Mit Sophie Passmann im Plaudertal der Millennials

„Studio Orange“ Sophie Passmann will in ihrer Literaturshow „Studio Orange“ alles besser machen als die doofe Buchkritik und stößt dabei an die Grenzen der Ironie. Seit Mittwoch steht die zweite Folge online. Es sind die beiden Gäste, die sie retten

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Sophie Passmann auf dem Weg ins Plaudertal
Sophie Passmann auf dem Weg ins Plaudertal

Foto: Imago / APress

Zu den effektivsten Methoden, das Sprachgefühl zu verlieren, gehören ein längerer Aufenthalt auf Twitter, Insta und Co. (wer es auf Facebook länger aushält, hat das Ziel bereits erreicht) und ein Seminar für Führungskräfte. Beides forciert eine Art Geheimsprache, die mit Grammatik und Rechtschreibung aufgewachsenen Diskursbeteiligten fremd bis unverständlich bleibt - und dennoch niedrigschwellig. Was genau also will die Autorin Sophie Passmann als Moderatorin der neuen Literaturshow Studio Orange, deren Anspruch es ist, über Bücher zu reden, „als wären wir normale Leute“, wie es in der ersten Sendung vor einer Woche hieß? Eine Antwort gibt die zweite Folge, seit 14. Dezember steht sie in der Mediathek.

„Wir haben nicht daran geglaubt, dass unsere Liebe eine Liebe ist, die es wert ist, geschützt zu werden“, lässt Mithu Sanyal Privates gucken, was Passmann mit Broschengriff in den Sessel sinken lässt. „Nee wirklich Leute!“, frohlockt sie, der auch dieser Abend „auf sehr angenehme Weise entgleist, und das sind immer die besten Abende“. Wesentlich fürs Gelingen sind die Gäste und ist auch, dass denen zuweilen anzusehen ist, wie genervt sie sind. Am deutlichsten Michel Friedman, dem auf die Abschlussfrage, zu welchem Thema er sich ein Buch von lebenden Autoren wünsche, entfährt, er habe keine Lust, das zu beantworten. Und weil die Moderatorin daraufhin hilfesuchend zum Weinglas greift, legt er nach: „Trink!“

Orange ist nicht the new Scheck

Studio Orange wird von ARD Kultur und rbb im Kraftwerk Berlin für die Mediathek aufgezeichnet. Beim Auftakt flankiert von der Schriftstellerin Helene Hegemann und dem Schauspieler und Autor Dimitrij Schaad. Seit diesem Mittwoch sind es die Schriftstellerin Mithu Sanyal mit ihrem Buch Mithu Sanyal über Emily Brontë sowie der Jurist, Publizist und Talkmaster Michel Friedman mit Fremd. Die eine hat das Kinderbuch Die See der Abenteuer von Enid Blyton mitgebracht, der andere den Roman Alle Menschen sind sterblich von Simone de Beauvoir. Das ist das Prinzip: über die Bücher der Gäste zu sprechen sowie über deren Lebenslektüren, die keineswegs neu sein müssen.

Entspannt und lustig soll das Format sein und sich darin von anderen Sendungen unterscheiden, in denen in Sitzgruppen, auf Pferden, in Landschaften über Bücher gesprochen wird. Was wurde denen nicht schon alles vorgeworfen, wobei sie immer dann öde geraten, wenn nicht das Lesen, nicht das Buch, nicht erzählte Geschichten Gegenstand des Interesses sind, sondern Eitelkeit sich in Dominanzgebaren flegelt, wenn eine Agenda den Ton vorzugeben scheint und die größte Aufregung dem nächtlichen Sendeplatz gilt. Darum soll Orange natürlich nicht the new Scheck sein und schon gar kein „Literarisches Terzett“.

Im Plaudertal der Millennials

Die Mediathek kennt keine Sendeplätze. Entspannt und lustig waren Hegemann und Schaad in der ersten Folge, die, weil es die erste war, nicht allzu streng bewertet werden sollte - und mit einer halben Stunde 15 Minuten kürzer war als die zweite. Doch es bleibt dabei: Passmann kultiviert einen Ton, die jene Generation, die sie zu verabscheuen scheint, „fesch“ nennt oder, schlimmer noch, „patent“.

Zwei Begriffe, die so oll sind, dass sie nur mit einem Schwapp Ironie ins Plaudertal der Millennials gespült werden können, wo Ambition bereits in Ironie badet. Oder eben in Riesling. Passmann dominiert trotz gedanklicher Abwesenheit und hüllt in Folge zwei ihr uneigentliches Sprechen nicht mehr in Kulturfeindlichkeit. Freilich war auch die nur behauptet. Als mache sich lächerlich, wer noch liest und darüber spricht und das womöglich sogar in ganzen Sätzen.

