Der Leipziger Hauptbahnhof ist ein Kopfbahnhof. Eine Sackgasse. Start und Ziel zugleich. Und so sind auch die Leipziger: angekommen an ihrem Ort, den Blick jedoch in eine Ferne gerichtet, aus der sie vor allem zurückkehren können.
Vor den Bahnhof haben sie sich ein herzerwärmendes Stadtzentrum gebaut mit vielen Passagen, mit Türmchen und Erkern und der Welt der Handelshöfe. Dahinter ist Schluss. Gerade wird ein Tunnel drunter durch getrieben, drei Haltestellen für ein Halleluja des Verkehrsministers, der hier mal Oberbürgermeister war. Hosianna! Außerhalb des Innenstadtrings ist Leipzig Provinz. Den Übergang markieren derzeit ein paar Wahlplakate. Da ist der SPD-Jurk "Garant für ein Sachsen, in dem Bildung nicht vom Geldbeutel abhängt". Und selbst ein schönes Beispiel dafür. Daneben weiß CDU-Tillich, dass man "Arbeitsplätze nicht mit links" schafft. Immerhin links klein geschrieben.
Im Rücken der beiden beginnt der Osten, der Leipziger Osten. Da hat schon lange keiner mehr das Glück gesehen. Ein bisschen Hoffnung muss es einst gegeben haben, sie campierte in einem Ladenlokal: "Hier entsteht demnächst ein Optiker" versprach ein Zettel, als er noch weiß war. Noch sind wir in der Rosa-Luxemburg-Straße, der Aufbruch mündet in ein Internet-Café.
Dann fängt sie an, die Eisenbahnstraße, der Weg ins Nimmermehr. Drei Haltestellen sind es aus dem Licht ins Dunkle. Am Morgen wartet niemand auf die Öffnung der Geschäfte. Sie sind ja zugemauert. Am Morgen öffnen das Bistro, der Imbiss, Dönerbude. Die Männer davor schauen der Bahn hinterher, wie Kinder den Flugzeugen. Der Staub ist leichter als anderswo, er hat so viel Platz. Die Menschen sind stummer als anderswo, sie haben so viel Zeit. Weil Clemens Meyer, der Buchpreisträger, hier lebt, wird ihm Milieukenntnis bescheinigt statt Talent. Sein Roman "Als wir träumten" ist die Gegenrealität zu Uwe Tellkamps Elfenbein-"Turm". Man liest es gern, natürlich mit dem Schauder der Behüteten.
Neben dem Schild des Straßenkinder-Vereins lächelt Vicky Leandros von Plakaten. Das wird sie noch tun, ein wenig blasser vielleicht, wenn der Wahlkampf längst beendet ist. Viel wird passiert sein dann, doch heller wird es hier so schnell wohl nicht.
Kommentare 42
Ich hab ernsthaft kurz überlegt ob ich den Artikel überhaupt anklicken soll, da ich befürchtete, das sei ein weiteres Gender-Thema ;)
Danke für das atmosphärisch gelungene zeit-stück, das ich gern gelesen habe, auch wenn ich nicht alles teilen kann. "Außerhalb des Innenstadtrings ist Leipzig Provinz" beispielsweise, ich denke da an die lebendige kultur- und subkulturszene in connewitz oder das waldstraßenviertel, denke an gohlis, möckern ... In östlicher richtung ist allerdings wirklich bald schluß, das einstige arbeiterviertel mit seinen charakteristischen kneipen völlig ramponiert, was mich bei jeder ankunft von neuem irritiert - ja, hier lebten und leben zum teil noch die "unbehüteten", die sich das wohnen in einem anderen quartier nicht leisten können, während früher die wohnungsknappheit oft einen wechsel in weite ferne gerückt hat ... In die entwicklung dieses viertels hätte man die gelder stecken sollen, statt in diesen tunnel, dessen nutzen am ende doch recht fragwürdig (mir erscheint er verzichtbar, leipzigs innenstadt ist nunmal keine city à la frankfurt oder berlin).
Liebe jayne,
da habe ich natürlich etwas zugespitzt. Wobei die Südvorstadt eine Ausnahme ist. Zumindest was das kulturelle Leben abseits von Freier Szene und Subkultur angeht, kommt da nicht mehr viel. Und wenn es doch versucht wird, leiden die Häuser unter ihrer Lage. Das Haus des Buches etwa bietet ein ausgezeichnetes Programm, es ist zwei Haltestellen vom Zentrum entfernt, aber die Menschen kommen eigentlich nur bei prominenten Namen in Scharen. Das Lofft in Lindenau hätte gemessen an der Qualität seines Programms viel mehr Zuschauer verdient.
