„Die Hände gefesselt, der Geist frei“

Tunesien Dies sind die Worte, die der tunesische Rapper Weld 15 auf seinem T-Shirt trug, als er vor Gericht sein Urteil entgegennahm

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Femen-Aktivistinnen vor dem Justizpalast in Tunis
Femen-Aktivistinnen vor dem Justizpalast in Tunis

Foto: FETHI BELAID/AFP/Getty Images

Er und viele junge Freigeister müssen feststellen, dass der zu beschreitende Weg noch lang und beschwerlich ist. Vergangenen Donnerstag trafen die drei europäischen Femen-Aktivistinnen Pauline Hillier, Marguerite Stern und Josephine Markmann in Paris ein, nachdem sie vorzeitig nach vier Wochen Haft aus dem tunesischen Gefängnis entlassen wurden. Zu vier Monaten Gefängnisstrafe hatte sie ein tunesisches Gericht verurteilt, weil sie es gewagt hatten, barbusig vor dem tunesischen Parlament für die Befreiung der tunesischen Aktivistin Amina zu protestieren. Zugegeben, auch wenn sich selbst führende Feministinnen in Tunesien über diese Form des Protests ärgern, weil er ihre Bemühungen für eine bedingungslose rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau gefährdet, das Bild, wie sich konservative Männer verzweifelt bemühten, die jungen Brüste der viel zu beweglichen Aktivistinnen zu bedecken und sich die ansonsten behäbig stolzierenden ENNAHDHA-Vertreterinnen wie orientierungslose Hühner im Kreis drehten, löste zumindest bei mir Schmunzeln aus.

Doch die Berichte über ihre Haftbedingungen, die die französische Zeitschrift Paris Match am 27. Juni veröffentlichte, geben weniger Anlass zur Schmunzelei.1 Nachdem sie aus der Öffentlichkeit gezerrt wurden, erfuhren sie Schläge und Beschimpfungen. Auf der Fahrt zum Gericht wurden sie gefesselt und mussten danach eine Nacht in einem gemischten Gefängnis verbringen. Der Boden dort war von Blutflecken übersät, und auch an den Bettdecken klebte Blut, und sie rochen zudem bestialisch nach Urin. Dabei kamen sie noch glimpflich davon, denn man hatte sie gewarnt, dass es dort häufig zu Vergewaltigungen komme. Aber auch in Mannouba, der Frauenhaftanstalt nahe bei Tunis, sollte sich ihre Lage nur bedingt bessern. Essen bekamen sie in Eimern vorgesetzt, sie mussten unangenehme Leibesvisitationen über sich ergehen lassen, entsetzliche hygienische Bedingungen ertragen, obwohl sie als Europäerinnen zu den Privilegierten gezählt wurden. Leicht kann sich ausgemalt werden, wie es um die inhaftierten Tunesierinnen und Tunesier bestellt sein muss. Gerade die Haftgründe im Frauengefängnis sind all zu oft haarsträubend nichtig. Frauen, die einen anderen Mann als den ihren geküsst haben, Frauen, die in Shorts und T-Shirt die Straße betreten haben, oder solche, die außerehelichen Geschlechtsverkehr hatten.

Amina, jene tunesische Femen-Aktivistin, für die die Europäerinnen gekommen waren, wurde in Gewahrsam genommen, weil sie an einer wenig gepflegten Wand an einem historischen Friedhof in Kerouan, diesesmal angezogen, ein Graffitti mit dem Akronym FEMEN hinterlassen hatte. Damit hatte die unbeugsame Idealistin versucht, gegen einen großangelegten Salafistenkongress zu protestieren, der in der historischen Stadt geplant war, bevor er, angeblich aus Sorge um die Sicherheitslage, aber tatsächlich wohl eher auf außenpolitischem Druck hin, verboten wurde. Sie sitzt immer noch im Gefängnis und wartet auf ihren Prozess.

Und so lässt sich die Liste fortführen, und man erhält bereits eine Ahnung davon, was mit Einschränkung der Informations- und Ausdrucksfreiheit gemeint ist, wenn die nationale Sicherheit beziehungsweise die öffentliche Gesundheit, as-Sahha al-Amma, als gefährdet angesehen wird (siehe vierter Verfassungsentwurf). Vor wenigen Tagen bekamen der Rapper Weld 15 und einige Mitglieder seines Teams eine zweijährige Haftstrafe, weil sie ein Lied aufgenommen hatten, das den provokanten Titel „Polizisten sind Hunde“ trägt und in dem es im Refrain heißt: „ Ich träume davon, einen Polizisten abzuschlachten, wie man ein Schaf am Tag des Opferfestes schlachtet“. Nun, der Rapper hatte seine privaten Gründe, warum er zu dieser Schlussfolgerung gelangt war. Die zahlreich erschienenen Polizisten taten ihrer Genugtuung in einem Ausbruch chauvinistischer Machtdemonstration ausgiebig mit dem Einsatz von Gas und Schlägen gegen die Unterstützer kund. Später war Weld 15 bereit, sich bei jenen Polizisten zu entschuldigen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, bei den anderen jedoch nicht.

Im Netz und auf Facebook erschienen gleich entsprechende Karikaturen zum Thema:

http://www.debatunisie.com/

https://www.facebook.com/photo.php?fbid=534388496624050&set=a.313711772025058.74842.313117552084480&type=1&theater

Tunesische Rapper warteten gleich mit einem wütenden Lied auf:

https://www.facebook.com/photo.php?v=538118302891876&set=vb.329521123751596&type=2&theater

Auch ein marokkanischer Rapper solidarisierte sich mit einem kritischen Rap:

http://www.youtube.com/watch?v=0JyZdFMSYTE&feature=youtu.be

Als die franko-tunesische Journalistin Hind Meddeb ihren Unmut über die unverhältnismäßig lange Haftstrafe zum Ausdruck brachte, wurde sie kurzerhand für ein paar Stunden abgeführt. Die Tochter des berühmten islamkritischen tunesischen Autors Abdelwahab Meddeb hatte bereits zuvor für die französische Tageszeitung Libération kritisch über die Verurteilung von Weld 15 berichtet. Immerhin hinderten sie die Behörden trotz einer Vorladung vor Gericht nicht daran, das Land in Richtung Frankreich zu verlassen.

Sami Fehri, der als für die politische Satiresendung „La logique politique“ verantwortlicher Regisseur unter Druck geraten war, allerdings mit dem Vorwurf, Mittel des Senders Attunsia, dessen Direktor er ist, veruntreut zu haben, sitzt bereits seit 2012 in Haft und ist auch nach Beendigung der angesetzten Haftdauer Mitte Januar 2013 noch immer nicht frei gekommen. Am 18.06.2013 ließ er den Medien einen vielsagenden Brief mit dem Titel „Ich bin ein Idiot“ zukommen, dessen Übersetzung hier wiedergegeben werden soll:

„Ich bin ein Idiot, weil ich annahm, dass wir eine Revolution hatten in diesem Land, dass wir von nun an Informationsfreiheit hätten sowie Gerechtigkeit und das das Gesetz allein in der Lage wäre, mich freizusprechen. Ich bin ein Idiot, weil ich mich gestellt habe und weil ich angenommen habe, dass es unmöglich sei, dass derjenige, der selbst Unrecht erfahren hat, der behauptet Gott zu fürchten, der selbst für Jahre im Gefängnis dahinvegetiert hat, selbst zum Folterknecht wird und ungerecht ist. Ich bin ein Idiot, weil ich mich geweigert habe, mich mit der ENNAHDHA zu verbünden und ihr Propagandainstrument zu werden, annehmend, dass Arbeit und Durchhaltevermögen ausreichen, um meinen Erfolg zu sichern. Ich bin ein Idiot, weil ich den Männern des Gesetzes geglaubt habe, als sie mir sagten, dass der Kassationsgerichtshof die höchste richterliche Instanz im Land sei und dass die Regierung sich nach dem 14. Januar 2011 nicht mehr in die Angelegenheiten der Justiz einmischen werde. Ich bin ein Idiot, weil ich dem Übergangsjustizminister glauben geschenkt habe, als er mich zweimal in Folge im Krankenhaus besucht hat, um mich zu bitten, meinen Hungerstreik zu beenden, und sich dafür einsetzen wollte, dass ich entsprechend dem Gesetz am 3. Januar 2013 freigelassen werde. Ich habe ihm geglaubt, als er mir sagte, dass es eine negative Botschaft für andere Gefangene aussenden würde, wenn er mich zu diesem Zeitpunkt, da ich in Hungerstreik getreten bin, freilassen würde. Diese würden dann annehmen, dass die Befreiung aufgrund des Hungerstreiks erfolgt und nicht weil ich unschuldig sei. Ich bin ein Idiot, weil ich an die Befreiung geglaubt habe, als der Regierungsschef meine Frau zu sich gebeten und ihr versichert hat, dass ich entsprechend dem Gesetz frei kommen werde. Ich bin ein Idiot, weil ich glaubte und immer noch glaube, dass der Minister Dilou und der Regierungschef Jebali (die Regierung vor der Ermordung von Chukri Belaïd) die nötigen Anstrengungen unternommen haben. Doch ich nahm nicht an, dass die Macht, die das Land regiert, selbst seinen Minister und Regierungschef hinters Licht führt. Ich bin ein Idiot weil ich nicht verstanden habe, dass die Macht die das Land regiert es weder auf mein Geld abgesehen hat noch auf meine Person, sondern dass ihr einziges Ziel darin besteht, den Sender Attounsia auszuschalten und um jeden Preis die Kontrolle darüber zu erlangen, bevor Neuwahlen stattfinden. Ich bin ein Idiot, weil ich annahm, dass meine Verteidigung, der Respekt vor der Justiz sowie der Hungerstreik ausreichen würden, um den Lauf der Ereignisse ändern zu können, wobei selbst mein möglicher Tod nach meinem Hungerstreik in nichts der Ermordung von Chokri Belaïd geglichen hätte. Ich bin ein Idiot, weil ich annahm, dass sie es nicht wagen würden, vor aller Öffentlichkeit Unrecht zu praktizieren, wo sie doch den Schwiegersohn zum Minister ernannten und den Freund zum Gouverneur. Ich bin ein Idiot, weil ich all diese Zeit gebraucht habe, um mich davon zu überzeugen, dass ich das Gefängnis nicht mehr verlassen werde und dass die Anordnungen der vorläufigen Untersuchungshaft sich häufen werden. Ich bin ein Idiot und glücklich über meine Idiotie, weil es mir gelungen ist, einen Fernsehsender aus dem Nichts heraus und unter den schlimmsten Umständen zu schaffen und dieser innerhalb kürzester Zeit zum meistgesehenen Sender in Tunesien emporgestiegen ist. Ich bin ein Idiot und glücklich über meine Idiotie, weil meine künstlerischen Werke mich in die Herzen vieler von Euch haben eintreten lassen und meine Familie stolz auf mich gemacht haben. Zuguterletzt werde ich meine Idiotie fortsetzen, und ich werde versuchen standzuhalten, wenngleich ich das Vertrauen verloren habe, oder zumindest fast...“2

Dabei wäre fast ein anderer Inhaftierter vergessen worden, der Blogger Jabeur Majri, der seit März 2012 eine siebeneinhalbjährige Haftstrafe abbüßt, weil er es gewagt hat, eine Mohammed-Karikatur auf Facebook zu posten.

