Dauerpubertät

HOW TO FICKEN Zu Sarah Khans Pop-Roman »Gogo-Girl«

Auf dem Rowohlt Paperback-Bändchen steht der Name Sarah Khan rosarot auf regenbogenfarbenem Herz, das uns witzig und peppig entgegenschlägt, darunter der Titel Gogo-Girl in sonnigem Sattgelb. Auf der Rückseite des Bändchens erfahren wir 1971 als das Geburtsjahr der Autorin, daß sie ein Kind deutsch-pakistanischer Eltern ist, Germanistik studierte, Filmkritiken und Kurzprosa für Fanzines schreibt. Fanzines sind, habe ich mir sagen lassen, im Billigverfahren mit Handvervielfältigung von Jugendlichen hergestellte Blätter, auf denen sich Fans für Fans Popmusikgruppen oder -richtungen widmen. Gogo-Girl ist Sarah Khans erster Roman. Behauptet der Verlag. Rowohlt ist erwiesenermaßen kein Fanzin, und der Begriff Roman erweckt bei mir immer noch Assoziationen von Großformen erzählerischer Prosa. Es ist heutzutage zwecklos, sich darüber zu beschweren, daß ein 150-Seiten-Geschichtchen hemmungslos zum Roman aufgeschäumt wird. Ich tue es trotzdem. Vielleicht ist es auch vermessen, daß man, wenn man keine Marshmallows mag, über die Qualität von Marshmallows schreiben soll. Aber was tut man nicht alles für die Erweiterung des eigenen Geschmacks.

Die Handlung des Buches geht so: Ruth, Studentin der Fächer Theater und Medien, heuert bei der Hamburger Popband »Hirn« als Gogo-Girl an. Sie geht mit ihnen auf Tour, von Darmstadt über Frankfurt nach Berlin. Sie begegnet Leuten, müßte eigentlich an einem Uni-Projekt über gefallene Mädchen arbeiten, träumt vom Vögeln, kommt diesbezüglich auch einmal zum Einsatz, hüpft ab und zu auf der Bühne herum und frustet im Großen und Ganzen über Szene und Leben ab. Das ist es schon, wenn da nicht die Erwartung wäre, Sarah Khan wollte dem Leser unter anderem eine Satire über die Popgesellschaft liefern. Wenn eine Band »Hirn« und ein Radiosender »Bussi Berlin« genannt wird, oder wenn die Heldin Gedichte folgender Güte schreibt: A girl aus Deutschland / oder how to ficken / Dein teach Prof. / In New York. First Lyrik of Nachkriegsgirl / Tut weh / wie die Zeit / in der niemand wußte / how to ficken... dann sind das eigentlich Zeichen für einen stachelnden Blick der Autorin, mit dem man, verfügte man über das Handwerk des Schreibens, eine scharfe Abrechnung mit dem Thema betreiben könnte. Daß es das nicht geworden ist, hat mehrere Ursachen. Ich vermute erstens: Das Thema kann man nicht ironisieren. Zweitens: die Autorin wollte es auch nicht. Drittens: die Autorin konnte es auch nicht. Zum Ersten glaube ich, daß sich Pop in seiner Blödheit zunehmend selbst parodiert und die Grenzen zwischen Publikums- und Selbstverarschung fließend sind. Parodieren kann man nur, was ein unverwechselbares Profil hat. Zum zweiten bin ich davon überzeugt, daß die Autorin im Prinzip einverstanden ist mit allem und diese Gesellschaft so nimmt, wie sie ist. Das ist der größte Vorwurf, den ich ihr mache, denn da wird Literatur für mich uninteressant. Zum Dritten ist zu sagen, daß Sarah Khans sprachlich-literarisches Vermögen eines ist, das ein bestimmter Teil der Literaturkritik heute als DIE Leistung schlechthin favorisiert: es gaukelt »wahre Szenen aus dem Leben moderner junger Menschen« vor, trifft das sogenannte Lebensgefühl der Generation der Mittzwanziger, die unbeschwert von gedanklicher Tiefe, frei von geschichtlichem Ballast spaßig cool an der Oberfläche entlangschlittert und endlich weltweit nicht mehr voneinander zu unterscheiden ist. Sarah Khan hat gewiß einen witzigen Blick auf die Szene. Sie ist Kennerin und weiß, wovon sie schreibt, aber ihre Sicht geht nicht tief. Ab und zu gibt sie einen Seitenhieb auf den Kulturbetrieb ab, auf diese Projekt- und Eventmaschen, mit denen die Kultur umhäkelt wird und die immer wieder in Banalität enden. Das ganze Buch handelt von diesen Banalitäten und ist leider der Gefahr nicht entgangen, selbst banal zu werden. Die Sprache ist leicht, poppig, lockerweich und lässig; ein bissel intellektualisiert, weil die Heldin ja aus dem Uni-Milieu kommt und viele Bücher gelesen und Filme gesehen hat. Sie kennt Song texte, Markenariktel und die große Lebenslangeweile. Sie hat bei jeder Gelegenheit hippe Sprüche drauf. Sie ist total satt. Dialoge zwischen Leuten lauten etwa: »Was machst du im Moment so?« - »Naja. Hol uns mal was Schickes zu trinken.« Der Refraintext eines Songs: Selbstmord in Hamburg, Beerdigung in Mannheim, wie konnte das geschehen, Selbstmord in Hamburg, Beerdigung in Mannheim, wann hast du sie zuletzt gesehen ...; und die Witze gehen so: »Du siehst aus wie Uschi Glas.« - »Ich gebe dir gleich ein Glas und dann kannst du mal uschi.« Haha.

Ich weiß: auch meine Forderung nach lebendigen Figuren in der Literatur ist megaout. Die Leute in Sarah Khans Text sind demnach alles Typen und werden auch als solche bezeichnet. Da gibt es schlumpfige, ölige, hübsche und PA-Typen (was immer das sein mag). Sie heißen Sebastian, Tilman oder Judith und sind allesamt so gesichtslos wie eine Tankstelle. Sie essen Pommes, gehen zu Parties und zeigen ihre Penisse. Die Probleme der Heldin sind neben dem der Menstruation »abgebrochene Sexgedanken, öde Phantasien, Beinhaare, Rasierreste, verwaiste Gummis, abgelaufene Haltbarkeitsdaten, Möpseindustrie und Hamburger bei Burger King...« Das alles glaube ich auf Anhieb. Das alles ist so und wirklich wahr und absolut authentisch. Ich spüre auch diese moderne unbestimmte Unzufriedenheit, denn man weiß ja nicht richtig, wer und was man in dieser Gesellschaft ist. Die Ich-Erzählerin befindet sich in einer Art Dauerpubertät, welche in der Erkenntnis gipfelt: »ich bin nur einer dieser Menschen, denen die Ereignisse nebenbei passieren, und so nebenbei spüre ich sie.« Das wäre ein Satz, mit dem eine Erzählung beginnen, eine fremde Welt eröffnet werden könnte, die mich, wäre sie lebendig gestaltet, vielleicht faszinieren würde.

Sarah Khan: Gogo-Girl. Rowohlt-Taschenbuch-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999, 153 S., 20,- DM

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