Im Reichstag saßen die Katholiken, als das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen vor 150 Jahren in das Strafgesetzbuch aufgenommen wurde, mit 60 Abgeordneten einer eigenen Fraktion der Zentrumspartei. Es drohten bis zu fünf Jahre Zuchthaus. Frauen hatten weder aktives noch passives Wahlrecht. Die Nazis verboten dann jegliche „Werbung“ durch Ärzt:innen, womit auch sachliche Information gemeint war, und führten die Todesstrafe ein.
So alt wie der Paragraf 218 ist der Widerstand dagegen: Stets versuchten sozialistische Parteien sowie Frauenbewegungen, den Unrechtsparagrafen zu kippen. Zu dramatisch seine Auswirkungen: Unzählige Frauen verbluteten bei Kurpfuschern oder in Folge selbst herbeigeführter Aborte, etwa per Kleiderbügel. Oder durch Blutvergiftungen. Noch heute, schätzt die WHO, sterben an die 50.000 Frauen weltweit durch unsachgemäß durchgeführte Abtreibungen, dem fünfthäufigsten Grund für Müttersterblichkeit.
Reformen und strafrechtliche Abmilderungen ab den 1970ern änderten nichts am Grundsatz: Wer abtreibt, gilt hierzulande als kriminell. Religiöse Einflussnahme besteht weiter, auch wenn der Staat zur Neutralität verpflichtet ist: So ist selbst der scheinbar harmlose Begriff vom „ungeborenen Leben“ zu einem Kampfbegriff verkommen, weil er gegen die Rechte und Interessen ungewollt Schwangerer eingesetzt wird. Das Thema bleibt daher ein Tabu, obwohl Abtreibungen mit die häufigsten gynäkologischen Eingriffe sind.
Alle Erfahrungen zeigen: Kinder- und Lebensschutz wird dann am besten verwirklicht, wenn Frauen in ihrer Entscheidung unterstützt und geschützt werden, alle Hilfe bekommen, die sie benötigen, und eine gute berufliche Perspektive haben. Kostenlose Verhütungsmittel und sexuelle Bildung von Anfang an gehören dazu. Selbst hier üben Fundamentalisten massiven Einfluss auf, triggern Eltern wie pädagogisches Personal mit „Frühsexualisierung“.
1974 nannte Willy Brandt in einer Generaldebatte den Paragrafen 218 einen „schwer erträglichen Restbestand sozialer Ungerechtigkeit des vorigen Jahrhunderts“. Das gilt bis heute. Deswegen muss er endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Keine Kompromisse. 150 Jahre sind genug.
Kommentare 3
https://www.freitag.de/autoren/magda/wieder-eine-demo-am-bundestag
Vergangenen Samstag war eine Protestdemo vor dem Bundestag, über die ich berichtet habe.
Verkürzt lautet die Aussage: der Kinder- und Lebensschutz funktioniert am besten, wenn Abtreibungen straffrei sind. Ich stimme dem zu. Für diese Aussage gäbe es einen möglichen Beweis. Damals haben sich mehrere tausend Frauen beim STERN selbst beschuldigt, abgetrieben zu haben. Deren weiteren Lebensweg zu untersuchen wäre doch eine gute Grundlage für eine wissenschaftliche Aufarbeitung. Ein Aufruf dazu an diese Frauen daran teilzunehmen dürfte erfolgreich sein.
Frauen wollen die Macht über Leben und Tod ihrer Kinder, sobald aber andere Leute (Väter) ebenfalls daran beteiligt werden, gibt es Konflikte.
Das heranwachsende Leben im Mutterleib kann bis zur Geburt als Teil der weiblichen Körpers aufgefasst werden, obwohl es genetisch vom Zeugungsmoment an eigenständig ist.
Was außerdem gegen die Auffassung des Lebensbeginns mit der Geburt spricht, ist die Option, dass das pränatale Leben von einem anderen als der Austrägerin genommen werden könnte. Wäre das dann - im Einvernehmen mit der Mutter - straffrei, oder andernfalls Körperverletzung, ohne Körperverletzung? Tatsache ist wohl, das das gewollte Kind das Wertvollste überhaupt ist, das ungewollte dagegen, einen extrem schweren Stand im Leben hat, vor allem auch gegegen die eigene Mutter.