Alles Popcorn: von Tacos, Beef & Biosprit

Wasser Zur Verknappung des Lebensmittels durch Verbrauch gesellt sich dessen bedenkenlose Vergiftung. Teil 3 eines Lese-Features zum Thema Nachhaltigkeit

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Eine Biotreibstofffabrik: Das Prinzip "Ethanol statt Nahrung" hat unangenehme Nebenwirkungen
Eine Biotreibstofffabrik: Das Prinzip "Ethanol statt Nahrung" hat unangenehme Nebenwirkungen

Bild: Scott Olson/Getty Images

Eine Tüte Popcorn oder Nachos mit Dip: Wer hat sich nicht das „fiese Zeug aus industrieller Produktion37 besorgt, bevor es im Kinosaal dunkel wird oder auf der Couch bequem. Denn ganz selbstverständlich gilt, das sinnliche Erlebnis für Augen und Ohren möglichst auf der Zunge zu vervollkommnen. Je wichtiger der Anlass -das Festival, die Premiere-, desto erlesener zwar die Bewirtung. Mais aber hat, egal in welcher Form, seine Sättigungsfunktion seit dem Neolithikum beibehalten. An der Kulturpflanze hat sich verändert, vor allem was Kultur angeht.

Von Anbau und seinen Methoden ist Sesshaftigkeit38 ebenso bedingt wie diese wiederum neue bzw. unterschiedliche Kultivierungen und Lebensweisen hervorgebracht hat39. Ihnen zu genügen, zu begegnen, sie zu decken oder zu befriedigen: „to meet the Needs40, wie es die Brundtland-Kommission formuliert, setzte voraus, Bedürfnisse und Ressourcen nicht nur jeweils einzeln zu bestimmen41. Sondern sie sollen miteinander in eine sinnvolle Beziehung gesetzt werden42. Erstmals ausdrücklich benannt ist seit 1987 aber auch der Zeit- als unwillkürlicher globaler Faktor. Wenn von den „Möglichkeiten künftiger Generationen“ die Rede ist, so drückt sich darin ein ggfs. moralisches Prinzip aus, soweit es um deren Wahrung geht43. Unbestreitbar ist jedoch, dass mit der Erkenntnis von der Endlichkeit von Ressourcen44 ein Gefühl zeitlicher Dringlichkeit Platz gegriffen hat45.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/e4/Crops_Kansas_AST_20010624.jpg/640px-Crops_Kansas_AST_20010624.jpgFelder in Kansas; NASA-Aufnahme, deren und die Rechte von Wikipedia vorbehalten, http://en.wikipedia.org/wiki/Ogallala_Aquifer#/media/File:Crops_Kansas_AST_20010624.jpg

Folgerichtig ist, dass mit der drohenden Wasserknappheit in den Plains das Kerr Center die Gedanken von Gemeingut und Allmende verbunden hat. Denn mit der Politologin Elinor Ostrom und ihrem 1990 erschienenen „Governing the Commons46 wurde der kulturpessimistische Ausblick von der sogenannten Tragik der Allmende47 überwunden: Sie legte dar, dass die freie Nutzung von frei verfügbaren Ressourcen keineswegs zwangsläufig zu deren Übernutzung führen müsse. Zur Popularität in den USA mag auch beigetragen haben, dass Ostrom ihre ersten Untersuchungen anhand der städtischen Wasserversorgungen unter den historisch knappen Bedingungen der kalifornischen Küste vorgenommen hat. Besonderen Charme entwickelten ihre Ansätze aber, weil sie ganz selbstverständlich zunächst die menschlichen Grundbedürfnisse von Nahrung, Kleidung und Wärme sowie Systeme zu deren Befriedigung konkret ansprach: Forst-, Fischerei-, Boden- und Wasserwirtschaft als Urproduktionen.

Sie sind die Elemente, mit denen heute mit Blick auch auf die kommende Knappheit des Ogallala Aquifer argumentiert wird und die Folgen überhand nehmender Mais- und neuerdings der Sojaproduktion wissenschaftlich48 wie praktisch49 diskutiert werden.

