren Spott, werden sie angesprochen auf die entbehrungsreichen 40 Jahre vor dem großen Andersrum. Diesen rückdatierten Offenbarungseid gibt es dieser Tage an den Stammtischen in neuer Fassung zu hören: „Die ham'se doch nicht alle.“ Die – das sind die Kommunalpolitiker, und was sie nicht haben – das sind Geld und Ideen. Von Visionen ganz zu schweigen.

Anstoß ist die vom Freistaat Sachsen geplante Änderung des Kulturraumgesetzes. In seiner ersten Fassung hätte Leipzig seinen 107 Millionen Euro schweren Kulturetat ab Januar 2011 um 2,5 Millionen Euro abspecken müssen - bei den städtischen Eigenbetrieben Oper, Gewandhaus und Schauspiel. Nach Protesten der betroffenen Häuser sowie einem von ihnen in Auftrag gegebenem (und mit 10 000 Euro bezahlten) Gutachten, das die Rechtswidrigkeit des Vorhabens attestiert, drohen derzeit Einsparungen von noch 1 Million Euro. Mit seiner von wenig Tiefe getrübten Reaktion, damit könne er leben, hat sich nun Kulturbürgermeister Michael Faber (parteilos) ins Aus geschossen. Dass er dort aber noch nicht angekommen ist, lässt Fragen offen.

In dieser Personal-Farce zeigt sich die Kopflosigkeit nicht zuletzt der Oberbürgermeisters Burkhard Jung (SPD), der Faber in einem feigen Kompromiss die Kompetenzen beschneidet, indem er ihm die Zuständigkeit für Oper, Gewandhaus, Schauspiel, Theater der Jungen Welt und für die Musikschule abnimmt.

Was die Leipziger immer hatten, ist ein ausdrückliches Verlangen nach Kultur. Davon hatten sie mehr und das Beste, hier residierten die großen Verlage, hier gründeten die Tuchhändler ihr Gewandhaus, war Bach Thomaskantor, hier gibt es noch heute mehr Kabarett pro Kopf als in anderen Städten. Hier ging stets mehr als anderswo, und nicht zufällig waren unter den Leipziger Sechs, die mit ihrem Aufruf mit dafür sorgten, dass die Demonstration am 9. Oktober 1989 friedlich blieb, zwei Kulturköpfe: Gewandhauskapellmeister Kurt Masur und Kabarettist Bernd-Lutz Lange.

Doch war das Engagement erst eng mit dem Bürgertum verknüpft und dann – auch – mit freiheitlichem (Wunsch-)Denken, wollen Kreative und Publikum heute nicht mehr recht zusammenfinden. Zwischen ihnen räkeln sich Lokalpolitiker im Lotterbett der Intrige, einer Cousine des Größenwahns, welche allerdings, das muss man auch sagen, schon immer in Leipzig eine Absteige fand.

Fabers Vorgänger Georg Girardet hat trotz hoher diplomatischer Kompetenz und einer wohltuenden Portion Schöngeistigkeit nicht nur Fäden gesponnen, sondern auch verloren – zum einen durch öffentliche Zurückhaltung, die wenig Identität sein konnte (die Leipziger reden nicht nur gern, sie wollen auch etwas gesagt bekommen). Zum anderen war seine Idee, das Regie-Talent Sebastian Hartmann zum Schauspielintendanten zu machen, ein unbedachter Schnellschuss. Dass unbedingt Riccardo Chailly das Gewandhausorchester schmücken musste, hat der Oper ihren Intendanten Henri Maier gekostet. Eine an Geschmacksfragen aufgerichtete Intrige.

Seitdem bringt Interimsintendant Alexander von Maravic das Haus nicht mehr auf die Beine. Ein Umstand, der Faber genauso wenig gefällt wie der Spielplan am Schauspiel. Darüber ließe sich streiten, würde zwischen beiden Seiten überhaupt über Kunst-Ansprüche debattiert und hätte Faber auch nur den Hauch einer jener Ideen, die er bei seiner Wahl im Mai 2009 an den Horizont malte, als er versprach, „unentwegt über die Möglichkeiten der Neupositionierung wie der Bestandserhaltung von Kultur nachzudenken“, nicht nur Verwalter sein zu wollen, „sondern kreativer Kopf im Ensemble ambitionierter Menschen."

Doch der Verleger-Sohn ist schlicht der falsche Mann auf diesem Posten. Das konnte jeder wissen, der ihn damals in Podiumsdiskussionen erlebt hat. Die drei Eigenbetriebe hatten sich vor der Wahl bereits gegen ihn ausgesprochen. Doch da Faber auf Vorschlag der Linken in den Ring getreten war, stand immer auch der Vorwurf politisch motivierter Argumentation im Raum. Wenn Oberbürgermeister Jung jetzt sagt, er habe damals „eine falsche Entscheidung getroffen", stellt er sich im Grunde neben Faber. An den Pranger. Der eine ist geköpft, dem anderen scheinen die Hände gebunden.

Faber muss zurücktreten, was er nicht will. Dabei könnte er den Verlag Faber & Faber retten, der, findet sich bis Jahresende kein Käufer, nach dem Modell Ammann schließen wird. Jung sollte konsequente Entscheidungen treffen, was er nicht kann. Es scheint bei dieser Eskalation, die nicht nur absehbar, sondern auch nötig war, um alles zu gehen, nur kaum um den Erhalt einer, wie es einst hieß, Errungenschaft, eines kulturellen Angebots, das mit hoher Qualität unterhält, bildet, Zukunft formt. Beständiger Geist gegen kulturlose Wachstumsbeschleunigung. Alles andere wäre ein Offenbarungseid. Oder ist es bereits.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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