Diese Stadt hat einen Kern, und sie hat Ränder. Drinnen wird gelebt, draußen in Reihenhäuschen gewohnt. Die Ausfallstraßen aber führen durch trostlose Gegenden, wo grässliche "Einkaufs-Arkaden" den Einzelhändlern den Rest geben.
Herzlich
kk
@Streifzug
Naja, kommen ja wirklich nur Männer vor...
Sehen so Leuchttürme aus?
Applaus (für den Text)
@merdeister
So sehen blühende Landschaften aus: Löwenzahn zwischen Gehwegplatten, Jasmin aus Fenstern denkmalerischer Kleinwarenläden, Birken aus Regenrinnen 1989 verlassener Häuser...
Ist es tatsächlich schon so "schlimm" geworden beim "Freitag"? Da bekomme ich ja fast ein schlechtes Gewissen, Euch demnächst auch wieder mit solchen Themen belästigen zu wollen :-)
Aber immerhin kannst Du leicht "einen großen Bogen" um meine Beiträge machen. Sobald Du diese beiden küssenden Kerle entdeckst ... einfach durchstarten und schon bist Du "in Sicherheit" :-)
"Weil Clemens Meyer, der Buchpreisträger, hier lebt, wird ihm Milieukenntnis bescheinigt statt Talent. Sein Roman "Als wir träumten" ist die Gegenrealität zu Uwe Tellkamps Elfenbein-"Turm". Man liest es gern, natürlich mit dem Schauder der Behüteten."
Den Tellkamp kenne ich, den Meyer nicht. Aber mir scheint, Du hast zu beiden einen Abstand. Ich mochte den kunstgewerblichen Tellkamp nicht, reinweg gar nicht.
Ja, in Leipzig sind der Osten und der Westen die Underdogs, dafür Norden und Süden die besseren Viertel.
Die Eisenbahnstraße - das muss wirklich sehr schlimm sein, dort. War schon zu DDR-Zeiten eine vergessene Gegend.
Gern gelesen und an Leipzig gedacht. Ich komme immer gern aus dem Bahnhof, auch wenn man Angst hat, man kommt unter die Straßenbahn.
Liebe Magda,
beide schreiben vor autobiographischem Hintergrund und beide werden schnell mit ihren Figuren gleichgesetzt. Da ist der Meyer dann der Tätovierte mit der schweren Kindheit, der sich von ganz unten nach oben geschrieben hat. So stimmt das ja nicht, er hat am DLL studiert, er hat lange an dem Buch gearbeitet und nicht etwa von einem schreibkundigen Kumpel seine Erinnerungen in den Laptop hacken lassen. Klar bastelt er auch selbst an dem Image, hätte ja bei der Bekanntgabe des Buchpreisgewinners auf der Leipziger Messe nicht unbedingt eine Bierflasche in den Himmel recken müssen. Es sei eben so aufgeregt gewesen, hat er damals gesagt. Tellkamp hätte in so einem Fall vermutlich eine Valium genommen. Meyer ist mir näher. Nicht nur, weil er in meiner Kneipe manchmal Ruhe vor der Hysterie sucht (und findet).
Neulich war ich in Deinem alten Viertel unterwegs, bin zu Fuß die Karl-Heine-Straße raus zur Spinnerei. Auch da ist die Welt zuende, aber nur auf einer Straßenseite. Mein Lieblingsblick geht rechts über das Jahrtausendfeld rüber zum Puff zwischen den Ruinen.
Herzlich
kk
Eisenbahnstraße - die musste ich damals immer ein Stück entlang, wenn ich zu meiner erwähnten kurzzeitweiligen Wirkungsstätte wollte, nach links in die Herrmann-Liebmann-Straße über die Eisenbahnbrücke. Heute ist die Wegeführung wohl ganz anders. Ich hab mich vor ein paar Jahren mal wieder dort umgesehen. Scheint sich nicht viel geändert zu haben.
Kennst Du die 'Kehraus'-Filme von Gerd Kroske? Eine Art Langzeitdreh mit Leipziger Proleten.
kehraus-wieder.de/
@meisterfalk
Leider nicht, ich war nur Zeugin der Film-Premieren-Feier während der Dok-Woche in der Pfeffermühlen-Kneipe (gibt's leider auch nicht mehr). Mit den Protagonisten. Das muss ich dringend nachholen, also die Filme.
kk
Na huch, sind wir uns vielleicht dort über den Weg gelaufen? Nee, wohl nicht, ich war in besagter Kneipe zur Premierenfeier von "Wollis Paradies" (2007), zwei oder drei der Kehraus-Protagonisten waren aber auch da.
Das kommt mir jetzt nicht bekannt vor. Was nicht heißt, dass ich nicht dort gewesen bin, denn zu dem Zeitpunkt war schon klar, dass die Kneipe bald schließt, und wir wollten jeden Moment genießen, um sofort mit der Verklärung beginnen zu können. Und so geschah es.
kk
Ein Puff zwischen Ruinen?
Singen da die Männer nachts auf dem Heimweg:
"Auch er stand noch in Ruinen"?
@Friedland
"...Singen da die Männer nachts auf dem Heimweg:
'Auch er stand noch in Ruinen'? ..."
Ja, ja diese Heteros - immer ein munteres Lied auf den Lippen, ob nach getaner Arbeit oder nach der sexuellen Dienstleistung. Da sind wir Schwulen doch "viel dezenter und diskreter" :-))))
SexPower
Bin dann nachts um 2 zum Hbf, nein, nicht gewankt, aber etwas weicher gelaufen, um dann wartend auf meinen Zug im Macdonaldladen Zeuge und Teilnehmer einer interessanten Episode zu werden. Da hockten u.a. zwei freundliche, allerdings etwas anrüchige 'Wohnsitzlose', die in Ruhe ihren selbstbezahlten Kaffee tranken und mit mir ein 'philosophisches' Gespräch anfingen. Dann kam einer vom Personal und forderte die Jungs auf zu verschwinden. Auf meine Wieso-Frage hieß es, man sei keine Wärmestube. Die beiden blieben sitzen, also kam der MD-Typ mit Polizei wieder. Da ging was los im Lokal, alle anwesenden Gäste solidarisierten sich mit den Knaben. Schließlich murmelte der eine Grüne dem MD-Menschen was zu, und sie zogen ab.
Na, ja, Nächte auf dem Leipziger Hbf...
Hallo SexPower,
an dich hab ich bei dem Kommentar zwar nicht gedacht, aber es wäre doch eine kreative Namensgebung: "Knüppel berichtet aus der Sackgasse." ;)
Schön gesagt, St(r)eifzug. ;-)
Ihr erzählt so schön. Hört sich an, wie Geschichten aus meiner Heimat tief im Westen. Und ähnlich sehen tun die beiden Flecken sich wohl auch.
Der Turm liegt ja nun schon seit Monaten bei mir rum. Und der liegt ja so schwer. Von mir gekauft, weil es der "DDR-Roman" sein soll. Ich schaff's aber nicht, irgendwas sperrt sich in mir. Und gleichzeitig hab ich fast ein schlechtes Gewissen. Weil, ich könnt ja vielleicht was verpaßt haben an neuen Erkenntnissen über das Leben in der DDR.
Puh, der Roman macht einem schon ungelesen Probleme.
Ich glaub, ich geh jetzt erst mal was über den C. Meyer googeln. Hört sich für mich sympathischer an als dieser BesserOssi Tellkamp. Ohh, wenn ich ihm nun unrecht ... *bauchschmerz*
Liebe Titta,
solltest Du Dich an den Turm wagen (ich glaube, das ist eher ein Winterbuch) - die ersten rund 60 Seiten sind der Rausschmeißer, da musst Du durch, dann wird es besser. Es gibt auch schöne Momente, aber so richtig schön erzählt ist es nicht. Das sind natürlich Geschmacksfragen, andere lieben jedes Wort, von Anfang an.
