Mückenwedeln und Stockfehler

Die Fußballversteher Der Juso-Bundesvorsitzende erklärt, warum ihn diese WM kühl lässt
Ausgabe 25/2018
Fußball verbindet: Putin, FIFA-Boss Infantino und der saudische Kronprinz bin Salman beim Eröffnungsspiel
Fußball verbindet: Putin, FIFA-Boss Infantino und der saudische Kronprinz bin Salman beim Eröffnungsspiel

Foto: Moritz Müller/Imago

Seit gut einer Woche läuft die Fußballweltmeisterschaft und ich bin irgendwie noch nicht so richtig im WM-Modus. Nationen-Wettkämpfe waren zwar noch nie meine größte Leidenschaft, aber als Liebhaber des Fußballs bin ich da immer pragmatisch gewesen: vier Wochen weniger Sommerpause. Ist ja auch was Schönes, da will man nicht wählerisch sein.

Aber warum zündet diese WM bisher noch nicht so richtig? Ich gebe zu, als Linker will ich dieses Turnier nicht ohne den politischen Rahmen betrachten, in dem es stattfindet. Und da nehmen sich Gastgeberland und Veranstalter herzlich wenig in ihrer wurstigen Verachtung von so vielem, was mich am Fußball begeistert.

Immer wieder wird uns erzählt, dass der Fußball eine soziale Funktion hat. Dass er helfen kann, Konflikte zu befrieden, Menschen zueinander zu bringen. Viel Geld nehmen die Verbände in die Hand, um diesen Mythos zu beschwören und rührige Bilder von glücklichen Kindern zu produzieren. Und siehe da, auch auf den Tribünen bringt der Fußball die Menschen zusammen. Nehmen wir das Eröffnungsspiel und werfen noch mal einen Blick auf die Ehrentribüne des Stadions Luschniki in Moskau. Da saßen sie in trauter Eintracht beieinander, der russische Staatspräsident Putin, FIFA-Boss Infantino und der saudische Kronprinz bin Salman. Man schäkerte und genoss die weltweite Aufmerksamkeit. Es war ein Wimmelbild des taktischen Unvermögens: Stellungsfehler in der Ostukraine, Stockfehler beim Aufbau demokratischer Verbandsstrukturen und eine frappierende Offensivschwäche bei der Schaffung gleicher Rechte für Männer und Frauen.

Und während Robbie Williams noch am Trällern war, war mir schon latent die Lust am Spiel vergangen. Zumal am selben Tag bereits der LGBTI-Aktivist Peter Tatchell in Moskau festgenommen wurde. Nachdem er sich erdreistet hatte, im Moskauer Zentrum gegen die Verfolgung von Homosexuellen in Tschetschenien zu protestieren, wurde er von der russischen Polizei vom Roten Platz gestellt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Team Menschenrechte startet dezimiert in das Turnier. Da hilft auch die FIFA nicht, die auf Grundlage ihrer großzügigen Ethikregeln erklärt hat, Regenbogenfahnen würden in den WM-Stadien „geduldet“. Heidewitzka!

In der Bevölkerung scheint die Begeisterung jedoch weniger ausgeprägt zu sein als in der Loge des Staatspräsidenten. Beim Eröffnungsspiel blieben zahlreiche Plätze leer, und WM-Stimmung kam bei manchen Spielen auch noch nicht so recht auf. Kommt doch mal Bewegung auf die Ränge, dann liegt das meist an der Abwehr der Mückenplage. Die Zurückhaltung mag allerdings auch mit den sportlichen Darbietungen zu tun haben. Insbesondere Favoriten wie Argentinien, Brasilien oder Deutschland haben sich in ihren Auftaktspielen uninspiriert präsentiert, viele Spieler wirken nach der langen Saison ausgelaugt. Wer mag es ihnen verdenken. Und die Aussicht auf eine WM 2022 in Katar, bei der unter tropischen Temperaturen nach Vorstellung der FIFA-Spitze 48 (!) Teams gegeneinander antreten sollen, lässt für die Zukunft noch Schlimmeres erahnen. Da wirkt die diesjährige Weltmeisterschaft fast wie ein flauschiges Jugendturnier.

Und so halte ich mich fürs Erste an den erfreulichen Momenten der ersten Woche fest: eine begeisternde Iberische-Halbinsel-Meisterschaft zwischen Spanien und Portugal bei Cerveja und Iberico-Schwein auf der Terrasse meines Berliner Lieblings-Portugiesen. Bitte mehr davon, liebe WM!

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden