Revolution nach Noten

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Seit Freitag wird am Theater Freiburg übers Handeln diskutiert. „(Wie) geht Veränderung?“ fragt vom 27. bis 29. Januar ein Kongress zur Kunst der Teilhabe in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die lokalen Krisen provozierten ein neues Nachdenken, heißt es. Quasi als Auftakt feierte am 26. Januar in Kleinen Haus ein Liederabend Premiere: „Children of the Revolution“ wurde vom Publikum bejubelt.

Eigentlich sollte Tom Ryser nach „Orpheus in der Unterwelt“ eine Operette für Schauspieler auf die große Bühne des Dreispartenhauses bringen. Doch der Regisseur schlug er einen Liederabend vor. Eine gute Entscheidung, denn nun zeigt er – gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Nikolaus Reinke, etwas Großes im Kleinen, und das wird daher umso deutlicher. Beide spürten in der Gesellschaft „eine nostalgische Revolutionssehnsucht“, sagte Reinke vorab der Badischen Zeitung.

Am Ende lädt die Jüngste durch. „Man zielt nicht auf das Publikum“, sagt der Kellner, der den Sekt bringt, um den kommenden Aufstand zu feiern, vielleicht auch nur die Erinnerungen an zurückliegende Empörungen oder das kleine Wutgefühl im vollen Magen. Der aber die Gläser nicht rausrückt gegen imaginiertes Theater-Geld. „Da ist nichts“, trotzt er, bis der Pianist leblos auf dem Parkett liegt, niedergestreckt von der Jüngsten, die, zart und blond (anrührend: die Stuttgarter Schauspielstudentin Jenny Langner), auch ohne Kimme und Korn auf das Publikum zielt mit Wolf Biermanns Nachdichtung:


„Uns bleibt, was gut und was klar war:
Und dass man bei Dir immer durchsah,
und Liebe, Hass, doch nie Furcht sah,
Commandante Che Guevara!“


Der Commandante ist längst „weg, und doch geblieben“. Im Döner-Imbiss neben der Uni etwa schaut er von den Wänden. „Jesus Christus mit der Knarre“ - Da wenden sich die anderen ab, treten hinten an die Fenstern, hinter denen der Tag anbricht, führen zurück in die Realität ohne Gewähr. So gelingt Regisseur Ryser der gewagte Schritt von Revolutions-Pop und Protest-Songs in eine Nachdenklichkeit, die Verklärung ausschließt und ja auch auf Wohlstand fußt. Trotz „Internationale“ und „Solidaritätslied“, dem Sound der DDR, den mancher hier gewiss zum ersten Mal live gesungen hört. Wenn nicht überhaupt.

Doch einen neuen Soundtrack gibt es nicht, es gibt keine politische Popmusik, die mit den aktuellen Protesten in Verbindung gebracht werden kann, sagt Dramaturgin Heike Müller-Merten, der es um das Irritierende dieser Zusammenstellung geht, im Bewusstsein der Gefahr des Kitsches oder der Ironisierung.

Während im Freiburger Friedrichsbau Rudi Gauls Dokumentarfilm „Wader Wecker Vater Land“ zu sehen ist, das Aufbegehren der Alten, verschneidet der Banker „seine Buchsbaumhecke im Rot-Stern-T-Shirt“, wie Müller-Merten im Programmheft schreibt, und im Nachtbus raunt ein Kapuzenshirtträger „El pueblo unido“ wie ein Mantra „in seine leere Bierflasche“. Avanti o popolo, vorwärts, Volk, jedoch wohin?

Die Inszenierung kommt ohne Symbole aus. Auf der kargen Bühne, einem Raum mit fünf Türen und einem Sofa, beginnt der Abend mit dem Morgengrauen: Zu „Morning Has Broken“ kommen nach und nach sieben WG-Bewohner aus ihren Betten, den Schlafanzug werden sie sehr spät erst ablegen und gegen einen Anzug tauschen. Sie räkeln sich und fotografieren sich mit Selbstauslöser und machen sich Gedanken mit Monty Pythons „So Worried“. Diese frühen Vögel fangen erstmal keinen Wurm.

Traumtänzer sind sie, born to be wild, wenn es zu hause nicht so läuft. Jede Veränderung schiene unglaubwürdig, wäre da nicht eine Art Nachrichtensprecher, der vor der Szene halb unter, halb über dem Bühnenboden, informiert und kommentiert, wörtlich oder pantomimisch übersetzt (großartig: Victor Calero). Der der Marseillaise oder „They Don't Care About Us“ eine zweite Ebene gibt und die Liedtexte mit neuer Bedeutung auflädt.

Privates und Politisches gewinnt nach und nach an (Gruppen-)Dynamik und die wiederum an Kraft, wobei Choreographien und vielstimmige Arrangements Wirkung erzeugen, auch Komik durchaus – ein bisschen Unterhaltung tut doch der Empörung gut.

Am Bühnenrand treibt die Combo mit Klavier, Bass und Schlagzeug voran, während das Ensemble barfuß seinen Wünschen hinterherjagt, mal mehr (André Benndorff!) mal weniger überzeugend im Gesang, doch durchweg glaubhaft und sympathisch in ihrer Spiellust, von der dieser „Liederabend für Schauspieler“ ja auch lebt. Dessen Botschaft vielleicht die ist, dass Unzufriedenheit über Stillstand kaum hinausführt, wenn der Blick nicht gleichermaßen zurück, zur Seite und nach vorn geht, dass ein Latte Macchiato noch keinen Weltbürger macht und ein Wutbürger noch keine Revolution.

Nach 75 Minuten verlangt das trampelnde Premierenpublikum eine Zugabe. Die gibt es nicht. Aber einen Regisseur, der einlädt, zu trinken, zu lächeln, zu reden und zu tanzen. In dieser Reihenfolge. Womöglich ist das der Zeitplan einer Revolution, die ihre Enkel mit Hoffnung füttert.

„Children of Revolution“: mit: André Benndorff, Victor Calero, Hendrik Heutmann, Jenny Langner, Jennifer Lorenz, Charlotte Müller, Andreas Helgi Schmid
Anne Folger / Nikolaus Reinke (Klavier), Johnny B. Gomer (Bass), Günther Krenk / Peter Vonessen (Schlagzeug)
Regie: Tom Ryser
Bühne und Kostüm: Stefan Rieckhoff
Dramaturgie: Heike Müller-Merten

www.theater.freiburg.de

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Foto: Maurice Korbel/ Theater Freiburg

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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