Neuköllner Plattschnacker an der Elbe

Platt op´n Rad Plattdeutsch ist eine bedrohte Sprache. Ein Ausflug mit dem Berliner Freundeskreis "Muschelschubser" an die Elbe sorgt dafür, dass man diese Sprache lieben lernt

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Neuköllner Plattschnacker an der Elbe

Foto: Ferenc Isza/AFP/Getty Images

Neuköllner Plattschnacker an der Elbe

Plattdeutsch (Niederdeutsch) ist eine vom Aussterben bedrohte Sprache. Viele Vereine und Organisationen bemühen sich, Niederdeutsch am Leben zu halten. Der Freundeskreis „Neuköllner Muschelschubser“ plant Freizeitaktivitäten „op Plattdüütsch“ in Berlin und Umgebung und trägt so zum Erhalt der Sprache bei. Am Wochenende ging es unter dem Motto „Platt op´n Rad“ an die Elbe und ich war dabei.

Um 6.30 klingelt mein Wecker. Ich will ausgiebig frühstücken, doch mir läuft die Zeit davon. Der Regio nach Wittenberge startet um 8.14 Uhr am Berliner Ostbahnhof und ich habe noch nichts für die Radtour entlang der Elbe gepackt. Bevor ich alles in den Griff bekomme, muss ich mich auch schon aufs Fahrrad schwingen. Ich pette ordentlich in die Pedalen, erreiche den Regio, suche mir mitsamt meines Rades einen Platz im letzten Waggon. Dieses Abteil ist Treffpunkt all derjenigen, die sich für die Fahrradtour „Platt op´n Rad“ angemeldet haben.

Im Abteil fummeln alle noch an den Fahrrädern und rücken ihr Gepäck zurecht, denn nicht nur die Muschelschubser aus Neukölln sind bei dem herrlichen Wetter mit dem Zweirad unterwegs. Die Bahnbegleiterin nimmt das Gewusel locker, redet mit jedem und alle Lachen über das kleine Chaos, das im Waggon entsteht. Es ist sehr familiär. Nach und nach ist die Truppe versammelt. Sieben von insgesamt vierundzwanzig Muschelschubsern haben sich wie ich für diese Tour entschieden. Dabei auch Petra und Marianne, zwei in Berlin gestrandete Nordlichter, die vor zwei Jahren in Neukölln die Zeitung „Kiez und Kneipe“ gründeten. Unser Guide Werner stößt erst am Alex zu uns und wird herzlich mit Namen von der Bahnbegleiterin begrüßt, da wir ihn mit den Worten „Wir brauchen hier dringend noch Platz für Werner“ ankündigten.

Die Radtour ist für Norddeutsche und Plattschnacker gedacht. Menschen, die in Norddeutschland aufwuchsen und die es aus vielerlei Gründen nach Berlin verschlug, meist beruflicher Natur. Und so spricht Werner nur Platt mit uns. Der pensionierte Lehrer gibt sein gesamtes Wissen über die Städte, durch die wir jetzt fahren, auf seiner Heimatsprache preis. Er selbst stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Stade und lebt seit über vierzig Jahren in der Hauptstadt. Mitreisende, die nicht zu unserer Truppe gehören, lernen an diesem Morgen ebenfalls ihre ersten Worte op Plattdüütsch. Werner genießt sichtlich, dass er das ganze Abteil unterhält und animiert.

Wir steigen in Wittenberge aus und Werner erzählt uns die wichtigsten Dinge über den größten Ort in der Prignitz: „Düsse Stod het nu Wittenberge. Wokeen een Neihmoschin hett, de kennt ok Singer. Singer hett vör de Eersten Groten Krieg hier een Waark upboot und daa achtern de grote Tornclock, de gröttste in Europa ...“ . Unser Platt-Wikipedia auf zwei Beinen ist unglaublich. Seine Mimik und Gestik unterstreicht auch die Worte, die ich mir nur mühsam zusammenreime und so verstehe auch ich, dass er von dem Nähmaschinenwerk Singer spricht, das in Wittenberge vor dem Ersten Weltkrieg ein Werk eröffnete und gleichzeitig die größte Turmuhr Europas errichten ließ. Es macht richtig Spaß, auch wenn wir jetzt alle noch einmal nacheinander auf Niederdeutsch wider geben müssen, was er gerade erzählte. Danach starten wir unsere Radtour und machen nach dreißig Minuten schon die erste Pause im sommerlichen „Scherfs Hof“ in Hinzdorf. Hier backt die Besitzerin Frau Schirmacher den Kuchen nach Omas Rezept selbst. Wir schlabbern aber nur einen Kaffee und genießen die ländliche Idylle. Werner schnackt op Platt mit Frau Schirmacher, die sich darüber sichtlich freut. Ihre Großeltern lebten einst mit auf dem Hof und sprachen noch Plattdeutsch mit ihr. Sie liebt diese Sprache, wie sie uns mit einem breiten Lächeln erzählt und erklärt uns dann alles über die Geschichte des Hofes inklusive Gründung des Cafés als Erfüllung ihres Lebenstraums. Während wir der aufgeschlossenen Wirtin zuhören, zerstechen uns die Mücken und somit geht die Fahrt schneller als geplant weiter zur Storchenstadt Rühstädt. Hier gibt es mehr als fünfzig überdimensional große Nester zu bestaunen. In jedem sitzen zwei bis vier Störche. Jetzt ist Marianne, die Fotojournalistin des kleinen Neuköllner Kiezmagazins „KuK“ in ihrem Element. Sie holt die Kamera aus der Tasche und drückt immer wieder ab. Dank der heutigen Digitaltechnik kann sie sich so richtig austoben. In der Zwischenzeit hat Werner einen älteren Rühstädter gefunden, der ebenfalls Platt schnackt und der sich sichtlich freut, endlich mal wieder seine Muttersprache sprechen zu können. Ich bin verwundert, wie viele Plattliebhaber es noch gibt. Von bedrohter Sprache kann fast keine Rede sein. Ist vielleicht wie mit den Störchen, deren Rückgang in Deutschland auf die Verwendung von Pestiziden zurückzuführen war und die heute hier wieder vermehrt übersommern.

Weiter geht es über das hochwassergeprägte Wehr bei Gnevsdorf, wo der Havelvorfluter in die Elbe fließt. Nun müssen wir etwas Strecke aufholen, da wir uns unterwegs auch noch mit Kräutersammeln und die Bestimmung der Flora und Fauna auf Plattdeutsch aufgehalten haben. Wir wollen insgesamt fünfundvierzig Kilometer an diesem Tag schaffen und die Bahn fährt um 16.25 Uhr von Glöwen nach Berlin ab. Daher radeln wir einen großen Teil an der Elbe in Höchstgeschwindigkeit und landen an der weitverzweigten Wehranlage Quitzöbel. Hier erzählt Werner: „Im Junimaant hebbt sei de Wehr opmaakt, dormit datt Elbwaater affließen künn. Datt is datt tweete Maal, datt se datt opmaaken. Datt letzte Maal wörr datt Tweedusenduntwee“ So einfach können Erklärungen sein. Und mit diesen letzten Worten endet auch schon die Sightseeingtour an der Elbe. Wir fahren geschlossen, dennoch sehr schweigsam nach Glöwen, setzen uns in den Zug und hängen ein wenig unseren Gedanken nach. Es war ein schöner Tag mit den Muschelschubsern und für mich ist klar, es gibt ein Wiedersehen.

http://muschelschubserberlin.jimdo.com/

Nächstes Treffen am Donnerstag den 25.07.2013 in Neukölln. Treffpunkt: Broschek, Weichselstraße 6, NR-Raum ab 18.00 Uhr

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Geschrieben von

Nasci

Fachjournalistin Alternativmedizin Themen: - Gesund leben - Glück und Erfolg - Psychologie - Stadt und Land

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