(K)Ein CSD in Kreuzberg. Schade.

Eventkritik Der Aufstand ist zum Schoßtier des Kapitalismus verkommen. Sogar im queeren Kreuzberg ist es nicht mehr möglich einen politischen CSD zu veranstalten - was lief schief?

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ls ich mit 17 auf dem Kölner CSD (meinem ersten CSD überhaupt) war, überkam mich dieses kribbelige Gefühl von Gemeinschaft und Stolz – und auch wenn mir damals schon viel von der Pop-Musik und den kommerziellen Wägen gegen den Strich ging, lag ein bisschen Ausnahmezustand in der Luft. Sogar auf den Trierer CSDs oder denen in Saarbrücken – also weit weg von der Hauptstadt und mit wenigen Teilnehmern, ganz tief im Westen, überkam mich immer dieses Gefühl. Nennen wir es die „Aura“ des CSD. Der Rest von Riot? Ein transzendenter Rest von Aufbegehren? Irgendwas war in der Luft.
Gleiches galt für den transgenialen CSD, den großen CSD, das Motzstraßenfest, egal wo: ein Haufen queerer Menschen hatte immer eine Aura.
Jetzt ist der große Berliner CSD in zwei CSDs aufgespalten worden und was vorher transgenial war, wurde von „Einem CSD in Kreuzberg“ ersetzt. Auf die Debatte um den kommerziellen CSD will ich mich nicht einmischen, weil ich weder auf der Veranstaltung des CSD e.V. war noch auf der des Aktionsbündnisses CSD, eine gute Zusammenfasung gibt es in der Siegessäule.
Irgendwie fühlte ich mich dem Kreuzberger CSD verpflichtet, unvoreingenommen und ohne Erwartungen, auch wenn ich das Motto seltsam unqueer fand und die Veranstalter aus der Gastronomie mich skeptisch stimmten. Ich vertraute der alten Riege und ihrer Erfahrung, Menschen, vor denen ich eigentlich Respekt hatte und: ich wurde massiv enttäuscht. Weil ich auf Facebook nur Selbstbeweihräucherung fand, ist es Zeit für einen kritischen Kommentar und eine fruchtbare Diskussion:

Was da die Oranienstraße entlang dackelte, war seitens der Organisatoren in ihren Robben und der eklektischen Musik, die Karikatur einer Parade, die sich auf einen Aufstand beruft. Ist das, was politische Willensbildung 2014 aus der queeren Community heraus bedeutet? Trashiger Pop von einer Robbe runterspielen? Bis auf ein paar übereifrige Ausnahmen tanzte keiner, gemerkt?
Um das ungute Gefühl im Bauch zu konkretisieren und Kritik fundierter zu äußern, auf an die Spurensuche: War es der Titel, der mit dem unbestimmten Artikel so eine passiv-aggressive Stimmung und Distanz zur Veranstaltung aufbaute? Schließlich war es DER Kreuzberger CSD. Oder lag es an den Leuten, die in der Oranienstraße zusammenkamen und von denen einige gar nicht wussten, was der Unterschied zwischen dem “Kreuzberger” und dem alten “transgenialen” CSD ist? Sind wir alle schon zu sehr daran gewöhnt da aufzuschlagen, ein Bierchen zu trinken, Bekannten „Hallo“ zu sagen und dann wieder zu gehen? Was ist der Unterschied zwischen dem überkommerzialisierten 1. Mai und dem, was sich letzten Samstag auf den Aufstand in der Christopher Street bezog?
Es gab keine VIP-Bühne vor der Luzia, stimmt. Und die Crowd war maßgeblich queerer, stimmt. Aber trotzdem sah man Glitzerfressen und Leute in Outfits, die aussahen wie ein Fehlkauf im Gesamtwert von 20 Euro im 1-Euro-Laden. Nichts gegen krasse Outfits zum CSD, aber der Unterschied zwischen der Transe mit dem Parfum-Flacon auf dem Kopf, die nachts im Berghain war und den queeren Outfit-Missverständnissen (queer = möglichst hässlich und viel davon) ist frappierend. Kein Witz, keine Selbstironie – nur Selbstreferentialität und aus Unsicherheit gespeiste Arroganz. Es muss ja nicht gleich Kopfschmuck sein, der die Fähigkeiten eines verrückten Hutmachers voraussetzt, aber ein bisschen mehr Mühe kann man sich geben, wenn man schon auffallen will. Und ein bisschen mehr Abstand zu sich selbst täte allen gut.
Das war leider kein CSD in Kreuzberg, das war Queerness im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Das war, wie ein Freund von mir sagte, die Jagd nach dem „pink Pound“. Melken Szene-Gastronomen (vornehmlich männlich besetzt, nebenbei bemerkt) die Community, damit ein bisschen mehr Bier verkauft wird? War der CSD in Kreuzberg eine Pflichtübung? Oh shit, es gibt kein Straßenfest, also organisieren wir schnell was, weil uns sonst Einnahmen wegfallen.
So berechnend wird man bestimmt nicht gewesen sein, aber so wirkte es. Und – auch wenn das nicht die offensichtliche Intention der Veranstalter war und wenn man mir dafür den Kopf abreißt – darum ging es. Unter dem Deckmantel des Provisorischen und trotz selbsteingestandenem Mangel an Transparenz, war die Veranstaltung eine Farce. Genau wie der 1. Mai vollzog sich letzten Samstag wieder einmal ein Beweis für die depolitisierende Macht des Kapitalismus. Jede Zusammenkunft wird durch gastronomisches Zutun und laute Beschallung immer besoffener und weniger politisch, die Banalität des Bösen als Straßenfest. Die O-Straße als Kirmesplatz. Natürlich gab es Kundgebungen und Reden, und es war natürlich nicht alles schlecht, aber was am Ende zählt, ist die Grundstimmung – und die war wie bei einem Furzkissen ohne Furz.

