Sprachpleite

Unwort Sprachkritische Aktion kürt "Opfer-Abo" zum Unwort des Jahres 2012

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Das hätte wohl keiner gedacht. „Schlecker-Frauen“ war bis gestern Vormittag die häufigste Antwort auf die Frage, was wohl Unwort des Jahres werden würde. Wahrscheinlich, weil sie schon als Wort des Jahres im Gespräch waren. 163 von 2241 Einsendern hatten den Begriff auf dem Zettel, 125 plädierten für die „Anschlussverwendung“ und 102 für „moderne Tierhaltung“. Nur einer brachte das „Opfer-Abo“ ins Spiel, und die halbe Republik fragte: Häh?

Ja, er war fast vergessen: Der Auftritt von Jörg und Miriam Kachelmann bei „Jauch“ am 14. Oktober. Auch das Interview ein paar Tage zuvor im „Spiegel“. Beides flankierte die Buchveröffentlichung „Recht und Gerechtigkeit. Ein Märchen aus der Provinz", worin das Ehepaar den Prozess wegen Vergewaltigung verarbeitet. Kachelmann war feigesprochen worden.

Der Jauch-Talk geriet zur Schlacht der Vorurteile und falschen Behauptungen, bei der der Moderator eine denkbar schlechte Figur machte, im Grunde gar keine. Und wer es wirklich bis zum Schluss ausgehalten hat, der überhörte vielleicht jenen Begriff, der nun von der Sprachkritischen Aktion zum Unwort des Jahres 2012 gekürt wurde – vor den „Pleite-Griechen“ und der „Lebensleistungsrente“, beides unbeholfene Wortschöpfungen zwischen Volksmund und Politikerkauderwelsch, die zwar die Kriterien der Vereinfachung oder Verschleierung erfüllen, nicht jedoch die von der Jury ebenfalls zum Maßstab gemachten Verstöße gegen Menschenwürde.

„Das ist das Opfer-Abo, das Frauen haben. Frauen sind immer Opfer, selbst wenn sie Täterinnen wurden. Menschen können aber auch genuin böse sein, auch wenn sie weiblich sind.“ Das hatte Kachelmann im „Spiegel“ gesagt.

Erfunden haben soll es: seine Frau. Das twittert der Wettermann gestern nicht ohne Häme: „Hui, das Unwort des Jahres. Wer hats erfunden? ;-) Leider ist es die Wahrheit, die manchmal politisch unkorrekt ist #rechtundgerechtigkeit“. Und wenig später: „Der Erfinder des Unwort des Jahres ist uebrigens eine Erfinderin, was aber fuer den #vollpfostenjournalismus sicher zu anstrengend ist.“ Danach: „In diesem Sinne danke ich Miriam Kachelmann fuer die korrekte Zusammenfassung der Zustaende in weiten Teilen von Polizei und Justiz in D.“

Die Jury sieht es anders: „Das Wort ,Opfer-Abo' stellt in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein." Das hält die Jury für sachlich grob unangemessen "angesichts des dramatischen Tatbestands, dass nur 5-8 % der von sexueller Gewalt betroffenen Frauen tatsächlich die Polizei einschalten und dass es dabei nur bei 3-4 % der Fällen zu einer Anzeige und einem Gerichts-verfahren kommtDas Wort verstößt damit nicht zuletzt auch gegen die Menschenwürde der tatsächlichen Opfer.“

Dieser Appell nicht nur gegen gedankenloses Nachplappern sondern auch gegen gedankenloses Hinnehmen solcher Begriffe geht weiter als das kollektive Einverständnis über sprachlichen oder inhaltlichen Unsinn, über „Schlecker-Frauen“ oder „Ehrensold“.

Damals, als Frau oder Herr Kachelmann den Begriff in die Welt brachten, gab es kaum vernehmbaren Protest. Der ist nun da, weil Sprachwissenschaftler sich nicht nur für mehr Sprachbewusstsein und Sprachsensibilität einsetzen, sondern (auch) Politik machen. Und (indirekt) auf den Zusammenhang von Sprache und Macht verweisen. Der wiederum lässt sich dann auch gut auf „Schlecker-Frauen“, „Pleite-Griechen“ und „Lebensleistungsrente“ anwenden.

(zuerst hier)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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