Das Leben in der DDR wird in den Nachwende-Romanen vermutlich nie so richtig gut vermittelt, weil die Wertung massiv im Wege steht. Eine Ausnahme: Holger Böhmes "Frau Brumbolski, die Anderen und ich". Das ist wiederum mehr was für die Spaßguerilla, schön absurd und so hingeschlenzt - also ich hatte Spaß.
herzlich
kk
@ Titta
Zum Einfühlen der Anfang von Meyers "Als wir träumten":
"Ich kenne einen Kinderreim. Ich summe ihn vor mich hin, wenn alles anfängt, in meinem Kopf verrückt zu spielen. Ich glaube, wir haben ihn gesungen, wenn wir auf Kreidevierecken herumsprangen, aber vielleicht habe ich ihn mir selbst ausgedacht oder nur geträumt."
Den Böhme finde ich leider nicht (das passiert jetzt immer öfter, dass sich die Bücher vor mir verstecken, und ich steh dann so da mit zwei linken Augen)
kk
Über Tellkamps Buch habe ich mich sehr aufgeregt und finde ihn rasend überschätzt. Hier habe ich mich auch schon mal erbost. Es muss eine Altersfrage sein,wie man die Schilderungen von Tellkamp liest.
Ein bisschen sind es auch die Rezensionen ,die meine Abneigung verstärkt haben. Ich erlaube mir mal die Prognose, dass Tellkamp - wenn das Theater mit diesem Turm vorbei ist - wesentlich kritischer beurteilt werden wird. Schon den Eisvogel - vorher -haben sie ziemlich befremdet rezensiert und da hat er auch schon diesen naseweisen Ton drauf, obwohl es ein ganz anderes Thema ist.
tinyurl.com/mqy34l
Clemens Meyer, sicher der scheint sein Image zu pflegen, ich habe ihn noch nicht gelesen. Aber der ist offensichtlich dichter an den Leuten. Das Ding mit der Bierflasche habe ich gesehen, fand ich ganz lustig.
Achso - schnell noch einen. Viele sagen, das Buch von Matthias Wegehaupt "Die Insel" - basierend auf dessen Tagebüchern sei viel authentischer, wenn es um die DDR geht. Das war 2006 und alle Rezensenten sahen in den 1000 Seiten des Buches ein Hindernis. Bei Tellkamp waren sie alle völlig weg.
Na, ich bin dann auch mal schnell weg.
Liebe Magda,
ich habe jetzt Deinen Tellkamp-Text vom Februar gelesen. Und bin entsetzt über Tilman Krauses Rezension, wiewohl nicht überrascht. Ich sah ihn mal bei einer Diskussion über Literaturkritik, da waren noch Greiner und Krekeler u.a., und sie haben geredet und geredet über die 70er und die 90er und von sich, von sich, von sich. Und nicht einen halben Gedanken haben sie daran verwendet, dass es auch in der DDR eine Literaturkritik gegeben hat. Nicht eine Frage haben sie gehabt. Sie kennen's halt nicht. Doch: Die die Veranstaltung war in Leipzig!
So gesehen hat Tellkamp ihnen den größtmöglichen Gefallen geaten - in ihrem Ton das Fremde dem Vertrauten angepasst. Ich dachte beim Lesen: Sieh an, das hast du gar nicht gewusst, so war die DDR also auch. Inzwischen weiß ich nicht mehr, ob das stimmt, ob das nicht doch ein Blick vom Turm der Ahnungslosen ist. Jedenfalls berührt er die Seele nicht.
Und ja, er erfüllt, wie Rosenlöcher es anspricht (und auch Brasch erlebt hat) die Erwartungen der Unwissenden. Wer die erhoffte Antwort nicht gibt, ist raus aus der Wiedervereinigung.
Petras hat den Meyer ja inszeniert, soviel ich weiß, läuft das noch hinundwieder am Maxim-Gorki-Theater. Er hat die Männer mit Frauen besetzt (und umgekehrt) und für den Ton des Romans ganz schöne Bilder gefunden, finde ich.
Herzlich
kk
@Magda
Danke für den Tipp, da schau ich mal. ToiToiToi für morgen!
kk
sehr schöne geschichte. danke.
ich war noch die da und werde es aber eines tages ändern. es ist wie spurenlesen, wenn man die orte besucht, von dem andere erlebtes berichten, dann kann man als verblasste gestalten die szenen der erzählungen an originalschauplätzen noch einmal erleben.
Liebe kay.kloetzer,
Winterroman war das passende Stichwort, da kann ich das schlechte Gewissen noch was aufschieben.
Danke auch noch mal für den Böhme-Buchtipp, das hört sich richtig interessant an.
