„Undine“ von Christian Petzold: Liebe ist wie Wasser

Film „Undine“ will bei Christian Petzold keine Projektionsfläche mehr sein, sondern eine autonome Person
Ausgabe 27/2020
Und auch in der Städtebaupolitik ist Undine (Paula Beer) in ihrem Element
Und auch in der Städtebaupolitik ist Undine (Paula Beer) in ihrem Element

Foto: Christian Schulz/Schramm Film

Im heutigen Berlin arbeiten selbst mythische Figuren als Freelancer. Zumindest in Christian Petzolds neuem Film Undine. Undine, so die Sage, ist ein Wassergeist und wird von Männern gerufen. Wenn der Mann sich aber von ihr trennt, muss sie ihn töten und wieder in die Unterwasserwelt zurückkehren. Im Film arbeitet Undine (Paula Beer) im Auftrag der Berliner Senatorin für Stadtplanung. Sie ist promovierte Historikerin und leitet Führungen, bei denen sie Besuchergruppen die architektonische Geschichte der Stadt – etwa im Kontext der Gründerzeit oder der DDR – näherbringt.

Wir sehen sie zum ersten Mal draußen vor einem Café sitzen. Ihr Freund Johannes (Jacob Matschenz) ist gerade dabei, sich von ihr zu trennen. Das Gespräch verläuft stockend, sie blickt regungslos nach unten, hinter der gefassten Fassade deutet sich ein aufgewühltes Inneres an. Sie hätte es doch ahnen müssen, sagt er und versucht, sie zu besänftigen. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens entgegnet sie geradeheraus: „Wenn du dich von mir trennst, muss ich dich töten.“

Es ist eine zunächst unscheinbare Szene, und doch ist es faszinierend, wie eine alltägliche Begegnung hier unvermittelt eine mythische Dimension annimmt. Auch im weiteren Verlauf des Films werden diese beiden Ebenen konsequent miteinander verflochten. Petzold verfolgt damit eine ähnliche ästhetische Strategie wie schon in seinem letzten Film, Transit, in dem er Anna Seghers’ gleichnamigen Roman, der die Geschichte einer Flucht vor den Nationalsozialisten erzählt, in das Marseille der Gegenwart verlegte.

Die Figur der Undine hat ein langes kulturgeschichtliches Erbe. Schon in den Metamorphosen des römischen Dichters Ovid taucht sie auf. E. T. A. Hoffmann hat eine gleichnamige Oper geschrieben, der präraffaelitische Künstler John William Waterhouse hat sie gemalt. Für Petzold war bei der Entwicklung des Films jedoch nach eigener Aussage Ingeborg Bachmanns 1961 erschienene Erzählung Undine geht maßgeblich. In ihrem Monolog bezeichnet Undine die Menschen darin als „Ungeheuer“ und erteilt dem männlichen Begehren eine Absage: „Denn ich werde nicht wiederkommen, euren Winken nicht mehr folgen, keiner Einladung zu einem Glas Wein, zu einer Reise, zu einem Theaterbesuch.“

In Undine findet eine ähnliche Verschiebung statt, denn der Film ist ebenfalls aus ihrer Perspektive erzählt. Und sie verweigert sich auch hier den Gesetzen des Mythos, will keine Projektionsfläche mehr sein, sondern ein selbstbestimmter Mensch. So erzählt der Film Undines Geschichte als modernes Großstadtdrama, stressiger Job und kleine Ein-Zimmer-Wohnung inklusive. Sie will Johannes, der sie für eine andere Frau verlassen hat, eigentlich nicht töten, genauso wenig wie sie wieder im Wasser verschwinden möchte. Mit ihrem neuen Freund Christoph (Franz Rogowski) führt sie eine Fernbeziehung zwischen Berlin und dem Bergischen Land, wo dieser als Industrietaucher arbeitet.

Es ruckelt und zerbricht dann

Gerade die Beziehung der beiden zeigt der Film mit großer Zärtlichkeit, und Paula Beer und Franz Rogowski sind ganz fantastisch in ihren Rollen. Bei ihrer ersten Begegnung in einem Café stolpert Christoph gegen ein Regal, auf dem ein großes Aquarium steht. Es ruckelt, dann zerbricht es und schwemmt die beiden regelrecht zu Boden. Dort liegen sie zunächst bewegungslos und schauen einander an, dann zieht Christoph langsam zwei Glassplitter aus Undines Oberkörper. Als sie übers Wochenende zu ihm kommt, läuft er am Bahnsteig neben dem einfahrenden Zug her und begrüßt sie überschwänglich – eine amüsante Umkehr der klischeehaftesten aller Kino-Abschiedsszenen.

Undine verzichtet auf lange Dialoge oder eine stringente Erzählung. Der Film entwickelt sich vielmehr um einzelne, poetisch verdichtete Momente herum. Einmal begleitet Undine Christoph auf einen Tauchgang. Die beiden schwimmen spielerisch umeinander herum, die Zeit steht für einen Moment still. Stück für Stück sehen wir dann, wie sich die einzelnen Teile von Undines Tauchausrüstung lösen. Die Kamera blickt von unten zu dem schwebenden Körper empor, durch die Wasseroberfläche dringt schimmerndes Licht. Es ist ein Moment von entrückter Schönheit, der umso schöner dadurch wird, dass er sofort wieder gebrochen wird: Undine scheint zu ertrinken und Christoph summt zur Wiederbelebung am Ufer Stayin’ Alive von den Bee Gees vor sich hin. Undine öffnet die Augen und sagt: „Kannst du mich noch mal wiederbeleben?“ Und irgendwie macht das alles Sinn.

Die gesellschaftspolitische Dimension, die oft bestimmend ist für Petzolds Filme, tritt hier in den Hintergrund, kommt aber in Undines Vorträgen zum Vorschein. Einmal ist darin das Berliner Humboldt Forum Thema. Dass dafür nicht eine neue Form gefunden, sondern ein Herrschaftspalast aus dem 18. Jahrhundert wieder aufgebaut werde, so Undine, sei fragwürdig. Dass Kritik an dieser Restauration mitunter mit dem Hinweis beiseitegeschoben werde, die Form des Gebäudes sei nicht maßgeblich für die Funktion, laufe auf die frustrierende Annahme hinaus, dass „Fortschritt unmöglich“ sei. So ist die mythische Figur Undine in diesem Film nicht zuletzt auch: eine Kritikerin geschichtsvergessener deutscher Städtebaupolitik.

Undine Christian Petzold Deutschland 2020, 90 Minuten

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