Die alte Riege der schwul-lesbischen, selbstbetitelt queeren, Berliner Subkultur hat der Community, die am Samstag auf der Oranienstraße zusammenkam, ein Thema vorgesetzt, das den O-Straßen-Kiez zum Thema wählte, obwohl die meisten Leute, die kamen, bestimmt nicht dort wohnen. Rhetorisch könnte man das als pars pro toto verstehen, die O-Straße als Flaggschiff für die queeren Interessen aller, aber irgendwie wirkte es eher wie selbstherrliche Artikulation von Kiezinteressen. Versteht man denn wenigstens in der Ecke eine gute Party zu schmeißen und ein bisschen Politik einzustreuen? Die musikalische Unterhaltung war schlecht und die politischen Nachrichten dank ihrer Redundanz nicht mehr als Hintergrundrauschen. Es gab sie, die witzigen Schilder: “Heteromann auch dein Rektum ist politisch” oder “I <3 Fischbrötchen”. Hätte mehr davon dem Straßenbild gut getan? Hätten noch mehr Banner von Dächern gerollt werden sollen, wie das vom Neuen Kreuzberger Zentrum mit der Aufschrift “Wir sind nackt geboren. Der Rest ist Drag. Fuck identity”?
Was der Community fehlt, sind gemeinsame Ziele, die diese Community bilden helfen; Veranstaltungen, die durch kulturelle Produktion Identifikation schaffen, die Angebote machen, die auch Spaß machen, die aber auch politisch sind. Die Party ist eine Möglichkeit Gemeinschaft zu erzeugen, aber irgendwie ist dieser Modus ausgeleiert. Zu minderkomplex kann sie sein, wenn sie schlecht aufgezogen ist. Und das bisschen Straßenfest war leider schlecht aufgezogen, daran hätte mehr Schilderaktion auf der Straße auch nichts geändert. Der Versuch eine Plattform zu bilden, musste scheitern, weil die Mechanismen und Praktiken überholt sind – wenn sie schlecht umgesetzt werden, wird das nur umso klarer. Ein Beispiel: Das Buzzword “Solidarität” ist zur Phrase verkommen und lässt sich so übersetzen: Partikularinteressenvertretung und geteiltes Selbstmitleid. Natürlich sind Mieterhöhungen in Kreuzberg scheiße, aber in Neukölln genauso und überhaupt – nicht nur für queere Menschen. Natürlich ist Solidarität wichtig, aber durch ein bisschen Party-Umzug und ein bisschen Kundgebung und ein bisschen Tanzen werden wir nicht solidarischer Miteinander. Dadurch werden wir auch nicht politischer. Die Rede von Patras Bwansi aus Uganda war interessant, die Homophobie in Afrika als Konsequenz des Kolonialismus zu beleuchten ein wertvoller Hinweis, aber wenn sich der Zug danach in Bewegung setzt und alle semi-fröhlich zu der Musik der fahrenden Club- bzw. Kneipewerbemaßnahmen tanzen, dann hinterlässt das einen bitteren Nachgeschmack. Das war wie ein CSD aus der Dose, mit den notwendigen Elementen, aber ohne Seele, ohne Geist, ohne Aura.
Die Veranstaltung bediente sich ausgetretener Muster, die durch die schlechte Umsetzung nur noch ausgehöhlter wirkten. Die Nachfolge des transgenialen CSD so anzutreten war eine leichtfertig und selbstgerecht verspielte Chance. 2014 muss es doch möglich sein, auch kurzfrisitg, in Kreuzberg mehr auf die Beine zu stellen, als eine Veranstaltung auf dem Niveau „Wutbürger“ auf Sterni, die denken sie wären auf der Loveparade. Aller Hindernisse, aller Kurzfristigkeit zum Trotz: dieser CSD kam nicht aus der Community, sondern die selbstgewählten Vertreter (Bierausschenker und Partyveranstalter) der Community setzten uns ein Lippenbekenntnis von Protestparade vor. Da hat jemand scheinbar den Bezug zur Realität und queeren Menge verloren. Sind wir auf dem Weg in die Party-Diktatur? Gibt es überhaupt noch eine Community?

Es ist zu scheinbar zu gemütlich geworden, im linken Milieu hat der Profitschimmel angesetzt. Muffig roch‘s schon länger, so offensichtlich war es noch nie. Die Berliner Subkultur ist mehr Gastronomie als Infrastruktur für politische Willensbildung, wer mir nicht glaubt, der war am Samstag schon zu besoffen. Aus Institutionen wurden Partymacher, die nicht mehr dazu in der Lage sind, die Realität queerer Kultur und Kritik widerszuspiegeln. Der Aufstand geht anders und was vom Riot aus der Christopher Street in der Oranienstraße geblieben ist, macht mich traurig.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Kevin Junk

Freier Journalist und Blogger über alles zwischen Pop- und Subkultur.

Kevin Junk

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