Es sind dies für die USA keine wirklich neuen Erkenntnisse. Die sichtbaren Folgen der großen Depression, die mit den apokalyptischen Bildern der Sandstürme im Dust Bowl untermalt waren, beschäftigten die Analytiker des New Deal über die ökonomischen Aspekte hinaus. Die öffentliche Dokumentensammlung der Federal Reserve Bank of St. Louis50 zeigt, wie sehr sich die Bundespolitik Mitte bis Ende der 1930er Jahre bereits in den Grundzügen der ökologischen, ökonomischen und sozialen Wechselwirkungen bewusst war. Die „fehlgeleitete landwirtschaftliche Expansion“ beschrieb die Administration 1937 mit einem Satz: „Die landwirtschaftliche Aufteilung des Westens durch den Menschen ist nicht immer den Diktaten der Natur gefolgt, was sich unvermeidlich in sozialer Frustration und wirtschaftlichem Verlust niederschlägt51.

Mit „Nachhaltigkeit“, das wäre eine erste Erkenntnis, hätte die Untersuchung jener Wechselwirkungen erstmals das Gehege der Wissenschaftlichkeit verlassen, während Letztere erst recht beflügelt wurde. Und mit Ostroms -vereinfacht ausgedrücktem- Grundgedanken, dass Ressourcen nicht nur potentiell alle angehen, sondern es Wege geben könnte, daraus einen neuen Ansatz für Teilnahme und Teilhabe über die schiere Nutzung hinaus zu schöpfen, wurde eine hoffnungsvolle öffentliche Debatte in Gang gesetzt – insistenter und wesentlich breiter aufgestellt werden heute selbst die einmal simpel scheinenden Kausalitäten betrachtet.

Auf diesem Boden konnten Kritiker umso fundierter auf den kommenden Wassermangel in den Plains aufmerksam machen und verstanden werden. Aber auch, wie das Kerr Center for Sustainable Agriculture im Jahr 2000, neben der Verschwendung einen anderen grundlegenden Aspekt der U.S.-Maiswirtschaft in Frage stellen: Die ihr innewohnende Logik, dass die Verschmutzung von Grundwasser ein nicht zu vermeidendes, notwendiges Übel sei. Denn sie lautete ganz einfach: Wohin mit dem Mist, wenn „unter Mastbedingungen ein einziges Schwein 15 Pfund davon am Tag produziert“?

Es dauerte dann zwar doch etwas länger, aber der innere Zusammenhang wurde mit einem kurzen, populärwissenschaftlichen52 Artikel von Jonathan Foley 2013 auf den Punkt gebracht. Die Antwort des Leiters des Umweltinstituts an der University of Minnesota lautet: „It’s Time to Rethink America’s Corn System53. Es sei „wichtig, zwischen Mais als Feldfrucht und Mais als System zu unterscheiden“. Während sich „die Pflanze als hoch produktiv, flexibel und erfolgreich“ erwiesen habe, sei „das System hauptsächlich unter vier Gesichtspunkten keine gute Sache für Amerika“: Um Menschen zu ernähren, sei es ineffizient; es verbrauche natürliche Ressourcen im Übermaß; es sei als Monokultur hoch verletzlich; es verlange hohe Zuwendungen aus Steuermitteln.

Dass Foley ohne jeglichen alarmistischen Ton auskommt, seine nüchternen Betrachtungen gleichwohl eine erhebliche Wirkung entfalten, ist ein Indiz, dass kritische Systemanalysen auf der Grundlage von Nachhaltigkeitsaspekten salonfähig geworden sind.

Die Beharrungskräfte sind freilich enorm. Neben dem Export und die dadurch erzielten Erlöse ist die Pflanze Grundlage für zwei weitere große Standbeine der U.-S.-Agrarwirtschaft: Die Vieh- /Geflügelzucht und deren Mästung sowie die Ethanolproduktion. Von der gesamten Ernte an Mais im Jahr 2014 wurden rund 44,5% als Futtermittel verwendet, 43,6% zur Gewinnung von Ethanol und nur 11,7% für „Ernährung, Saatgut und industrielle Verwendung54. Der Export alleine von Rind- und Schweinefleisch (ohne Lamm und Geflügel) erreichte 2014 einen Wert von 13,81 Milliarden USD55, einer der wenigen Aktivposten im ansonsten hohen Handelsdefizit56.

Wenn andererseits die Ethanolgewinnung hauptsächlich für den eigenen Markt bestimmt ist, hat das System dennoch Auswirkungen nach außen. 2007 kam es im Nachbarland Mexiko zur sogenannten Tortilla-, wahrgenommen als Teil der weltweiten Nahrungsmittelpreiskrise57. Die hohe Subventionierung in den USA war für die Produktion des primär als Lebensmittel verwendeten Mais‘ und damit für die gesamte Landwirtschaft in Mexiko ruinös. Als die Verbraucherpreise stiegen, waren sie schließlich für weite Teile der Bevölkerung nicht mehr leistbar58. Das mittelamerikanische Land ist heute bei Grundnahrungsmitteln weitgehend auf die Importe aus den USA angewiesen59.

Der Umrechnungsschlüssel, den Jonathan Foley ins Bewusstsein gerufen hat, gibt gleichzeitig eine Antwort auf „Energie“ und „Hunger“: Rund 4.000 Quadratmeter Mais könnten etwa 15 Millionen Kalorien herstellen und damit 14 Personen bei 3.000 Kalorien/Tag ernähren, vorausgesetzt der Mais würde gegessen60. Durch die Vermittlung als Treibstoff und Futtermittel werden aber tatsächlich auf der selben Fläche 3 Millionen Kalorien induziert, die paradoxerweise zur Ernährung von gerade drei Personen reichen – „Das ist weniger, als Farmen in Bangladesch, Ägypten und Vietnam an Ernährungskalorien durchschnittlich liefern“.

Sich derart mit heiligen Kühen der USA angelegt zu haben, hat ihm bislang nicht geschadet. Mit dem auch politisch prestigeträchtigen Heinz Award61 ausgezeichnet, wurde Jonathan Foley im selben Jahr 2014 zum neuen geschäftsführenden Direktor der Kalifornischen Akademie der Wissenschaften berufen. Deren Befund lautet: „Earth has always been a place of constant flux, but the change accelerating around us today is far from natural.” Wozu die Mission62 formuliert wird: „The Academy’s programs of research, education, and public engagement are cause for optimism in urgent times, helping people of all ages to hone science-literate brains and the passion to protect biodiversity.”

Wie ambivalent derart präsentierte Zukunftsvisionen aufgenommen werden, zeigt sich abermals an Kalifornien. Auf der einen Seite sind Agrargroßbetriebe wie Paramount Farms. Sie sind Teil der Holding, deren Eigner Stewart und Lynda Resnick den sinnigen Namen „Roll Global“ verliehen haben. Trotz der katastrophalen Dürre würde die Produktion etwa an Pistazien oder Mandeln ausgeweitet, indem mehr private Brunnen gebohrt würden, schrieb Mark Hertsgaard Ende März in „How Growers Gamed California’s Drought63 für thedailybeast.com. Tatsächlich gäbe es nicht einmal in der öffentlichen Wasserversorgung und dessen Tarifsystem Anreize, Wasser zu sparen. Anders würden Kleinbauern im Delta-Gebiet zwischen den Flüssen Sacramento und San Joaquin freiwillig auf 25 Prozent ihrer Wasserentnahme verzichten, berichtete dagegen vor wenigen Tagen die LA Times64. Das entspricht im Umfang der Verordnung, mit der in den Städten Kaliforniens im April die zwangsweise Rationierung eingeführt worden ist65.

Zur Knappheit kommt die Verschmutzung. Auch diese Frage wird immer drängender: Was wird da tatsächlich getrunken?

-> Hinkley, Kalifornien: No Surf (I)
-> Great Plains: Brotkorb auf Zeit (II)
Alles Popcorn: von Tacos, Beef & Biosprit (III)
(Teil 4 in ca. 2 Wochen)

Fußnoten: (sämtliche online-Präsenzen wurden letztmalig am 24.05.2015 abgerufen)

37 frei nach Cristian Mittermeier, „Köstliches Kino“, ZEIT-online Blog „Nachgesalzen“, 14.02.2011, http://blog.zeit.de/nachgesalzen/2011/02/14/ganz-groses-kino_4984
38 Trotz verbreiteter Kritik ist dazu der Begriff von der „neolithischen Revolution“ etabliert geblieben, vgl. einführend http://de.wikibooks.org/wiki/Geschichte_der_Menschheit:_Neolithische_Revolution
39 Aus historischer Perspektive seien Agrargesellschaften zur „Einhaltung des Nachhaltigkeitsprinzips … verdammt“ gewesen. „Entscheidend waren dabei weder langfristige politische und ökonomische Stabilität noch soziale Gerechtigkeit, sondern schlicht der lang anhaltende Bestand der agrarischen Produktionsweise … Praktiken der ‘Nachhaltigkeit’ waren daher in Agrargesellschaften weit verbreitet, auch wenn es in der Regel keine expliziten Formulierungen gab.“ Rolf Peter Sieferle, „Nachhaltigkeit aus umwelthistorischer Perspektive“ in Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, (Hg.), „Nachhaltige Entwicklung“ Bern, SAGW, 2007, S. 79-97, zitiert nach Lukas Thommen, „Nachhaltigkeit in der Antike? Begriffsgeschichtliche Überlegungen zum Umweltverhalten der Griechen und Römer“ in Bernd Herrmann (Hrsg.), „Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium 2010 – 2011“, Göttingen, 2011, http://webdoc.sub.gwdg.de/univerlag/2011/Umweltkolloquium5.pdf. Umgekehrt könnte heute gesagt werden, dass trotz zahlreicher Formulierungen die nachhaltige Praxis hintangestellt ist.
40 s.o. Teil 2, https://www.freitag.de/autoren/kgvl/great-plains-brotkorb-auf-zeit, Fn. 36
41 In ihrer Textsammlung zu Elinor Ostrom, „Was mehr wird, wenn wir teilen – vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter“, München 2011, ISBN 978-3-86581-251-3 setzt Herausgeberin Silke Helfrich ab S. 11 einen Akzent: „Gemeingüter sind nicht, sie werden gemacht“. Ostrom selbst stellt mit einer gewissen Selbstironie fest, dass das Interesse an ihrer Forschung zu „kleinen und mittelgroßen Institutionen von Gemeingüter-Pools nach 2009 unvermittelt zugenommen“ habe. In diesem Jahr erhielt die U.S.-amerikanische Politikwissenschaftlerin den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Ostrom: „And researchers, citizens and officials are asking for some kind of a general framework that puts people and societies together and explains the ways in which they are able to manage common-pool resources“ (in „The Future of the Commons - Beyond Market Failure and Government Regulation“, The Institute of Economic Affairs, London 2012, ISBN 978 0 255 36653 3). Helfrich unterhält den interessanten CommonsBlog, „Fundsachen von der Allmendewiese“, https://commonsblog.wordpress.com/ mit weiteren Verlinkungen in Texten und Blogroll.
42 In den herkömmlichen Darstellungen von Nachhaltigkeit als Beziehungsgeflecht zwischen Wirtschaft, Umwelt und Soziales, so z.B. bei https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/1_3_a_drei_saeulen_modell_1531.htm?sid=1e0lbvqva9oqvg3v13mk39rc25 wird von der Gleichrangigkeit der drei Aspekte ausgegangen. Gleichwohl lässt sich nicht verkennen, dass zahlreiche Beiträge eine Gewichtung alleine dadurch vornehmen, dass sie ein Element dezidiert als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen wählen. Ein anschauliches Beispiel liefern Dieter Rink/Monika Wächter (Hg.) in „Naturverständnisse in der Nachhaltigkeitsforschung“, Frankfurt/New York 2004, ISBN 3-593-37278-9. Volker Radke schlüsselt darin („Naturverständnisse in der ökonomischen Nachhaltigkeitsforschung“ S.52 ff.) etwa die unterschiedlichen Blickwinkel auf „Natur“ je nach neoklassischer oder ökologischer Ökonomie auf: Sie stünden jeweils in der Eigenwahrnehmung für das Weltbild des Homo oeconomicus einerseits und das ethisch orientierter Individuen andererseits. Kritik an der ökonomischen und ökologischen Gewichtung wird zunehmend laut, so etwa die im Januar 2015 