„Ich würde mich gern ins Publikum setzen und Euch noch eine halbe Stunde unmoderiert einfach zuschauen“, freut sie sich über Sanyal und Friedman. „Wir haben jetzt eine Million Themen touchiert, und ich habe jetzt zwei Millionen Fragen mehr, und genauso viele habt Ihr beantwortet.“ Und sie sagt es ja selbst: Man brauche Gäste, die so belesen und klug sind, „dass sie nicht beweisen müssen, dass sie belesen und klug sind“. Ach ja, nachdem zum Auftakt Intertextualität auf dem Index stand, ist es jetzt der Begriff Exegese. Englisch geht. „No pressure.“

Passmann im Selbstgespräch

Erlaubt sind Fragen wie: „Was hat dieser Roman von Brontë mit Dir gemacht?“ Oder: „Möchtest Du uns einmal kurz tatsächlich inhaltlich mitnehmen, was bei diesen vier Kindern passiert.“ Oder jene an Friedman, ob es ihm vor oder nach dem Schreiben von Fremd besser gegangen sei. Die wäre noch besser gewesen, hätte Passmann sie nicht entspannt und lustig eingeordnet: „Das ist eine gute Frage, oder?“

Die Gäste sind wirklich gut, sie reden einfach miteinander. Friedman beschreibt die Form seines autobiografisch inspirierten Buches als „eine hohe Anerkennung für jedes einzelne Wort“. Er spricht über Schmerz, eine vergiftete Liebe, die von Angst und Trauer der Eltern geprägt war. „Und dann lebe ich in einem Deutschland, das mir hilft, dass ich nie vergesse, dass meine Schmerzen immer neue Nahrung bekommen“, wenn er Diskriminierung erlebt, Judenhass, „Diskriminierungstatbestände“. Aus diesen Gründen „kann dieses Trauma sich nicht vernarben“. Dies sei kein Seelenstriptease, sondern ein politisches Buch. „Wie absurd wäre das denn, zu glauben, dass man über ein Buch einen anderen Menschen kennenlernen könnte.“ Weil nämlich die Unmittelbarkeit fehle.

Dass Romane und Bücher Identifikation herstellen, erörtert er im Gespräch mit Mithu Sanyal, deren „Identitti“ 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert war. Sie sprechen über die „Erfahrung des Fremdseins, Fremgemachtwerdens“, die, so Friedman, eine universelle sei. Seine Lebensaufgabe sei die Selbstermächtigung, um von dieser Fremdbestimmung loszukommen, um zu bestehen. Er plädiere für „eine maximale Unabhängigkeit, eine maximale Emanzipation, eine maximale Selbstbestimmung. Sei doch, wie Du willst.“

Gedanken, die Passmann kurz ins Therapeutische banalisiert und in Selbstspiegelung mit ihrem Einwurf als „absolut total“ weiße Cis-Frau ihre Privilegien nicht vergessen zu wollen. Das ist es wohl, was neue Zielgruppen ansprechen soll - wie auch Formulierungen à la „tatsächlich ganz, ganz, ganz doll berührt“ zu sein von Fremd. Andererseits besteht sie auf der Wahrnehmung der „lustigen Ebene“ bei de Beauvoir, und deutlich wird, in welchem Maß Witz und Ironie von Intellektualität abhängen.

Gemeinsame Suche nach Antworten

Derweil sind die beiden Gäste sich über Liebe, Gewalt und Endlichkeit einig, nicht jedoch über den Umgang mit Sexismus und Rassismus in Kinder- und Jugendbüchern. Ihr, sagt Sanyal, habe Enid Blytons Abenteuerserie „die Kindheit gerettet“, obwohl die Geschichten „knalle sexistisch und rassistisch“ sind. Sie würde anders schreiben, wenn sie diese Bücher nicht gelesen hätte. Was auch mit der Erfahrung zu tun habe, als Kind ernst genommen zu werden von ihren Kinderbüchern. Warum also umschreiben? Wenn wir „wirklich konsequent wären“, was bliebe dann? Was wäre, wenn Inlandsflüge vorkommen oder dass jemand das Fleisch anderer Lebewesen isst? „Was sagt die nächste Generation zu uns?“

Weil es darauf Antworten geben müsse jenseits von „ist doch alles egal, ist doch Literatur“ und einem Rausschmiss aus dem Kanon, spricht sie sich für das Einordnen mit Nachworten oder Vorworten aus. Friedman sieht das anders, hat ein Problem damit, so etwas vorzulesen und überhaupt damit, rassistische Klischees weiterzutragen. Er „will keine Lösung anbieten“, formuliert aber sein Unwohlsein: „Rassismus in der Literatur hat Wirkungen.“ Darum müssten immer wieder neue Antworten gesucht werden, statt es hinzunehmen mit Verweis auf die Entstehungszeit.

Lesen verführt zum Sprechen miteinander und das wiederum zum Denken ins Offene. So bleibt nach der zweiten Folge das Beste, was sich bislang über Studio Orange sagen lässt, die Auswahl der beiden Gäste, die mit Durchsetzungskraft in einen Gedankenaustausch finden, für den die Moderatorin eine Atmosphäre herstellt, die Entspannung und Lustigkeit ermöglicht, was so anstregend ist, wie es klingt.

In der 3. Folge der Literaturshow "Studio Orange" sind Theresia Enzensberger und Nilz Bokelberg zu Gast, ab 21. Dezember in der ARD-Mediathek.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden