Ruckedieguh, Blut ist im Schuh

BARBARISCHES Mast- oder Hungerkuren, chinesische Fußwickel oder Pumps, Schmucknarben oder Genitalpiercing - der Frauenkörper gilt weltweit als Rohdiamant, der erst bearbeitet schön wird

Eine Frau ist um so begehrenswerter, je stärker die Natur in ihr entfaltet und je nachdrücklicher sie in ihr gebändigt ist. Es kommt also zu der paradoxen Situation, daß der Mann in der Frau zwar die Natur, aber eine umgewandelte Natur umarmen möchte. Sie ist nicht nur Physis, sondern ebenso Antiphysis. Und das nicht nur in der Welt der elektrisch hergestellten Dauerwelle, der Haarentfernung mit Wachs, der Hüftgürtel aus Lastex, sondern auch im Lande der Negerinnen mit Lippenpflöcken, in China oder wo immer auf Erden.« (Simone de Beauvoir, »Das Andere Geschlecht«)

Die Frau, das ist der zweite Akt der Menschwerdung, das »Zweite Geschlecht«, wie Simone de Beauvoir es nannte. Unabhängig davon, ob der patriarchalische Jahwe die Frau aus dem männlichen Brustkasten erschuf oder die chinesische Schöpfergöttin Nü Gua aus einem Lehmklumpen die erste »Menschin« formte, sobald die Frau in einen gesellschaftlichen Bezug zum Mann tritt, wird sie die Zweite, die Andere. »Hombre«, »Adam«, »hommes«, »man«, - viele Sprachen benutzen für »Mensch« und »Mann« dasselbe Wort. Etymologisch sind sie auch im Deutschen miteinander verwandt. Wenn Jener ohne Brüste und Vagina der »Mensch« ist, dann ist die Andere mit den genannten körperlichen Attributen davon ausgeschlossen.

Drakonische Mastkur
Die Frau ist zunächst einmal Natur. Zum Menschen muß sie erst gemacht werden. Das, was augenfällig »Natur« an ihr ist, eignet sich dazu am besten: ihr Körper. Seit Jahrtausenden - quer durch die Kulturen - wird der weibliche Körper umgeformt. Ob Füße, Schädel, Genitalien, Brüste, Taille, Gesicht - Frauen werden beschnitten, gebrandmarkt, verbunden, gefeilt, gepreßt, geschnürt, durchbohrt, gemästet, verätzt. »Im Namen der Schönheit«, so sagen die betreffenden Frauen meistens, falls sie gefragt werden. Falls sie gefragt werden, denn der wissenschaftliche Raum ist merkwürdig leer, wenn es um Sinnfragen geht. Die Erklärung »schön« soll also reichen. Schön ist immer das Eigene: Als merkwürdig, manchmal abstoßend, wird das Fremde empfunden. Von dieser Wertung kann sich kaum jemand freisprechen - egal ob Globetrotter oder Stubenhocker, Wissenschaftler oder Laie.

Kürzlich schenkte mir eine westafrikanische Freundin einen selbstgeschneiderten Rock. »Ich habe ihn für dich extra schmal genäht.« Weil die Europäerinnen so wenig Hintern haben. Trotzdem schlotterte mir der Rock formlos um die Hüften. Die Afrikanerin reagierte entsetzt: »So dünn kannst du doch gar nicht sein!«

Bin ich auch nicht, denn Konfektionsgröße 40 ist ein 08/15-Mittelmaß. Ich, die Deutsche, wiederum besorgte für meine afrikanische Freundin eine Strumpfhose, Größe XXL. »Paßt nicht«, sagte sie und blieb schon beim Oberschenkel stecken. Nun war ich entsetzt: »So dick kannst du doch gar nicht sein!« - Ist sie auch nicht. Ihr Hinterteil hat landestypische Standardgröße. Nichts Außergewöhnliches.

Um die jeweils »normale« Körperform zu erreichen, müssen ihre Geschlechtsgenossinnen einiges durchmachen. Überschrift der in Niamey erscheinenden Zeitung Le Sahel vom 7. Februar 1996: »Mögen Männer lieber die Dicken?« Um ihren Verlobten zu gefallen, stopfen sich manche Frauen aus dem Niger mit Nahrungsmitteln voll. Die dort ansässigen Tuareg mästen mit frischer Milch, Weizenbrei und Datteln. Das Mädchen muß sich vor den Behälter mit Brei hinhocken. Pro Sitzung muß sie circa drei Liter Brei schlucken. Die Djerma-Frauen füllen sich den Bauch mit Getreide oder Mehl, dazu schlucken sie Unmengen Wasser. Falls sie sich übergeben, wird die Prozedur wiederholt. Das alles zweimal am Tag. Das Zwangsmästen junger Frauen ist bei vielen zentralafrikanischen Völkern Voraussetzung für eine erfüllte Ehe. Nicht dick, sondern fett soll die Braut sein.

Manche junge Frau verdoppelt während der Mastkur ihr Gewicht. Großmütter und Tanten wachen bei Androhung von Schlägen darüber, daß die vorgeschriebene Menge fettansetzender Lebensmittel auch wirklich geschluckt wird. Durchfälle, Erbrechen, Bluthochdruck, hormonelle Störungen sind die häufigsten gesundheitlichen Folgen. In Ländern, die regelmäßig von Dürre und Hunger heimgesucht werden, ist die überbordend dicke Frau Statussysmbol des Ehemannes. Sie ist ein lebender Beweis seiner Prosperität. Seine Ernte ist gut ausgefallen, das Portemonnaie gefüllt, die Rinder sind gesund und seine Frauen fett. Alles in Butter.

»Unter anderem muß der Körper der Frau«, schreibt Simone de Beauvoir, »da sie dazu bestimmt ist, als Besitz empfunden zu werden, die weiche, passive Eigenschaft eines Objektes haben. Wird die Frau (...) dem Mann als sein Besitz übergeben, so erwartet dieser, daß ihr Leib in seiner reinen Faktizität gegenwärtig sei. Er soll keine Beziehung zur übrigen Welt haben, nicht etwas anderes als sich selbst versprechen.« (*)

Chirurgische Bildhauer
Kaum ein weibliches Wesen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen, das nicht irgendwann im Leben unter Diät gestanden hätte. Saftfasten, Trennkost, Hollywood-Kur, 1.000-Kalorien-Diät, Null-Diät. Aber ist das Selbstbild erst einmal auf »dick« programmiert, bleibt es meistens dabei. Egal, was die Waage sagt. 600.000 Eßgestörte können nicht irren. Damit die Frau doch noch weniger wird, ist viel exotisches Gerät erdacht worden.

Zur Grundausrüstung eines jeden ordentlichen Dorfes gehört neben Aldi und der Quelle-Filiale heute auch ein Fitness-Studio. Wenn alle chromblitzenden Kraftmaschinen nichts nützen, um aus Wabbeligem Festes zu machen, wenn die Frauen sich erfolglos mit tune-up und work-out abschwitzen, dann gibt es zum Glück noch den Arzt. Der wird die Verwüstungen des Fleisches wieder richten.

300.000 Schönheitsoperationen werden - so die Schätzungen - pro Jahr in Deutschland durchgeführt. 80 Prozent der Patientinnen sind Frauen. Neben dem Gesichtslifting sind es vor allem Brustverkleinerungen oder -vergrößerungen, dicht gefolgt von Fettabsaugungen an Schenkeln und Bauch. Frauen gehen zu Männern, um den mangelhaften Körper in akzeptable Maße bringen zu lassen. Das Skalpell zur Verbesserung weiblicher Ästhetik liegt fast immer in der Hand eines Mannes. Der Schönheitschirurg ist Gestalter und Erschaffer der weiblichen Form, diese These vertritt die Hamburger Ethnologin Angelica Ensel in ihrer Dissertation »Schöpfungsphantasien in der westlichen Medizin« (**). Die Wortwahl der befragten Ärzte spricht für sich. Die operierten Frauen werden als »Kunstwerk» oder »Meisterwerk« bezeichnet, vom »chirurgischen Bildhauen am lebenden Objekt« ist die Rede. Ihre Tätigkeit nennen sie »Verwandlung aus zweiter Hand«, »Gesichtswechsel« oder »Porträtretusche«.

Ensels Fazit: der Schönheitschirurg umgibt sich mit der Aura des Magiers, Künstlers, Priesters und Schöpfers in einer Person. Nobody is perfect, aber der Mann ist der Meister. Nicht nur alternde Frauen mit »Fledermausarmen«, »Fettschürze« oder »Truthahnhals«, auch die Jungen gehören frühzeitig unter das kosmetische Skalpell. Das Geschäft boomt. In den USA ist bereits von der »Norm« die Rede, das Aussehen operativ verändern zu lassen. Zum 18. Geburtstag für die Tochter einen nose-job, eine Nasen-Korrektur - das ist in betuchten Kreisen ein durchaus übliches Geschenk.

Gebrochene Bambus-Schösslinge
Die Welt ist zwar ein Global Village, aber richtig schön sind nur westliche Gesichter und Körperformen. Neuester Trend in Japan und China: Per Skalpell werden aus asiatischen Schlitzen runde europäische Augen, in platte Stupsnasen hohe Nasenrücken implantiert. »Bessere Heiratschancen, bessere Berufsaussichten«, erhoffen sich die europäisierten Frauen.

Dekadente Auswüchse des spätkapitalistischen 20. Jahrhunderts? Mitnichten. Die Kultivierung und Veredelung des Frauenkörpers ist seit alters her eine hohe Kunst. Ob mit Schnürkorsagen, Halsspiralen oder dem ganz besonders kleinen Schuh: »Oh, wie winzig sie sind! Wie gebrochene Bambus-Schösslinge im Winter, wie dreieckige Reiß-Klößchen im Mai, so duftend, so süß. Wie die duftende Kastanien-Blüte im Juni, so zart und spitz.«

Höchsten erotischen Genuß versprachen jene hilflosen Frauen, die wie »zarte Weiden im Wind« schwankten, die »wie Blumen jeden Moment umgeweht« werden konnten. Der süße Duft, von dem der anonym gebliebene chinesische Dichter schwärmte, war eher ein fauliger Modergestank und stammte vom Lotus-Fuß der Angebeteten.

In gehobenen chinesischen Familien sorgten Mütter und Tanten seit dem 10. Jahrhundert dafür, daß die Füße der Tochter eine vollendet-künstliche Form annahmen. Keine Mühe, vor allem nicht Schmerzen wurden gescheut, den Kinderfuß am Wachstum zu hindern. Im Idealfall durfte der Lotus-Fuß nicht mehr als acht Zentimeter aufweisen - wohlverstanden bei der erwachsenen Frau. Im Alter zwischen fünf und sieben Jahren, wenn die Knochen des Mädchens noch weich und formbar sind, bandagierte die Mutter an einem astrologisch günstigen Tag erstmals die noch intakten Füße. Mit drei Meter langen Stoffstreifen band sie die vier kleinen Zehen unter der Fußsohle zurück, zog danach alle paar Tage die Bandage fester in Richtung Ferse. Der Fußrist des Mädchens bekam allmählich die gewünschte, nach oben gebogene Form. Knochen brachen, die Füße schwollen an, die Blutzufuhr war unterbrochen, manchmal fielen halbverweste Zehen ab. Zur »Belohnung» bekam das Mädchen alle paar Wochen neue Schuhe, jedes Paar kleiner und schmaler.

Je winziger der Lotus-Fuß, umso höher fiel der Brautpreis aus. Und umso größere erotische Sensationen versprach sich der zukünftige Ehemann. Der Goldene Lotus im roten Samtpantöffelchen war in China jahrhundertelang Mittelpunkt männlichen Begehrens. Eine verführerische Frau zog auch im Bett die Schühchen nicht aus. Daß sich die Dame kaum noch selbständig vorwärts bewegen konnte, manchmal auf einen Stock gestützt, manchmal auf den Knien rutschend, oft nur noch in Sänften getragen, diese Hilflosigkeit machte sie für die Männerwelt der Oberschicht zu einem unvergleichlich begehrenswerten Luxusartikel. Der Fuß wurde zum pars pro toto. Nicht die Frau als gesamte Person war Adressatin, sondern das fetischisierte kleine Objekt, an dem der Verehrer sich rieb, das er in Gedichten verklärte, aus dessen kümmerlicher Samthülle er alkoholische Getränke zu sich nahm.

Pervers, diese alten Chinesen? Da geht's bei uns germanisch handfester zu. Selbst ist die Frau, hackt sich - ruckedieguh, Blut ist im Schuh - in unserem Märchen vom Aschenputtel kurzerhand die Ferse selber ab, damit der goldene Pantoffel endlich paßt. Den Prinzen bekam sie trotzdem nicht. Der Schwindel flog nämlich auf.

(*)Simone de Beauvoir, Das Andere Geschlecht.
(**)Angelica Ensel, Nach seinem Bilde, Schönheitschirurgie und Schöpfungsphantasien in der westlichen Medizin, Bern 1996.

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