erstmals erschienene Schriftenreihe SuN („Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung“). Darin setzen sich Benjamin Gorgen, Björn Wendt („Nachhaltigkeit als Fortschritt denken. Grundrisse einer soziologisch fundierten Nachhaltigkeitsforschung“) mit der „Dominanz ökologischer und ökonomischer Problemstellungen“ auseinander - „In anderen Worten: Nach­haltigkeit ist eine Utopie, die nach einer guten Zukunft für alle Menschen zu jeder Zeit strebt“, http://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/soziologie/forschung/sun/sun_01_2015_goergen_wendt_nachhaltigkeit_als_fortschritt_denken.pdf. Nicht ganz vermeiden lässt sich dabei der Eindruck, es ginge jeweils um den Anspruch „einer Leitwissenschaft“ in der Erstellung jenes von Ostrom etwas ironisch gemeinten „general framework“ (s.o. Fn. 40), das man in Zeiten der Globalisierung -ebenso ironisch- als Weltformel oder Stein der Weisen der Postmoderne übersetzen könnte. Denn natürlich erhebt neben der Ökonomie auch die allgemeine Ökologie den Anspruch, umfassend zu sein als „Lehre von den wechselseitigen Wirkungszusammenhängen zwischen Mensch und Umwelt mit ihren physischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten“, so die Arbeitsdefinition der Interfakultären Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ) an der Universität Bern, http://www.ikaoe.unibe.ch/ikaoe_allgemeine_oekologie.html.
43 So die Brundtland-Kommission, wenn sie von Entwicklung („Development“) unter dem Aspekt von Teilhabe/-nahme der Armen der Welt („the world’s poor“) auch auf künftige Generationen projiziert.
44 Thommen (aaO., oben Fn. 39 und in „Umweltgeschichte der Antike“, München 2009, ISBN 978-3-406-59197-6) stellt heraus, dass im Rom des 1. Jhd. moderner Zeitrechnung der „Glaube an die Unerschöpflichkeit der Ressourcen“ vorherrschte: „Menschliche Zerstörung von Natur, Erschöpfung von Ressourcen und schädliche Auswirkungen von Verschmutzungen wurden zwar registriert und kritisiert, aber vorwiegend in eine [Anm.: v.a. von Seneca als Vergehen gegen die Natur stoisch gemeinte] Luxuskritik eingebunden, die eine ausführliche Aufarbeitung der Themen vermissen lässt“. Ob und inwieweit „Umweltgeschichte“ Impulse liefern kann, untersucht Uwe Luebken in „Undiszipliniert: Ein Forschungsbericht zur Umweltgeschichte“, 2010, http://www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-1111
45 Der normative Zeitbegriff ist einem Wandel unterzogen, der sich in der ebenfalls seit den 1980er Jahren lancierten Katastrophenforschung äußert: War bis dahin „Katastrophe“ lediglich eine quantitative Steigerung des Schadens-, begriffen als punktuelles, „plötzliches“, also zeitlich abgegrenztes wie unvorhergesehenes Ereignis, hat sie sich u.a. durch Anthony Oliver-Smith („What is a Disaster? Anthopological Perspectives on a persistent Question“, in Anthony Oliver-Smith, Susannah M Hoffman„ „The Angry Earth“, Routledge 1999, S.18 ff.) unter einem anderen Gesichtspunkt offenbart: „The society and the destructive agent are mutually constitutive and embedded in natural and social systems as unfolding process over time. Both societies and destructive agents are clearly processual phenomena, together defining disaster as a processual phenomenon rather than an event that is isolated and temporally demarcated in exact time frames“, http://faculty.washington.edu/stevehar/Oliver-Smith.pdf.
Eine praktische Auswirkung ist u.a. am deutschen Assekuranzwesen abzulesen. Den Allgemeinen Haftpflichtbedingungen (AHB) gemäß sollte nur die plötzliche Schadensursache, die zu einem unmittelbaren Sachschaden führt und sich nur dessen Folgen allmählich auf andere Sachen ausgewirkt haben, versichert sein. Sogenannte Allmählichkeitsschäden, die zwar plötzlich zu Tage treten, aber zum Teil weit zurückliegende, nur mittelbare Ursachen aufweisen, sollten aber vom Versicherungsschutz ausgeschlossen bleiben. Die praktische wie dogmatische Unhaltbarkeit stellte u.a. das OLG Nürnberg mit Urteil vom 20.12.2001 (Az. 8 U 2497/01) fest, besprochen bei http://www.fiala.de/wp-content/uploads/fiala_pdf/Haftpflichtversicherung_-_Unwirksamer_Ausschluss....pdf. Wenn heute Oliver-Smith über „Loss and Damage“ auf der gleichnamigen UN-Konferenz vom Februar 2013 in Bonn referiert, dann geht es um die „Verletzlichkeit von Gemeinwesen“ oder mit den Worten von 1999: „Disasters thus become defined as failures of human systems“, http://www.lossanddamage.net/conference-perspectives-loss-damage.
Die disruptive Kraft von Zeit, (un)endlich begriffen, zeigt sich anhand jüngerer deutscher Geschichte, wenn Robert Havemann in einer seiner Vorlesungen zum Thema „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme“ ausführte, für einige seiner Zeitgenossen sei „die Idee einer Endlichkeit der Zeit absolut unannehmbar. Sie wäre nichts anderes als eine direkte Bestätigung der theologischen Ansichten über die Schöpfung der Welt. Weil diese Theorien die Theologie bestätigen, müßten sie falsch sein. Es eröffnet sich hier der interessante Aspekt, daß eine wissenschaftliche Untersuchung eine Entscheidung über die Richtigkeit einer Philosophie oder einer Theologie herbeiführen kann“, http://www.zeit.de/1964/23/ist-die-welt-unendlich/komplettansicht.
46 Elinor Ostrom, „Governing the Commons“, Cambridge University Press 1990, ISBN 978-0521405997
47 Garrett Hardin, „The Tragedy of Commons“, Science 13.12. 1968, Band 162 Nr.. 3859 S. 1243-1248, http://www.sciencemag.org/content/162/3859/1243.full
48 Christopher K. Wright, Michael C. Wimberly, „Recent land use change in the Western Corn Belt threatens grassland and wetlands“, 17.01.2013 in Proceedings oft he National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), Band 110, Nr. 10, S. 4134-4139, http://www.pnas.org/content/110/10/4134.full : Die Orientierung nach Marktpreisen führe mit der Urbarmachung von Graslandschaften zu einem erhöhten Risiko der Bodenerosion und Anfälligkeit gegenüber Dürre.
49 Aufgenommen von Mark Bittman, Kolumnist der New York Times, http://www.nytimes.com/2014/11/19/opinion/a-sustainable-solution-for-the-corn-belt.html?_r=2 wird etwa das „STRIPS“ (Streifen) Programm der Iowa State University propagiert. Der Gesichtspunkt: Das vollständige Aufbrechen der Graslandschaft statt einer Parzellierung kann teurer sein als die Ernte erbringt. Den Gedanken, Ökologie und Ökonomie im deutschen Wald in Einklang zu bringen, praktizierte Lutz Fähser für den Lübecker Stadtwald. Im Interview mit Greenpeace (13.02.2012, https://www.greenpeace.de/themen/waelder/waldnutzung/nachhaltigkeit-zahlt-sich-wirtschaftlich-aus-teil-1) meinte der Forstdirektor i.R.: „Im Wald wirtschaftet man in der sogenannten Urproduktion - dort, wo der Produktionsfaktor Natur die größte Rolle spielt. Waldwirtschaft ist nie rentabel, wenn man den Produktionsfaktor Natur nicht weitestgehend gewähren lässt. Denn der ist kostenlos, flexibel und passt sich an Schwierigkeiten an und bremst sie sozusagen aus.“
50 https://fraser.stlouisfed.org/
51 s.o. Teil 2, https://www.freitag.de/autoren/kgvl/great-plains-brotkorb-auf-zeit, Fn. 26
52 Die Vorarbeit wurde von Jonathan Foley et al. mit „Solutions for a cultivated planet“ geleistet, veröffentlicht in Nature, Band 478, Seiten 337–342, online am 12. Oktober 2011, Abstract unter http://www.nature.com/nature/journal/v478/n7369/full/nature10452.html
53 http://www.scientificamerican.com/article/time-to-rethink-corn/
54 Zu den Grunddaten vgl. http://www.ers.usda.gov/topics/crops/corn/background.aspx des U.S.-Landwirtschaftsministeriums. Die Zahlenreihen zur Verwendung von Mais seit 1980 sind unter http://www.ers.usda.gov/media/866543/cornusetable.html abgelegt: Die Steigerung der Maisproduktion von (1980) 4.232,66 Milliarden Scheffel (zur Umrechnung s. http://de.wikipedia.org/wiki/Bushel) auf (2014) 11.845 Milliarden Scheffel ist hauptsächlich auf die Ethanolgewinnung zurückzuführen.