Unterdessen wird mit Salafisten äußerst milde verfahren. An die 20 „Islamisten“, die in den Angriff auf die US-amerikanische Botschaft in Tunis am 14. September 2012 involviert waren, wurden zu nur 2 Jahren Haft verurteilt. Fast vierzig Heiligengräber wurden durch Brandstiftung zerstört. Wie auch immer man zum Heiligenkult steht, die Stätten waren zum Teil Jahrhunderte alt und Teil des kulturellen Erbes. Kaum jemand wurde bisher dafür zur Rechenschaft gezogen oder für all den Waffenschmuggel, die Aufrufe zum Mord an Oppositionellen oder der offene Aufruf in radikalen Moscheen zum Dschihad in Syrien. Tausende junge Männer sollen dorthin gezogen sein, ihre Hände mit Blut befleckt, und sich grausame Taten haben zuschulden kommen lassen, ganz zu schweigen von all jenen, die ihr Leben verloren haben. Selbst junge Frauen wurden angehalten, dorthin zu ziehen, um durch sexuelle Dienste die Gotteskrieger moralisch aufzubauen. Ganz zu schweigen von den Mördern von Chukri Belaïd, die noch immer nicht gefasst wurden, oder von Abu Iadth at-Tunsi, dem Anführer der radikalen Gruppierung Ansar-al-Scharia, die Anhänger der Scharia, einem ehemaliger Schüler der einstigen in London ansässigen rechten Hand Usama Bin Ladens, Abu Qatada al-Falistinis, der sich nicht gerade bemüht hat, sich zu verstecken, doch es wurden keinerlei Anstalten unternommen, ihn zu verhaften.

Alles in allem ist die Lage im Moment eher verstörend. Wie jetzt mit der Verfassung weiter verfahren wird, nachdem ihre Schwächen offengelegt wurden, bleibt unklar. 82 Abgeordnete unterzeichneten eine Petition gegen den Entwurf, da ohne sie die 2/3 Mehrheit nicht zustande kommen kann, gilt er damit erst einmal als zurückgewiesen. Unabhängige Streiter in der Zivilgesellschaft versuchen, die „Verfassung der Bruderschaft“, wie sie sie nennen, samt der Verfassungsgebenden Versammlung durch eine Petition komplett zu stürzen. Andere Politiker, die durchaus angesehen sind, wie Ahmed Najib Chebbi und Maya Jribi von der progressiven demokratischen Partei PDP, geben sich plötzlich ENNAHDHA-nah und finden an der Verfassung nichts grundlegend Ablehnenswertes mehr. Dafür wird jetzt gerade um so mehr für ein Gesetz für die Immunisierung der Revolution gerungen, das den Umgang mit ehemaligen Politikern aus der Regierungspartei des Diktators Ben-Ali regulieren soll. Gegner des ENNAHDHA-Vorhabens halten der Partei vor, in erster Linie Politiker aus dem Weg räumen zu wollen, die ihr gemäß den Umfragen gefährlich werden könnten. Unterdessen ließ der oberste Armee Chef Rachid Ammer, der von der ENNAHDHA für sein angebliches Versagen in der Bekämpfung radikaler Elemente auf dem Berg Chaanbi in Bedrängnis geraten ist, in einer späten Fernsehsendung, nicht ohne Sorgebekundungen über eine mögliche Somaliserung Tunesiens und Verschwörungstheorien, seinen Rückzug in den seit langem überfälligen Ruhestand wissen.

Doch darüber hinaus ist es zur Zeit still geworden, viel zu still. Eine Protestwelle wie nach der Ermordung des marxistischen Oppositionellen Chokri Belaid ist danach nie wieder zustande gekommen. In der Zivilgesellschaft wird immer noch gerungen, aber von der Bevölkerung heißt es, die Menschen seien der Politik überdrüssig geworden. In den Umfragen ist die ENNAHDHA zurückgefallen, andere wiederum treten, für alle Fälle, in sie ein. Mann weiß ja nie, was die Zukunft bringt. Verzweiflung und Lethargie machen sich beim Rest breit. Nach nichts sehnte sich die breite Masse mehr als nach Normalität, aber vielleicht ist es auch nur die erdrückende Hitze, die bis an die 38 Grad reicht, die alle lähmt. Aufgeben wäre zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls das Falscheste, das die Tunesier tun könnten.

Was mich anbelangt, so schreibe ich dies hier, allenfalls von Regen, weniger von Hitze erdrückt, nicht um Tunesien in seinem empfindlichsten Moment bloßzustellen, sondern in der Hoffnung, dass das Wissen um das, was vor sich geht, Druck zu erzeugen vermag. Denn noch ist alles, aber auch wirklich alles möglich. Es müssen nur einfach alle, eben so viele wie möglich, an einem Strang ziehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Khadija Katja Wöhler-Khalfallah

Deutsche und Tunesierin, Politik- und Islamwissenschaftlerin

Khadija Katja Wöhler-Khalfallah

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