Im Stoff der Parzen

KUNSTDEUTSCH AUS ZORN UND ANGST Zum Romanfragment "Der Taumel" von LibusŠe Moníková

Es ist nur der halbe Roman, den der Hanser-Verlag seinen Lesern vorlegen kann: die 1945 geborene tschechische Schriftstellerin und Exilantin LibusŠe Moníková starb 1999 nach langer Krankheit, und die letzten Kräfte, über die sie noch verfügte, steckte sie in die Arbeit ihres Romans. Moníková, der das Jahr 1968, die Niederschlagung des Prager Frühlings, zum Albtraum, wurde und die 1971 in die Bundesrepublik ausreiste, gilt als eine der streitbarsten, engagiertesten und enzyklopädisch denkenden Autorinnen. In ihren Reden, Essays und belletristischen Arbeiten lotete sie die Tiefen ihrer böhmischen Heimat und mit ihnen die der europäischen Geschichte aus. Mit eigensinniger Intelligenz und Zivilcourage focht sie für Wahrheit, Gerechtigkeit und Völkerverständnis, und von Mythen schreibend, wurde sie selbst zum Mythos.

Es muss eine spezielle Parze existieren, die im vergangenen Jahrhundert vornehmlich Autorinnen, die sich an der Gesellschaft des Sozialismus aufrieben, frühzeitig in ihre Netze genommen hat. Auch Brigitte Reimann und Irmtraud Morgner raffte es vor Vollendung ihrer Romane dahin - die Fragmente zeugen vom Kampf gegen die Unbill des Lebens, das zum Ende hin immer mehr das gescheiterte politische System bestimmte. "Parzen ... sie webten Schicksale, trieben sie in die Ösen der Zeit ... Verkettungen, Knoten ... die Knoten bedeuteten Lymphen, Tumore, erbliche Belastungen, Verschüttungen, Verschwörungen, Missbrauch von Idealen, Verrat ... das Jahrhundert der Verschütteten wurde hier geknotet und aufgedröselt." So steht es drohend in Moníkovás Endtext. Die Tatsache ihres verlorenen Kampfes gegen den Tod, sowie das Wissen um den Lauf der Geschichte können den Leser in seinem Urteil über die literarische Qualität ihrer Texte leicht befangen machen.

Der Taumel hat mich taumeln gemacht: Der Maler und Kunsterzieher Jakub Brandl aus Prag ist einem Verhör ausgesetzt, und im raschen Wechsel von Rück- und Vorblicken durch die Zeit wird der Stoff des Schicksals ausgebreitet. Die Geschichte der Familie Brandl ist verwebt mit der politischen Gegenwart, Kunst und Philosophie, mit einem ägyptischen Licht, der Naturwissenschaft und selten, aber wohltuend mit der Liebe und dem Alltag des Zwiebelbratens. Mit taumelnder Diktion, gehetzt, wie vor dem Ersticken, beschwört Moníková die Geister einer Gesellschaft, die schnell und überaus gern mit dem Schlagwort "totalitär" gefasst wird. Mit viel Blut und dicker Farbe werden die Albträume des traumatisierten Helden gemalt, wobei ich gestehen muss, nicht immer richtig verstanden zu haben, worin diese Traumatisierung wirklich besteht. Redend von Versklavung, Ohnmacht und Zerstörung, wird das Wahnsystem des Sozialismus imaginiert, beziehungsweise verargumentiert, und man muss schon Geduld und Lust an Belehrungen haben, wenn man dem folgen will.

Ich habe den Roman immer dann gern gelesen, wenn es um die Beschreibung des Lebensalltags und der unkünstlerischen Nebenfiguren ging. Als empirische Leserin, die nur durch Sinnlichkeit von Handlungen mitzureißen und zu überzeugen ist, stören mich die unzähligen gelehrten Dialoge über Bücher, Filme, Malerei und Naturwissenschaft, die einen Großteil des Buches durchziehen. Diese enorme Gescheitheit ist auch nicht durch die gegenteilige fatalistisch-symbolische Dramatik der Heldenreflexion sinnfälliger zu machen. Die Verbindung zwischen Dichtung und Wissenschaft, deren Tradition von Jean Paul bis Arno Schmidt reicht, gerät zur Hauptsubstanz des Romans und kann Lesern, die anders lesen als ich, ein hohes intellektuelles Vergnügen bereiten. LibusŠe Moníkovás Figuren sind Verstandeswesen. Ungeschlechtlich, wie körperlos üben sie sich in Gedächtniskunst und ziehen in deren Höhe weite Kreise. Die sympathischste Figur des Romanes (und die habe ich wirklich ins Herz geschlossen!) ist für mich daher der große grüne Leguan Pedro, der in einer Badewanne lebt, Salat frisst und Menschen erschreckt. In dieser Geschichte wird Moníková plötzlich lebendig und zeugt von großer erzählerischer Kraft. Sogar Humor und Ironie, die Freunde und Germanisten an der Autorin preisen, die ich aber in vorliegendem Roman vermisse, kommen im Leguankapitel zum Tragen.

Der Taumel ist das Buch einer Belesenen, Gekränkten und Kranken. Es ist die Prosa einer Frau, der Zorn und Angst die Feder führen. Dass Zorn und Angst, wenn sie das Denken diktieren, nicht immer die besten Schreibgesellen sind, beweist nicht nur dieses Werk. In Moníkovás theoretischen Schriften lesen wir, dass Franz Kafka und Arno Schmidt ihre "Widersacher und zwei Stützen" sind - der Paraboliker und der Bastler - ich glaube es ihr sofort! Und trotzdem fühle ich mich sowohl in Kafkas, als auch in Schmidts Welten mehr hineingelassen, als in Moníkovás. Sibylle Cramer weiß sehr treffend über die Ästhetik der tschechischen deutschschreibenden Autorin zu sagen: "Ihre Heimat war die Sprache, nicht die deutsche Sprache, sondern ein freies, allenfalls innerliterarisch gebundenes Kunstdeutsch", ausgestattet mit einem "Kunsthumor".

Für mich liegt das Problem, das ich beim Lesen der Texte von Moníková habe, noch darin, dass ich glaube, die Autorin hat, bei aller widerspenstig-intelligenter Größe, einen zu beschränkten Blick, was die Aufgaben eines Schriftstellers anbelangt. So stellte sie nach 1989 jene bedenkliche, weil fürs Schreiben und Leben hinderliche Frage: "Woran werden die Dichter ihre Wirksamkeit und ihre Qualität messen, wenn sie keine Zensur und keine Verfolgung mehr erfahren ... und wo die Schriftsteller nur noch eine Stimme als Bürger haben?" Solche Haltungen führen zur Selbstfesselung des Schriftstellers, der den politischen Feind zur Parze erhoben und ihm damit Größe und Macht gegeben, die er nicht verdient hatte.

Libuse Moníková: Der Taumel. Carl Hanser-Verlag, München 2000, 192 S., 34,- DM
Literaturmagazin 44: Prag - Berlin: Libuse Moníková. Hrsg. v. Delf Schmidt; Michael Schwidtal. Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999, 189 S., 18,- DM

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