Sackgasse

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Der Leipziger Hauptbahnhof ist ein Kopfbahnhof. Eine Sackgasse. Start und Ziel zugleich. Und so sind auch die Leipziger: angekommen an ihrem Ort, den Blick jedoch in eine Ferne gerichtet, aus der sie vor allem zurückkehren können.

Vor den Bahnhof haben sie sich ein herzerwärmendes Stadtzentrum gebaut mit vielen Passagen, mit Türmchen und Erkern und der Welt der Handelshöfe. Dahinter ist Schluss. Gerade wird ein Tunnel drunter durch getrieben, drei Haltestellen für ein Halleluja des Verkehrsministers, der hier mal Oberbürgermeister war. Hosianna! Außerhalb des Innenstadtrings ist Leipzig Provinz. Den Übergang markieren derzeit ein paar Wahlplakate. Da ist der SPD-Jurk "Garant für ein Sachsen, in dem Bildung nicht vom Geldbeutel abhängt". Und selbst ein schönes Beispiel dafür. Daneben weiß CDU-Tillich, dass man "Arbeitsplätze nicht mit links" schafft. Immerhin links klein geschrieben.
Im Rücken der beiden beginnt der Osten, der Leipziger Osten. Da hat schon lange keiner mehr das Glück gesehen. Ein bisschen Hoffnung muss es einst gegeben haben, sie campierte in einem Ladenlokal: "Hier entsteht demnächst ein Optiker" versprach ein Zettel, als er noch weiß war. Noch sind wir in der Rosa-Luxemburg-Straße, der Aufbruch mündet in ein Internet-Café.
Dann fängt sie an, die Eisenbahnstraße, der Weg ins Nimmermehr. Drei Haltestellen sind es aus dem Licht ins Dunkle. Am Morgen wartet niemand auf die Öffnung der Geschäfte. Sie sind ja zugemauert. Am Morgen öffnen das Bistro, der Imbiss, Dönerbude. Die Männer davor schauen der Bahn hinterher, wie Kinder den Flugzeugen. Der Staub ist leichter als anderswo, er hat so viel Platz. Die Menschen sind stummer als anderswo, sie haben so viel Zeit. Weil Clemens Meyer, der Buchpreisträger, hier lebt, wird ihm Milieukenntnis bescheinigt statt Talent. Sein Roman "Als wir träumten" ist die Gegenrealität zu Uwe Tellkamps Elfenbein-"Turm". Man liest es gern, natürlich mit dem Schauder der Behüteten.
Neben dem Schild des Straßenkinder-Vereins lächelt Vicky Leandros von Plakaten. Das wird sie noch tun, ein wenig blasser vielleicht, wenn der Wahlkampf längst beendet ist. Viel wird passiert sein dann, doch heller wird es hier so schnell wohl nicht.
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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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