55 Statistische und aktualisierte Daten liefert die U.S. Meat Export Federation, https://www.usmef.org/news-statistics/statistics/?stat_year=2014
56 Zusammenschau des Bundeministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, „Länderbericht USA“, Stand 2013, http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Veranstaltungen/04-06-AUWITAG-LaenderberichtUSA.pdf?__blob=publicationFile
57 http://de.wikipedia.org/wiki/Nahrungsmittelpreiskrise_2007%E2%80%932008
58 Eine differenzierte Zusammenfassung insbesondere unter Berücksichtigung des Freihandelsabkommens NAFTA liefern Rico Hübner, Stefanie Kralisch, „Ein Rückblick auf die ‘Tortillakrise“, VMU-Mitteilungen der Vereinigung Weihenstephaner Universitätsabsolventen, Heft 111, 2011, S. 15 ff., http://vwu.wzw.tum.de/fileadmin/user_upload/Mitteilungen/VWUHeft111.pdf: „Mexiko hat damit nicht nur die Kapazität zur Selbstversorgung verloren, sondern anderseits haben die Importe auch verheerende Effekte auf die mexikanische Landbevölkerung, unter ihnen etwa 3 Mio. Campesinos (Kleinbauern) die sich dem Maisanbau widmen“.
59 Hübner/Kralisch, aaO., Fn. 58. Die Zahlen der U.S. Meat Export Federation, oben Fn. 55, weisen Mexiko als erstes Zielland des nordamerikanischen Fleischexports aus.
60 Der Einsatz von Nahrungskalorien hat bereits seltsame Blüten hervorgebracht. Wenn einerseits auf einer der populärsten Seiten im deutschsprachigen Netz der Bedarfsschlüssel menschlicher Ernährung vorgerechnet wird, http://www.t-online.de/lifestyle/gesundheit/ernaehrung/id_17021492/wie-viele-kalorien-brauchen-maenner-und-frauen-am-tag-.html, steht auf der anderen Seite „der Neanderthaler“: Dessen „Essgewohnheit als Verhängnis“, so die Zwischenfrage bei http://www.planet-wissen.de/politik_geschichte/urzeit/neandertaler/neandertaler_aussterben.jsp zeichnet das Bild des fleischfressenden Primitivlings, der es nicht besser konnte. Und deswegen zum Aussterben verdammt war. Noch seltsamer ist, dass daraus eine sogenannte „Paläo-Diät“ abgeleitet wird, http://de.wikipedia.org/wiki/Steinzeitern%C3%A4hrung. Abgesehen von dem genetischen Fingerprint im Sapiens und den kulturellen Leistungen des Homo neanderthalensis: Jonathan Foley setzt mit seinem Kalorienbedarf einen Durchschnittswert ein, der dem einer vorwiegend körperlich arbeitenden Bevölkerung entspricht. 61 http://www.heinzawards.net/recipients/jonathan-foley; Nach dem Tod des republikanischen Senators und Erben von Anteilen am gleichnamigen Lebensmittelkonzern Henry John Heinz III, rief dessen Witwe Teresa Heinz 1993 Stiftung und Preis ins Leben, um „innovative Beiträge“ u.a. im Bereich Umwelt und menschliche Bedingungen auszuzeichnen. Teresa Heinz ist in zweiter Ehe mit John Kerry (seit 01.02.2013 U.-S.-Außenminister) verheiratet.
62 http://www.calacademy.org/about-us
63 http://www.thedailybeast.com/articles/2015/03/30/how-growers-gamed-california-s-drought.html, gleichzeitig auf seinem Blog veröffentlicht, http://markhertsgaard.com/tag/blog/; auf Deutsch bei Zeit-online Mitte April erschienen, „Die große Macht der kalifornischen Agrarlobby“, http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-04/kalifornien-duerre-wasser
64Water agency approves farmers' voluntary water reduction plan”, 22.05.2015, http://www.latimes.com/local/lanow/la-me-ln-water-rights-20150522-story.html; s. auch „Dürre in Kalifornien: Erste Bauern drosseln Wasserverbrauch um ein Viertel“, 23.05.2015, http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/duerre-in-kalifornien-bauern-im-delta-verzichten-auf-wasser-a-1035275.html
65 s. Teil 2, https://www.freitag.de/autoren/kgvl/great-plains-brotkorb-auf-zeit, Fn. 35

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden