Ein Dutzend flatteriger Zelte, auf dem Boden ausgebreitete Plastikplanen, hie und da ein paar traurige Verkaufsstände. Auf dem Platz rund 100 Personen: Ein paar unentwegte politische Aktivisten, überwiegend aber gestrandete Gestalten, Obdachlose, Drogendealer und ihre Kunden, dazu einige Menschen mit bösem oder irrem Blick, andere, die sich die Zeit vertreiben – der Tahrir-Platz in Kairo, Epizentrum der ägyptischen Revolution, kennt nicht nur erhabene Szenen. Zuletzt kamen hier Anfang Februar, nach der Fußballschlacht in Port Said, Zehntausende zusammen, um gegen den Militärrat zu demonstrieren und den Fernsehschirmen dieser Welt ganz nebenbei großartige Bilder zu liefern. Doch der trostlose Alltag des Platzes deutet an, worauf sich die ägyptischen Revolutionäre einstellen müssen: ein zähes, sich wohl über Monate, wenn nicht Jahre hinziehendes Ringen mit den Vertretern des Ancien Régime und dazu mit Teilen der neuen Regierung: den Muslimbrüdern und den Salafisten. Speziell letztere werden von vielen Demonstranten verdächtigt, einen Staat auf islamischer Grundlage errichten zu wollen. Gelänge dies, hätten die säkularen Ägypter auf ganzer Linie verloren.
Doch noch sind die Würfel nicht gefallen, und so nimmt die Kulturszene den Kampf auf. Khaled Hafez etwa, einer der bekanntesten ägyptischen Gegenwartskünstler. Er versucht, die Revolution ästhetisch zu deuten und zu begleiten. Als Ende Januar 2011 sein Freund und Kollege, der Fotokünstler Ahmed Basiony, starb, entschloss er sich, sein Studio zu öffnen. Seitdem sitzen jeden Freitag zehn, zwölf Künstler in seinem Atelier und diskutieren, wie sich die Umwälzungen der vergangenen Monate angemessen darstellen lassen. Einfach ist das nicht. „Man kann leicht in die Falle gehen und zum Chronisten, wenn nicht gar zum Propagandisten der Revolution werden“, erklärt Hafez. „Denn diese hat eine solche Wucht, dass sie dich im Handumdrehen überrollt. Du musst also sehr aufpassen und auf Distanz zu ihr gehen.“ Es muss andere Wege geben, den Menschen ein Bild ihrer selbst zu vermitteln – ein diskreteres, weniger aufdringliches, kurzum: ein nicht-propagandistisches Bild. Hafez selbst ging künstlerisch auf Distanz, noch bevor die Revolution überhaupt ausgebrochen war. 2010, Monate vor den Unruhen, brachte er eine Figur auf die Leinwand, die sehr bald zu einer der meistgefürchteten Gestalten des untergehenden Mubarak-Regimes wurde: den Sniper. Das Gewehr im Anschlag, schaut er durch das Zielfernrohr, jederzeit bereit, den ahnungslosen Gegner niederzustrecken. Reduzierte, knappe Formen, die dem Betrachter zeigen, gegen wen die Ägypter eigentlich auf die Straße gehen.
Kultureller Brain-drain
Andere Künstler pflegen einen offensiveren, pathetischen Stil. Sie zeigen riesige Menschenmassen, in den Himmel ragende Fahnen, unerschrockene Demonstranten vor herandröhnenden Panzern. Vielleicht müssen Newcomer so malen, jedenfalls wenn sie verkaufen wollen, insbesondere an ausländische Galerien. Die Revolution ist hip, sehr hip, und derzeit durchstreifen westliche Kunst-Kuratoren auf der Suche nach jungen, vielversprechenden und verwertbaren Talenten das Land. „Junge Künstler ins Ausland zu holen, ist nicht schwierig“, meint Mona Saïd von der Galerie Safar Khan, die, 1966 gegründet, zu den ältesten des Landes zählt. „Denn in Ägypten existiert kein nennenswerter Markt. Er hat auch nie existiert. Darum gehen die Künstler ins Ausland, sobald sie die Chance dazu haben. Berlin und Beirut – das sind die Hauptstädte der arabischen Gegenwartskunst.“ Sie ist nicht glücklich über diesen kulturellen Braindrain, weiß aber, wie schwer es ist, junge Künstler im Land zu halten.
Hilfreich sind dabei Spender und Sponsoren aus dem Ausland. Allerdings, so sagt Aissa H. Deebi, Kunst-Professor an der American University in Kairo, neigen die Förderer dazu, die intellektuellen Moden ihrer Herkunftsländer auf Ägypten zu übertragen. „Das eine Jahr bekommen wir Gelder zum Thema ‚Postkolonialismus‘, im nächsten Jahr zum Thema ‚Gender‘ und dann zum Thema ‚Iconic turn‘. Wie sollen wir die Studenten da in Ruhe arbeiten lassen und ihnen die Möglichkeit geben, sich gründlich und in der nötigen Ruhe mit einem Thema auseinanderzusetzen?“
Und doch: Die westlichen Gelder sind bitter nötig. „Das ägyptische Kultusministerium interessiert sich kaum für unabhängige Künstler“, erklärt die Kulturmanagerin Basma El Husseiny. „Derzeit versuchen einige Leute aus der Kulturszene, den Kontakt zu dem Ministerium aufzubauen, aber das ist alles andere als leicht. Bis zum Januar 2011, als die ägyptische Altertumsverwaltung eine eigenständige Behörde wurde, hatte das Kultusministerium 90.000 fest angestellte Mitarbeiter“, erläutert sie. Von denen hätten in Zeiten des Umbruchs viele kein Interesse daran, sich zu exponieren und frischen Wind in die Kulturszene zu bringen. Sie haben vielmehr Angst, ihren Job zu verlieren.
Der opportunistische Intellektuelle
Doch die Kulturszene leidet auch an einigen hausgemachten Problemen. Unter Mubarak wurde Ägypten geführt wie ein Wirtschaftsunternehmen, sagt der Ökonom Galal Amin, Autor mehrerer Bücher zur jüngsten Entwicklung des Landes. An erster Stelle stand die bereits vom früheren Präsidenten Anwar El Sadad angestoßene „infitah“, die Öffnung des Landes ausländischen Investoren gegenüber, bei gleichzeitiger Vernachlässigung des öffentlichen Sektors. Entsprechend dünn und schwunglos war das intellektuelle Leben. Der einfachste Weg voranzukommen, lag darin, sich dem Staat anzudienen. Galal Amin spricht von einem Klima, in dem in der Kulturszene vor allem ein Typus gedieh: der opportunistische Intellektuelle. Denker dieses Schlags „waren angesichts der politischen und wirtschaftlichen Zukunft Ägyptens ebenso verzweifelt wie alle anderen auch; alles andere als verzweifelt waren sie hingegen, wenn es darum ging, ihre persönliche Ambitionen zu verwirklichen.“
So haben sich in manchen allzu etablierten Kreisen bizarre Ansichten erhalten. Etwa die, dass man die Wähler der Islamisten durchaus verstehen könne. „Das ist ganz normal“, erklärt ein arrivierter Journalist. „Diese Leute haben ja sonst nichts. Sie leben unter so erbärmlichen Bedingungen, dass sie ohne die Religion gar nicht auskämen. Allein der Gedanke an das Paradies vermag sie über ihre deprimierende Lage hinwegzutrösten.“ So klingt er, der sich aufgeklärt gebende Säkularismus der saturierten Oberschicht. Wäre es nicht endlich an der Zeit, im Rahmen des Gegebenen einen Sozialstaat einzuführen, der wenigstens die gröbste Not lindert? Ja, eigentlich müsse man anfangen damit, kommt es müde zurück.
Und so stehen die, die es ernst meinen mit dem neuen Ägypten, auf schwierigem Posten. Basma El Husseiny etwa, deren Organisation Al Mawred Al Thaqafi in den Slums von Kairo kulturelle Arbeit leistet – „die beste Art, dem religiösen Extremismus etwas entgegenzuhalten“. Oder der Kulturaktivist Hatem Hassan Salama, der an die Schulen seiner Heimatstadt Alexandria geht, um junge Menschen mit traditioneller und zeitgenössischer Kultur bekannt zu machen. In den vergangenen Monaten hat er vor allem eins bemerkt: Die Angst der Menschen vor dem Staat löst sich. Über Jahrzehnte hinweg hatten die Ägypter eine sehr konkrete Vorstellung davon, was unter dem Gewaltmonopol des Staates zu verstehen war. Der Staat war allgegenwärtig, dank des ausgedehnten Sicherheitsapparats blieb ihm kaum etwas verborgen. So krochen den Bürgern Furcht und Mistrauen in die Seele, über die Jahre verkümmerte die Freiheit nicht nur des Redens, sondern auch des Denkens.
Erste Graphic Novel
„Der dauernde Druck hat den normalen Bürger dazu gebracht, seinen Sinn für seine unveräußerlichen Rechte zu verlieren“, schrieb der vor knapp zwei Jahren verstorbene Philosoph Fouad Zakariyya. Darin sah er die größte Gefahr für die Zivilgesellschaft überhaupt. „Gibt sich der Mensch innerlich geschlagen, vermag er auch keinen Widerstand mehr zu leisten. Und irgendwann hat er sogar das Bewusstsein verloren, überhaupt einer Sache beraubt worden zu sein.“ Genau dieses Bewusstsein ist nun zurückgekehrt. „Die Menschen gieren nach Kultur“, erklären El Husseiny und Salma. „Sie wollen Neues zur Kenntnis nehmen, sich neuen Ideen öffnen.“
Kulturell scheint es aufwärts zu gehen in Ägypten, das deutet auch der Fall von Metro an, der ersten ägyptischen Graphic Novel. Als der Autor Magdy Al Shafee das Werk 2008 veröffentlichte, wurde es umgehend verboten – zu unverblümt erschien den Behörden die Kritik an den Zuständen des Landes, was umso bedenklicher schien, als das neue Genre auf ein erheblich größeres Publikum zählen konnte als traditionelle Literatur. Jetzt aber, vier Jahre nach der Erstveröffentlichung, darf Metro wieder erscheinen. Die Kultur verlässt den Untergrund.
Die Auseinandersetzung junger ägyptischer Künstler mit der Revolution zeigt ab 7. März die Ausstellung Ägyptische Kunst heute im Zelt der Tutanchamun-Ausstellung in Frankfurt. Der freie Journalist Kersten Knipp reiste mit Unterstützung der Veranstalter nach Ägypten
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