Mit meinem Büchern ergeht's mir ähnlich. Früher waren es weniger, alle standen sozusagen nur grob sortiert im Regal, trotzdem fand ich immer gleich das richtige. Nun sind sie fein nach Themen geordnet, in alphabethischer Reihenfolge, außer den neuerworbenen, und ich such und such...
Eine letzte Frage noch: wieso ist der Turm nicht richtig schön erzählt bzw. was daran nicht?
herzlich
Titta
Liebe Titta,
ich denke, dass die Konstruktion dem Erzählen im Weg steht. Der Roman ist gut gebaut, es gibt einen Ausgangspunkt (den Turm) und die Kreise, die sich von dort aus, mit der Entwicklung des Helden, immer weiter ziehen. Dann, wenn es politisch quasi eng wird, werden es auch die Kreise. Tellkamp steckt viel Arbeit in die Figuren, auch die Dramaturgie stimmt eigentlich (abgesehen vom Schluss und vom Grundproblem, dass er sich nicht für das ihm Wichtige entscheidet). Aber das eigentliche Erzählen, das Abschweifen, Innehalten, Verplaudern, Zuspitzen und auch mal Geschwätzigwerden - das finde ich nicht. Ich fühle mich nicht an die Hand genommen, und ich finde die Geschichte nicht. Was will er mit mir teilen? Das weiß ich nicht.
Besser kann ich es jetzt leider nicht mehr erklären, der Pfälzer Riesling ist zu Besuch.
Herzlich
kk
Lieber outnumber, heute geht's los, ja? Gute Reise! Und vielleicht kannst Du ja mal ein Lebenszeichen geben aus Izmir? Aber nichts überstürzen.
Hallo Magda,
danke für den Link. Hab schon kurz reingeguckt (ist noch von Februar, da hab ich noch nicht gebloggt), schön ausführlich sogar.
Die wenigen Absätze von Tellkamp, die ich schon gelesen habe, kamen mir zT so sehr bemüht vor. So gedrechselt. Dann diese Endlossätze, wie bei Th. Mann. Oh, und den kann ich nicht ab.
Die Bierflaschenszene, ich glaub, die hab ich sogar auch gesehen. Wirkt vermutlich nur in der Umgebung.
Und noch ein Buchtipp, schön. Momentan fehlt's mir nämlich an interessanter Lektüre. All das, was einem momentan 'offiziell' so empfohlen wird, enttäuscht eher. Lese deshalb grad Junge Leute in der Stadt, DDR-Ausgabe von 1975, günstig über ebay ersteigert.
"die Erwartung der Unwissenden erfüllen" - das ist sehr treffend ausgedrückt. Es stimmt auch in einem ganz vordergründigen Sinne. Ständig sind Erklärungen eingefügt, z.B. wer die 'Digedags' waren, das nervt, auch weil damit seine Zielgruppe klar wird. Er hätte ein Glossar ranhängen sollen.
Hab auch grad gedacht, der Junge muß doch ins Bett, der hat heute doch noch wichtiges vor.
Das ist es: Die Bierflaschen-Szene haben viele gesehen, sie war Titel-Foto bei vielen, war in Tagesschau und Tagesthemen (und sicher auch bei den anderen) - endlich hatte der Literaturbetrieb wieder einen Helden. Über das ausgezeichnete Buch (Es war der Erzählungsband "Die Nacht, die Lichter") sprach kaum ein Mensch. Das ist schon merkwürdig, dass nicht dem Wort mehr die Aufmerksamkeit gilt, nicht mal der Geschichte. Nein, die Themen sind es und die Typen.
Einen Buchtipp habe ich auch noch: Ninni Holmquists "Die Entbehrlichen". Frauen über 50, die keine Kinder haben, werden in die so genannte "Einheit" eingewiesen. Dort gibt es Essen, Bücher, Gärten, alles was ein Wellnesshotel verspricht. Der Preis: Die Insassen stehen der Allgemeinheit zur Verfügung - für Medizinische Experimente und schließlich als Organspender, das heißt dann Endspende. Es ist wirklich bitter, vor allem deshalb, weil die Entwicklung, die dazu führte, real bereits begonnen hat.
kk
@kk
Danke für die Erklärungen zu Tellkamp. Ich fand das sehr gut erklärt, jedenfalls konnte ich gut was damit anfangen.
