Was macht das Windrad am Berliner Schloss?

Tag der deutschen Einheit Aus dem zu lange beschworenen Zusammenwachsen ist offiziell "zusammen wachsen" geworden. Und sogar die Berliner Freiheits- und Einheitswippe könnte einen Sinn bekommen. Aber anders als gedacht.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Einheit Deutschlands bleibt ein Rätsel. Und es gehört zum Wesen eines Ratespiels, dass Wünsche und Klischees die Freude steigern. „Was wurde per Zusatzvereinbarung im sog. Einigungsvertrag zwischen DDR und Bundesrepublik Deutschland auf Druck einiger Bürgerrechtler/-innen hinzugefügt?“ Hier klingt Antwort B so plausibel, wie sie falsch ist: War es „eine Regelung zur Einsetzung Christa Wolfs als ,Botschafterin des Ostens'?"

Das „Quiz zur Wiedervereinigung" der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) ist zwar nicht ganz frisch, aber hey, was soll sich schon ändern. Frage 7 lässt sich noch immer nicht abschließend beantworten: „Welche Aufgabe hatte die 1990 gegründete Treuhandanstalt?" Wie gewohnt zielen die insgesamt 10 x 3 Antwortmöglichkeiten folkloristisch auf Mauerbau, Mauerfall und Montagsdemonstrationen (C), wobei Letztere vielleicht aber auch unter dem Namen „Mondays for Future“ (A) oder „Montagsrevolte“ (B) „in die Geschichtsbücher eingegangen" sind.
Nicht nur in die Bücher, wie sich nicht erst in diesem Jahr zeigt. Es riecht dieser Tage schwer nach 1989 in Leipzig, wenn im Waldstraßenviertel der Besserwohnenden die Kamine knacken. Draußen geht es am 3. Oktober wieder rund: um den Ring, acht „Aufzüge" sind angemeldet.

Neuer Blick nach innen

Beim NETTO wurden am Samstag mal nicht die Klopapierkampfpackungen, sondern die Einkaufswagen knapp, weil am 3. Oktober dieser Ostfeiertag ansteht, der ja, so viel Einheit muss sein!, auch im Westen frei ist. Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte, dass der Tag der Deutschen Einheit im erhitzten Demo-Herbst 2022 auf einen Montag fällt. Doch gegen Ironie wächst derzeit eine kulturelle Abneigung. Über 30 Jahre nach jenem „Tag, so wunderschön wie heute" (The Kelly Family), an dem die „räumliche Komponente der sozialen Marktwirtschaft" zur Herausforderung wurde, treffen die anderen Herausforderungen „überall im Land auch weiterhin auf regional recht unterschiedliche Voraussetzungen", wie es 2021 im „Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit" zu lesen war.

Dieser Jahresbericht heißt inzwischen „Ostdeutschland. Ein neuer Blick.", weil Carsten Schneider - als Beauftragter fürs Krisengebiet eine Art Christa Wolf der Bundesregierung - die rein wirtschaftliche Sicht auf Dauer öde findet. Ein neuer Blickwinkel könnte dem Motto der offiziellen Einheitsfeier in Erfurt unterstellt werden: „zusammen wachsen". Zu wenig. Zu spät. Orthographische Subtilität löst keine Irritationen mehr aus. Leider.

Viel Verstand und wenig Gefühl

So wie die BpB „äußerer Einheit" (hergestellt) von „innerer Einheit" (gewachsen – ja, nein, vielleicht) abgrenzt, sind Ostdeutsche mit dem Unterschied von äußerer und innerer Freiheit vertraut. Entweder du bist frei, dann bist du es überall. Oder du bist es nicht, dann nützt dir auch der Westen nichts", sagt Visagist Rudi in Aelrun Goettes neuem Film „In einem Land, das es nicht mehr gibt". Dazu passt ein Brief von Heinz, der die 1944 in Frankfurt (Oder) geborene Ingrun Spazier im November 1990 in Hamburg erreichte. Sie hat die „Briefe aus der DDR 1989-1990" jetzt im Verlag Das Kulturelle Gedächtnis herausgegeben.

Ihr Ex-Kollege und Freund Heinz berichtet vom 3. Oktober 1990 in Berlin. „Es ist ein bißchen so, als stünde man auf dem Bahnhofsvorplatz einer fremden, unbekannten Stadt, in der man künftig leben soll", schreibt er. Ahnte er, dass diese Stadt mehr Peine gleichen wird als Paris? „Was jetzt kommt, für die meisten hier, wird nur durchzustehen sein mit viel Verstand und möglichst wenig Gefühl." Zwei Lehren nahm Heinz aus „dieser wilden Zeit": „Zum einen die Gewißheit, daß kein Zustand endgültig ist und deshalb auch kein Zustand hoffnungslos. Diese Gewißheit kann eine große Lebenshilfe sein. Zum anderen die Aufgabe, alles zu tun, um die Instrumentarien der Demokratie lebendig zu erhalten. Es gibt dazu keine Alternative. Wie wir erfahren mußten, hängt unser Leben davon ab."

Wippe, Schaukel oder Karussell

Auf den Spuren des Stoikers Epiktet, nach dessen Worten nicht die Dinge selbst die Menschen beunruhigen, sondern ihre Meinungen und Urteile über die Dinge, spricht BpB-Präsident Thomas Krüger lieber vom Greifbaren als vom Unerreichbaren, von „deutscher Vielfalt" statt von „innerer Einheit'", damit die DDR „endlich auch in ihrer Pluralität in den Blick gerät. Die Menschen sollen sich ein eigenes Urteil bilden können, welches auch immer getragen werden sollte von der Frage: Wie will ich heute und morgen leben?“ Hierfür könne man „aus der DDR-Zeit sehr viel lernen“.

Das „Quiz zur Wiedervereinigung" endet mit einer Frage zum Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin, nämlich ob es an ein Karussell erinnert, eine Wippe oder eine Schaukel. Zum Symbol taugen sie alle auf dem Gesellschaftsspielplatz Deutschland. Noch dazu lässt sich Energie erzeugen, sobald ausreichend Bürgerinnen und Bürger darauf agieren. Wahrscheinlicher aber ist, dass die Einheizwippe, sollte sie je fertig werden, Strom verbraucht: um den Anschein zu erwecken, dass sich etwas bewegt. In klaren Vollmondnächten kann man neben dem Berliner Schloss bereits ein Windrad in den Himmel wachsen sehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden