Das Grauen in den Cape Flats

Südafrika In Roger Smiths Roman wird ein Ex-Polizist zum kriminellen Strippenzieher
Das Grauen in den Cape Flats

Foto: Getty Images

Anmutig tanzt das Segelschiffchen auf dem Wasser, es hebt und senkt sich im Rhythmus der Wellen, ist hübsch anzuschauen in den glitzernden Fluten, weshalb der Wind es sich nicht nehmen soll. Als ein Windhauch das Schiffchen nach draußen treibt, greift die kleine Sunny nach dem Spielzeugmodell, rutscht aus und fällt ins Wasser. Gegen die starke Strömung am südafrikanischen Kap hat sie keine Chance, und so ist es eine Frage von Sekunden, bis die Wirbel sie unter Wasser drücken, wieder und wieder, bis das Mädchen ertrunken ist.

Vernon hätte sie retten können. Der ehemalige Polizist beobachtet die Szene. Soll er eingreifen? Ja, vielleicht. Andererseits: Wenn er sich jetzt klug anstellt, kommt er in Kontakt zum Vater des Mädchens. Der, ein erfolgreicher Programmierer, raucht ein paar Meter weiter nichts ahnend einen Joint. Als er den Unfall bemerkt, ist es zu spät. Das weiß auch Vernon, der nun aus seinem Versteck stürzt und vorgibt, das tote Mädchen wiederbeleben zu wollen. Vergebens, was das Leben des Mädchens angeht. Nicht vergeblich, was die Kontaktaufnahme zu Nick Exley, dem Vater betrifft. Der ist dem vorgeblichen Helfer dankbar. Vernon, der mehr noch Krimineller als Polizist ist, wird die neue Beziehung zu nutzen wissen.

Narrative Energie

Sie ist anschaulich erzählt, die Auftaktszene zu Stiller Tod, dem neuesten Thriller des südafrikanischen Autors Roger Smith. Überhaupt kann Smith anschaulich erzählen, er ist mit starker narrativer Energie gesegnet. Aber genau das ist sein Problem, denn der Roman drängt von Mord zu Mord vorwärts. Nach dem Tod von Nick Exleys Tochter ist als nächste die Ehefrau dran (Exley tötet sie in einer Eifersuchtsszene), dann muss ein Schwarzer aus elenden Verhältnissen sterben, um vom wahren Täter abzulenken.

Dann wiederum trifft es einen ermittelnden Polizisten, der der Wahrheit auf die Spur zu kommen droht. Und dann eine weitere Figur, die hier nicht genannt werden soll. Roger Smith, heißt es, wolle mit seinen Romanen auf die krassen sozialen und ökonomischen Gegensätze in seiner Heimat Südafrika aufmerksam machen. Und diesen Anspruch erfüllt das Buch auch streckenweise. Es kommen ein paar elende Gestalten in nicht weniger elenden Vorstädten vor. Der Leser lernt drogenabhängige, arbeits- und ebenso willenlose, verwilderte Gestalten kennen, ruchlose Halunken und Tagediebe, die an den Verhältnissen gescheitert sind. Man kann das, weil es das Label „Südafrika“ trägt, aufwühlend, schockierend, bedrückend nennen.

Die Geschichte könnte überall spielen

Man kann es auch anders sehen: Wenn man nur ein paar Orts- und Personennamen austauscht, einige Details verändert, dann könnte die Geschichte in Berlin, Birmingham oder Brüssel spielen. Denn natürlich gibt es auch dort Verlierer und Gewinner mit vergleichbaren Schicksalen. Warum es einem so schwerfällt, Smith abzunehmen, worüber er schreibt, ist schnell erklärt: Der Roman wirkt, als sei er am Reißbrett entworfen worden, die Geschichte ist voller Figuren, die nicht aus sich selbst heraus leben.

Die Rollen sind allzu klar verteilt: Vernon ist der korrupte Exbulle, aufgewachsen in den Townships von Cape Flats südöstlich von Kapstadt, ein Mann, der versucht, seine Impotenz durch kalte Machtspiele zu überspielen; ein Mann, der seine zuckerkranke Mutter schlägt, bei der er noch wohnt; der nichts dabei findet, um eines kleinen Vorteils willen andere Menschen zu töten; der kalten Herzens seine Intrigen vorantreibt. Exley ist der versponnene Computerfreak, der einen digitalen Avatar seiner Tochter erschaffen hat und gar nicht begreift, in welche Verstrickungen er unter Vernons Regie gerät. Und da ist auch noch Dawn Cupido, eine ganz auf sich selbst gestellte Stripperin, die sich in übelsten Nachtclubs und Bars durchschlägt, im Kampf gegen die Freier ebenso wie gegen die Luden.

Ihr Schicksal und das einiger anderer verwebt Smith zu einem Plot, der den Freunden des Krimi-Genres sicher gefallen wird. Allen anderen wird die Geschichte möglicherweise banal vorkommen. Auch der häufige Gebrauch des einschlägigen Vokabulars wie „Titten“, „Sack“ oder „Eier“ ist sicherlich nicht nach jedermans Geschmack: Man kann es, je nach Lesart, als Realismus der Vorstadt oder als Realismussurrogat empfinden.

Stiller Tod Roger Smith (Ulrike Wasel, Klaus Timmermann, Übers.) Tropen 2012, 379 S.,
19,95 €

Kersten Knipp lebt als freier Autor in Köln

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