Das Buch ist so dick, und dann findet sich ein eigentliches Erzählen nicht? Also dieses Mithineingenommen werden in die kleinen und großen Geschichten. Dafür hatte ich doch im Grunde das Buch gekauft, damit das passiert. Schon eigenartig.
Hört sich irgendwie wieder nach Th. Mann an. Von dem wird ja auch immer gesagt, alles klug aufgebaut, aber keine Geschichte zuviel.
Danke nochmal.
@meisterfalk
Diese Erklärungen sind für einen Ossi sicherlich nervig. Aber als Wessi finde ich das schon in Ordnung. Ich glaube, so Sachen gibt es bestimmt auch umgekehrt. Also Leben, worüber Ossis nichts wissen. Aber welcher Westautor käme auf die Idee, das dann auch zu erklären, bzw. das als Phänomen erst mal zu begreifen.
Deine Ausführungen erinnern mich an mein Empfinden, als ich den Film >Das Leben der anderen gesehen habe. Ich habe immer "meine" DDR darin gesucht, so wie ich sie erlebt und gesehen habe, aber die Bilder paßten nie wirklich. Bin mir aber meiner eingeschränkten Sichtweise dabei bewußt.
LG
:-) ich fliege noch genau in 3 std.
ich werde versuchen etwas literarisches zu schreiben, eine idee habe ich im halbschlaf, beim aufwachen, noch ins bewusste gerettet. bei sachbüchern ist es so schön, wenn logik und quellenangaben stimmen, ist man quasi nicht angreifbar. bei literatur muss man sich wohl ein dickeres fell zulegen :-)
@ Titta
Ich Ossi will aber gar keine solcherartigen Erklärungen in Büchern, die im Westen handeln. Wenn ich wirklich mal was nicht kapiere, krieg ich das auch so schnell raus.
Und was sollen denn indonesische Autoren machen?
Clemens Meyers "Als wir träumten" als Gegenbuch zu Tellkamps "Turm" zu bezeichnen, ist unpassend. Tellkampf beschreibt (in der Tat sprachgewaltig bis kunstgeberblich) das Ende der DDR in einem Dresdner Bonzenviertel - was eine gute Idee ist; Meyer berschreibt die Trostlosigkeit der Leipziger Nachwendezeit, was auch eine gute Idee ist und beileibe nicht nur die Stimmung im Leipziger Osten lässig (und übrigens mit allerlei kindischem Sündenstolz, den manche für "street credebility" halten) beschreibt. Der passende Roman über die Übergangszeit (vor uns nach 1989) im Leipziger Osten heißt übrigens "Rabet oder Das Verschwinden einer Himmelsrichtung" von Martin Jankowski. Den könnte man gut mit Tellkamps Buch vergleichen, allerdings hat er 750 seiten weniger... und ist doch komplett.
Hallo marsborn,
da stimme ich Ihnen gern zu: Von Gegenbüchern kann hier keine Rede sein. Da habe ich womöglich unzulässig verkürzt, meinte doch eine Gegenrealität, also ein anderes, naja, Milieu. Wobei der Begriff Bonzenviertel für den Weißen Hirsch es auch nicht trifft, da DDR-Bonzen und Bildungsbürgertum sich weitgehend ausschließen. Und trostlos allein war der Leipziger Osten ja nun auch wieder nicht, noch weniger als Meyers Handlung einsetzt.
Da beide, Meyer und Tellkamp, als die ostdeutschen Erfolgsschriftsteller vorgezeigt werden, entwickelt sich bei mir manchmal dieses Stones-oder-Beatles-Denken, Prince-oder-Jackson-Bekenntnis. Das ist natürlich Unsinn, alles steht für sich und nur für sich. Aber schon die Kategorisierung als Ostschriftsteller nervt mich. Wer nennt Ralf Rothmann oder Sven Regener Westschriftsteller? Eben.
Danke für den Jankowski-Tipp!
Herzlich
kk
"kindischer Sündenstolz" auch nicht schlecht. Ob es zutrifft, kann ich nicht beurteilen, da nicht gelesen.
Bonzen, Bildungsbürger und Dissidenten, da gab es schon interessante Symbiosen, kay.kloetzer, da empfehle ich gerne die Un-Person des Jahrzehnts, Florian Havemann.
Ein Exemplar der ungeschwärzten ersten Auflage von 'Havemann' kann man über'n ZVAB für € 90,- bis 120,- bestellen...