Humor ist, wenn die Schwarte kracht? Herbert Fritsch inszeniert am Leipziger Centraltheater Claude Magniers Komödie „Oscar“ als Nonsens-Orgie. 1967 wurde dieses „Missverständnis in drei Akten“ mit Luis de Funès kongenial verfilmt. Zur Premiere am 9. April gab es stehende Ovationen.
Eigentlich sind diese schwarzen Koffer egal, ist es nicht so wichtig, ob sie Schmuckstücke bergen, 40 Millionen Franc oder die Büstenhalter von Bernadette. Darum wohl hält am Ende jeder einen in der Hand – neun Schauspieler, neun Koffer, ein Rausch. Herbert Fritsch inszeniert das Übermaß. Das kann mutig sein in Zeiten der Bespaßungsinflation. Aber auch feige, wenn Amüsiererwartungen bloß bedient werden.
Die Geschichte ist rasch erzählt: Seifenfabrikant Pierre Barnier wird von seinem Angestellten Albert erpresst und betrogen. Albert will Barniers Tochter Nicole heiraten, die allerdings diesen Vater nur erfunden hat. So hält er also irrtümlich um die Hand der echten Tochter Colette an, die wiederum behauptet, ein Kind von Chauffeur Oscar zu erwarten, den ihr Vater vor zwei Wochen entlassen hat, weshalb Oscar erst zur Fremdenlegion geht und dann doch nicht. Da Colette mehr noch als die Liebe die Freiheit sucht, sieht es zeitweise nach einer Hochzeit mit Masseur Philippe aus, was ihre Mutter Marie-Louise nicht zu stören scheint. Einzig Stubenmädchen Bernadette findet ohne Umwege das Glück – mit einem Herrn Baron. Auf die dadurch freigewordene Stelle bewirbt sich Charlotte, die vor 24 Jahren schon Pierres Mutter diente, bevor sie schwanger das Haus verließ. Schwanger mit eben jener Nicole, die nun also doch Barniers Tochter ist ... Nichts Schlimmes also, da geht's nur ums Wie.
Die Party will kein Ende nehmen. Immer schneller fahren die Scheinwerfer auf und nieder, die Schauspieler feiern und singen von einem Bett im Kornfeld. Sobald einer aus der Gruppe an die Rampe rennt, tobt das Publikum. Über allem rotiert die Discokugel, der Regisseur quert lachend die Bühne ... In seiner orgiastischen Applausordnung führt Fritsch wieder zusammen, was in den zweieinhalb Stunden zuvor im Nonsens zu zerfasern drohte: Klamotte, Slapstick, Witz.
„Wenn mir das jemand prophezeit hätte, dass meine Tochter meinen Masseur heiraten wird, weil sie ein Kind von meinem Chauffeur erwartet“, barmt Barnier. „Na und“, retourniert die Gattin, „wärst du dann mit dem Fahrrad ins Büro gefahren?“ Der 59-jährige Fritsch, Ex-Volksbühnen-Schauspieler, der Humor à la Mario Barth als verklemmt empfindet und Lustspiele liebt, besonders die französischen, nimmt den Text beim Wort und übersetzt ihn doch am liebsten in Bewegung, Gesten. Soll eine Gelegenheit beim Schopfe gepackt werden, fehlt er nicht, der Griff ins Haar.
Die Figuren krümmen sich im Nicht-fassen-Können, strecken sich nach einem cleveren Einfall, ducken sich unter Affekten weg. Vor allem Hans Schenker als Barnier, Holger Stockhaus (Albert) und Thomas Lawinky (Philippe) kosten die Körperkomik aus. Andererseits überzeichnet Emma Rönnebeck die derbe Mutter Marie-Louise, kreischt und stampft Henrike von Kuick als verhaltensauffällige Tochter Colette knapp an die Schmerzgrenze und entrückt Sarah Sandeh die falsche Tochter Nicole zur Karikatur.
Fritsch beschleunigt den Kreislauf von Gier und Gerissenheit, Fortune und Missgeschick mit aller Wucht. Nicht zwei, nicht vier, nicht vierzehn Tassen gehen zu Bruch, als Albert seinem Chef Tochter und Geld abluchst. Die Bühne ist ein Scherbenhaufen. Und das gelbe Sofa im ansonsten leeren Raum ersetzt als nachwachsendes Polsterlager, in dem immer mal wieder jemand verschwindet, die klappende Tür und überhaupt alle Räume.
Im Grunde ist alles zu sehen, was einer Komödie gut tut: Missverständnis, Beziehungsgeflecht, Sozial-Gefälle, Schwäche, Turbulenzen. Doch fehlen die Kontraste in diesem Getöse, das sich darum zur Boulevardkomödie verhält wie Comedy zur Satire. Das liegt vor allem an der zur Premiere noch fehlenden Präzision, die möglicherweise aus Textunsicherheiten resultiert. Komik lebt aber vom Timing. Wie das funktionieren kann, zeigt kurz vor Schluss Barbara Trommer, die als Stubenmädchen Charlotte den Takt hält und das Absurde Raum greifen lässt.
Der überbordende Schabernack aber, die Witzcheninflation im Namen der Comedia dell'arte, resultieren sie womöglich aus mangelndem Vertrauen – ins Publikum, die Worte und den Spielraum dazwischen? Nein! Doch?
mit Janine Kreß, Thomas Lawinky, Paul Matzke, Emma Rönnebeck, Sarah Sandeh, Hans Schenker, Holger Stockhaus, Barbara Trommer, Henrike von Kuick
Regie: Herbert Fritsch
Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Dramaturgie: Anja Nioduschewski
Internet: www.centraltheater-leipzig.de
Kommentare 39
"Der 59-jährige Fritsch, Ex-Volksbühnen-Schauspieler, der Humor à la Mario Barth als verklemmt empfindet und Lustspiele liebt, besonders die französischen, nimmt den Text beim Wort und übersetzt ihn doch am liebsten in Bewegung, Gesten. Soll eine Gelegenheit beim Schopfe gepackt werden, fehlt er nicht, der Griff ins Haar." - Zum Teufel, da muss ich hin!!! Danke für Deine Besprechung!
Ich kann mich ja noch erinnern, wie der Film im Osten anlief, die Leute lagen lang. Also die Rezension ist schon im Takt des Tempos der Aufführung. Wunderbar.
Also: Nicht Tür auf, Tür zu, sondern nachwachsende Postermöbel.
Nichts ist schwerer als so eine Klamotte.
liebe magda, ich hätte schwören können, den film nie gesehen zu haben, aber als ich dann bei youtube den ausschnitt sah - natürlich kenne ich den. allerdings hatte ich da früher mehr spaß, speziell an luis de funès, als heute. irgendwie hat mein nervenkostüm nicht mehr so stabile nähte, ihm länger als zehn minuten beim durchdrehen zuschauen zu können. in der inszenierung jetzt versuchen sie gottlob nicht, funès zu kopieren oder parodieren.
neulich übrigens sah ich mal wieder die olsenbande - daran habe ich noch immer (oder wieder) große freude. vor allem, wenn helga hahnemann yvonnes synchronstimme ist.
liebe grüße
ja, lieber goedzak, allerdings: sie greifen nicht dem publikum ins haar. leider. aber vielleicht lässt sich da was für dich arrangieren, hinterdrein bei einem schönen stillen wasser auf dem sofa in der theaterkneipe ...
liebe grüße
Bei de Funés gab es so herrliche Kabinettstückchen.
Der Rest war nicht so heiß.
Die Olsenbande - das ist ja tatsächlich merkwürdig "gehaltvoller." Die Szene bei den Olsens, wo die - mit der Partitur in der Hand - irgendwelche Wände aufstemmen. Klasse, wenn ich das bei youtube finde, dann gucke ich mir das auch an. Genial.
"Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar..." - Jetztzutage könnten sie aber höchstens mal drüberstreichen, reinfassen würde die durchschnittliche menschliche Feinmotorik überfordern (oder bedeuten, dass es in die 'Gehirnfasern' geht).
Aber ein wenig Igelstreicheln auf'm Sofa, das könnte eine zusätzliche Motivation sein, den weiten Weg nach L. in Kauf zu nehmen.
:))
Gut Leute, ich habe einen Plan. Wir brauchen 4 Ausgaben vom derFreitag letzte Woche, einen Antrag auf HartzIV für Yvonne, 1 Pranger aus Holz, 1 Pandabären wofür auch immer, 3 Streichhölzer, 5,6 Meter Lunte zum riechen, 1 Offenen Brief, 2 Kodiertabellen für Bennie und Kjeld und einen alten Amischlitten mit 1,8 Liter Benzin im Tank. Und dann machen wir unseren Coup auf den derFreitag. Später macht JA Gefangenensozialisierung, glaub ich mal.
Egon Luggi, alias Olsen
Was die O'bande angeht, sind die ersten drei Filme sehr zu empfehlen, dann kamen die Aufgüsse. Klamauk ist es, aber immer noch mit einem gewissen Blick auf Millieus und Satire auf den skandinavischen Staat und seine Institutionen.
Gestern Abend musste ich mir zur Aufheiterung und Ablenkung (nicht nur von der F-Community) zwei Filmchen reindrehen: Belmondo sowie Adriano Celentano. Danach ging's mir besser.
Wenn Ihr mal ne wirklich gute Westernkomödie sehen wollt (ist auch schwer zu machen):
http://lh3.ggpht.com/_KzT7aueQ9sM/S8DpOG722SI/AAAAAAAAASk/ReiC37H0Sk8/s400/CatBallou19654082_f.jpg
mächtig gewaltig, luggi!
"Ich bin Cat Ballou."
"Und ich bin blau wie ein Veilchen!"
Manche Dialoge prägen sich ein, bis in die Gene.
lieber goedzak, ich habe neulich film nr.7 gesehen (Die Olsenbande stellt die Weichen), was aber nach all den jahren doch eine erfreuliche wiederbegegnung war. da ich nun viel kabarett und theater anschaue, weiß göttin nicht immer zum reinen vergnügen, habe ich schlicht spaß daran, diese typen zu sehen, die schon schön genau gezeichnet sind. (ja, auch vom leben.)
ach, ich liebe komödien! hängt das mit dem altern zusammen? ist das schon der klischeewechsel?
zu dem Thema auch Video
es stört dich doch nicht, das so etwas im sich in theaterästhetischer umformung befindenden l. schon als performance durchgeht? schließlich ist die betonung des minimalen im prozess der wachstumsentschleunigung ein thema, das uns alle angeht. der hausphilosoph wird dir dann sagen können, was es es mit dir macht. möglich auch, dass es in den spielplan aufgenommen wird. allerdings nur im kleinen haus, denke ich.
:))
"Was es mit mir macht" - Eine Sequenz zum Verlieben...
Klischeewechsel, kay, ist etwas, worauf Du Dich freuen kannst! Irgendwie darf Frau das nicht schön finden, aber das ist eine bürgerliche Vorstellung, von der Frau sich freimachen muss. Dann geht es auch anders.
Unsicher bin ich in der Frage der Komödien. Männer lachen ja über jeden Klamauk. Aber die sind auch nicht so heftig dem Klischeewechsel unterworfen. Wenn sie das wären, würden sie vielleicht nur noch diese Richter-sowieso-soaps gucken, da, wo immer einer am Pranger steht
dass männer über jeden klamauk lachen, ist mir auch schon aufgefallen. und wenn grad keiner vorrätig ist, stellen sie ihn her.
es gab hier in l.mal eine schwulen-bar-disko-kneipe, die "blaue trude" (gibt es noch, aber jetzt woanders, kenne ich noch nicht), da lief den ganzen abend über monitor so eine pleiten-pech-und-pannen-schleife, wo übergewichtige familienväter beim den-berg-runter-radeln in ein aquarium fallen, und den piranhas nur deshalb entkommen, weil die katze sie schon gefressen hat, bevor sie bei der paarung mit nachbars dobermann versehentlich den van startet, der den familien-bungalow pulverisiert.
dienstlich leide ich darunter, dass immer, wenn ich gerade die welt retten will, ein kollege sagt: aber sie hat doch gar nichts an (die welt).
ich stehe jetzt einfach mal zum klischeewechsel, hitze habe ich ja schon.
liebe grüße
@ goedzak
ps: endlich regen! da kann ich dampfen.
Yepp - das machen wir. Ich besorg die Lunte.
Cat Ballou - wo der herrliche Lee Marvin immer besoffen schräg auf dem Pferd sitzt.
Das war klasse
Warum inszenieren sie sowas nicht mal in irgendwelchen Felsenbühnen nach. Ich mach die Cat Ballou in den Wechseljahren - Das Alter von Jane Fonda unterbiete ich zwar (noch) aber - ein bisschen reiten kann ich auch.
"hängt das mit dem altern zusammen? ist das schon der klischeewechsel?"
Wie sagt Karl Valentin in einem berühmten Sketch: "Ach hör'n Sie doch auf das ist ja lächerlich".
oder der aus der Feuerzangenbowle:
Se send noch nech dran, gnä Frau.
ganz bescheiden möchte ich auf ein Filmchen hinweisen, das mir nicht ganz unwichtig beim Training meiner Lachmuskeln war...und mit Bardot und Cardinale...wau...ach nee, wow
www.cnet.de/digital-lifestyle/dvd/41506501/petroleummiezen.htm
super hose, luggi!
Kennste die Geschichte dieser Hose? (Ist wahrscheinlich ne dumme Frage...)
Viel Spaß!
Fragen sind nicht dumm sondern berechtigt. Die Links zu den Filmen sind auch in meinem Morseblog.
Den didaktischen Ansatz habe ich als Kind durchschaut und Stoffbleiche kenne ich auch noch (Wäscheblau).
Bei den Tschechen ist der Maulwurf Kult, beliebt bei groß und klein. Als ich mir den kleinen Plüschi in Brno kaufen wollte, musste ich wieder nach der Methode "Weißt du nicht, wo man solch...kaufen kann?"
Die Läden mit solchen Artikeln sind voll mit dem ganzen Disneyquatschinplüsch. Ihr Eigenes wird selten angeboten. Schade eigentlich.
Mein Schneider hat heute die Hose extra geliefert, ohne Schwarzgeldaufschlag.
o wie schön. im grunde handelt es ja dabei um die geschichte der entstehung der damenhandtasche. die hosentasche war nur ein anfang.
frag ich mich übrigens sowieso, wie menschen (meist sind es männer) ohne tasche oder rucksack ihren alltag bewältigen. also ohne schirm, zigaretten, schreibheft, kalender, kugelschreiber, noch einen kugelschreiber, nagelfeile, kopfschmerztabletten (n3), ladegerät, lippenbalm, handcreme, pfefferminzdrops, pflaster, feuerzeug, streichhölzer, geldbörse, zeitung (ohne sportteil), haarspange, buch (paperback), taschentücher, brillenputztuch, spiegelchen, monatspläne für theater, kino undsoweiter.
um nur das wichtigste zu nennen.
luggi, jetzt hast Du mich dabei erwischt, dass ich in den Morse-Blog schon seit mindestens 2 Tagen nicht mehr reingeguckt habe.
kay, verschiedenen der aufgezählten Utensilien befinden sich in meiner Tasche nicht, dafür Klappmesser, Cutter, Flaschenöffner, aber ohne gehe ich niemals aus dem Haus.
Liebe kay.kloetzer,
wie kommst Du darauf, dass Männer ohne Tasche oder Rucksack ihren Alltag bewältigen?
Meiner hat 4 Räder, der Inhalt:
"schirm, zigaretten, schreibheft, kalender, kugelschreiber, noch einen kugelschreiber, nagelfeile, kopfschmerztabletten (n3), ladegerät, lippenbalm, handcreme, pfefferminzdrops, pflaster, feuerzeug, streichhölzer, geldbörse, zeitung (ohne sportteil), haarspange, buch (paperback), taschentücher, brillenputztuch, spiegelchen, monatspläne für theater, kino"
undsoweiter
undso
und
lieber archie, ich weiß, dass es ausnahmen gibt, aber oft, wenn ich mit leichtem gepäck (ohne zweite jacke, fotoapparat, wasserflasche, ersatzbuch, korrespondenzen der vergangenen zwei wochen) ausgehe, federn neben mir männer mit ganz ohne tasche. sie führen meist nur handy, geld und schlüssel bei sich. wie geht das nur? wenn ich vergleichbares versuche, bei konzerten oder so, wiegt mein mantel 8 kilo.
liebe grüße
Liebe kay,
das wäre doch mal einen Blogbeitrag wert, so als Thema.
Zu meinen Hosentaschen, also nicht die vom Maulwurf:
Links-> Swiss-Army-Knife als Cybertool, Schlüsselbund mit DDR-Flaschenöffner, gelegentlich Autoschlüssel.
Rechts-> Geldbörse und Schnupftuch.
Rucksack gelegentlich für ökologische Transporte mittels Fahrrad (straßenverkehrstauglich).
Kondome ganz selten, eigentlich garnicht, überhaupt nicht.
Liebe kay,
"...federn neben mir männer mit ganz ohne tasche." - im fußläufigen Radius um die Basisstation ist das möglich
(oder es sind Alzheimer-Aspiranten?)
Trotz der Gepäckfrage wünsche ich Dir
natürlich weiterhin glückliche Theaterbesuche!
Herzliche Grüße
archie
stimmt. kondome. aber die tragen ja nicht auf. was habt ihr nur alle mit den flaschenöffnern? geht das nicht mit nem feuerzeug? ich schlage ja den korken mit dem linken highheel in die flasche ...
"...was habt ihr nur alle mit den flaschenöffnern? ..."
Ja wenn du so fragst, ich weiß es auch nicht. Der ist seit Jahrzehnten am Schlüsselbund und wird aller 6 Jahre benötigt. Vielleicht Tradition. Oder, man weiß ja nie, wozu man das Ding mal braucht. Tja.
Und keine Frage zu meiner Geldbörse?
davon gehe ich aus luggi, dass du die samsonite-flach-nähte-geld-zauber-börse dein eigen nennst. in den engen gängen da unten, nicht wahr.
Nö, die ist aus Zwiebelleder :-((
ach was. jeden morgen frische scheine?
das wär eine Scheinzwiebel
okay, also zwiebelschein. also zum weinen dann auch.
kopfnick