Katholischer Fundamentalismus

Pius Bruderschaft: Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X (FSSPX)

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Einmal abgesehen von der Ähnlichkeit der Gedanken Lefèbvres, des geistigen Vaters der Pius-Bruderschaft, mit denen des islamischen Fundamentalismus, möchte ich dazu aufrufen, sich vorzustellen, diese Gedanken würden gedeihen in einem Land, das noch keine Aufklärung und kritische Aufarbeitung seiner Religion, Geschichte und Machtstrukturen erfahren hat, in dessen Staatssystem noch keine Trennung von Religion und Staat durchgesetzt wurde und das die überbordende finanzielle Förderung erfährt aus plötzlich materiell reich gewordenen, aber geistig noch im Mittelalter behafteten Ölstaaten Saudas-Europiens und Qatarensis.

Die Bruderschaft des allerheiligsten Pius X. wurde 1970 von dem französischen Erzbischof Marcel Lefèbvre (1905-1991) in der Schweiz gegründet. Dort in Econe liegt heute der Hauptsitz der Bruderschaft. Bereits das Leben und Wirken von Papst Pius X., dem Namenspatron der Bruderschaft, gewährt Einblicke in ihre Überzeugungen. Erzkonservativ, machte er sich besonders einen Namen durch seine scharfe Zurückweisung der 1905 in Frankreich ausgerufenen Trennung von Religion und Staat. „Der Grundsatz, dass Staat und Kirche getrennt werden müssten, ist fürwahr ein ganz falscher und im höchsten Grade verderblicher Grundsatz“, damit werde die „von Gott mit höchster Weisheit getroffene Ordnung der menschlichen Dinge“ durchbrochen. Zwischen den beiden Gewalten müsse eine „geordnete Verbindung bestehen, welche nicht unpassend mit der Vereinigung von Leib und Seele verglichen wird (...) Die Staaten können ohne Sünde sich nicht so verhalten, als existiere Gott garnicht, noch auch können sie die Sorge für die Religion als etwas ganz Fremdes und Unnützes von sich weisen ... Die Kirche aber, die Gott selbst begründet hat, von jeder Lebensäußerung bei Gesetzgebung, beim Jugendunterricht und der Familie ausschließen, das ist ein großer und verderblicher Irrtum.“ Die Gläubigen sah er in der Pflicht, „sich der Kirchenregierung zu unterwerfen und der Leitung ihrer Vorsteher gehorsam zu folgen.“ ( Pius X.). Darüber hinaus machte er sich den Kampf gegen jegliche Modernisierer, ob außerhalb oder innerhalb der katholischen Kirche, zum obersten Ziel. Vermeintlichen Neuerern hielt er vor, „unter trügerischen Formen ungeheuerliche Irrtümer zu lehren“, und beschuldigte sie, einen Angriff zu leiten, „der nicht Ketzerei ist, aber Substanz und Gift aller Ketzereien“ sei. Professoren wurde ihr theologisches Lehramt entzogen, kritische Bücher wurden auf einen Index gesetzt, Gegner als Protestanten, also Ketzer, bezeichnet, oder als Juden und Freimaurer, was für Pius negativ behaftet war, diffamiert (Deschner: 169ff.). 1954 wurde er unter Papst Pius XII. heilig gesprochen.

Erzbischof Marcel Lefèbvre, der Begründer der Pius Bruderschaft, wurde 1905 in Frankreich geboren, wo er als Sohn einer konservativ-monarchistischen katholischen Familie unter dem Eindruck des Kampfes der katholischen Kirche gegen das harte Vorgehen des laizisierten Staates aufwuchs. Bereits 1902 waren kirchliche Schulen geschlossen, 1903 Ordensgemeinschaften aufgelöst worden, 1904 wurde gar ein Verbot von Ordensneugründungen verabschiedet. Im Jahre 1905 wurde dann das Gesetz zur Trennung von Religion und Staat erlassen, womit auch der Religionsunterricht an Schulen verboten und das Kirchenvermögen verstaatlicht wurde. Priester erhielten von nun an keine Vergütung mehr von staatlicher Seite, was viele verarmen ließ. Zwischen 1947 und 1960 war Lefèbvre Erzbischof im kolonialen Westafrika. Von dort aus soll er großen Enthusiasmus für die Vichy-Regierung unter Maréchal Pétain, die mit Nazi-Deutschland kollaborierte, gezeigt haben. Der Erzbischof, der, wie es sein Titel verrät, durchaus eine sehr vielversprechende Karriere in der Kirchenhierarchie durchlaufen hatte, nahm erbitterten Anstoß an den Reformbemühungen von Papst Johannes XXIII., die dieser mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eingeleitet hatte. Mit diesem Konzil, das sich für Religionsfreiheit aussprach, ein neues, offeneres Verhältnis zu nichtchristlichen Religionen und explizit den »Juden, bei denen sich für erfahrene „Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus“ entschuldigt wurde, sowie eine Hinwendung zur ökumenischen Bewegung beschritt, war, so Lefèbvres Überzeugung, die Tradition der Kirche zerstört worden (Welt Online, 4.2.2009; Der Spiegel, 2.2.2009: 50; Horn).

Für Lefebvre galt: „Nur die Wahrheit hat Rechte, der Irrtum ist rechtlos.“ Die Freiheit der Religion erklärte er für „absurd (...) weil sie der Wahrheit wie dem Irrtum, der wahren Religion wie den häretischen Abirrungen gleiche Rechte garantiert“ und „für blasphemisch (...), weil sie, allen Religionen Gleichheit vor dem Gesetz zugesteht‘ und ‚die heilige und unbefleckte Kirche Christi auf die Ebene der häretischen Sekten, ja sogar des jüdischen Verrats bringt‘.“ Daraus folgerte er: „In einem katholischen Land gibt es eine Berechtigung, die falschen Formen der Anbetung an öffentlicher Verbreitung zu hindern, um ihre Propaganda zu begrenzen!“ Und noch kämpferischer fügte er dem hinzu: “...hat denn der Staat nicht die Pflicht und daher das Recht, die religiöse Einheit der Bürger im rechten Glauben zu garantieren und die katholischen Seelen vor Schmach und Verbreitung von religiösen Irrtümern zu schützen und – nur aus diesen Gründen – die Ausübung der falschen Kulte zu begrenzen. Ja, wenn es nötig sein sollte, sie zu verbieten?“ (zitiert in al-Azm: 109f.)(Marcel Lefèbvre. They have Uncrowned him: From Liberalism to Apostasy. The Conciliar Tragedy. Texas: Angelus Press, 2. Auf., 1988).

Im Jahre 1976 wurden ihm alle Vollmachten seines Priester- und Bischofsamtes entzogen. Diesem Verbot zum Trotz weihte er weiter Priester. Als Johannes Paul II. im Jahre 1986 das Weltgebetstreffen in Assisi initiierte, kam dies für Lefèbvre einem häretischen Akt gleich. In seiner Schrift „Offener Brief an verwirrte Katholiken“ hielt er dem Papst vor, eine jüdische Synagoge in Rom besucht zu haben. Dann, am 30.6.1988, drei Jahre vor seinem Ableben, weihte er noch vier Bischöfe für seine Bruderschaft, darunter Richard Williamson, der beharrlich den Holocaust leugnet und den „Syllabus Errorum“, eine Liste der „Grundirrtümer der Moderne“, wie Demokratie, Rechtsstaat, Religionsfreiheit, Trennung von Staat und Kirche, Menschenrechte, Liberalismus und Rationalismus, als Lackmustest des wahren Katholizismus preist ( Der Spiegel, 2.2.2009), Bernard Tissier de Mallerais, Alfonso de Galarreta und Bernard Fellay. Dem vorausgegangen waren mit dem Vatikan und ganz dezidiert mit dem damaligen Kurienkardinal Joseph Ratzinger unter Papst Johannes Paul II. (vgl. Lefebvre: 561ff., 714ff.) Verhandlungen, die dann gescheitert waren. Die nicht erlaubte Weihe wurde von jenem Papst als „schismatischer Akt“ verurteilt. Lefèbvre und seine vier Bischöfe wurden exkommuniziert. Im Januar 2009 dann hob der einstige Kurienkardinal Joseph Ratzinger, […] spätere Papst Benedikt XVI., den Kirchenbann wieder auf (Facius). Was besonders jüdische Beobachter verstörte, war der Umstand, dass dieser am 7.7.2007 bereits eine heikle Entscheidung getroffen hatte. An jenem Tag ließ er den zwar nicht ganz abgeschafften, aber immerhin abgemilderten tridentinischen Ritus wieder zu, in dem am Karfreitag für die Bekehrung der „treulosen Juden“ gebetet wird, um sie aus ihrer „Verblendung“ zu befreien ( Der Spiegel, 2.2.2009: 48).

In Deutschland unterhält die Pius Bruderschaft bundesweit an 50 verschiedenen Orten Kapellen und Kirchen. Die Zahl ihrer Anhänger wird auf rund 10.000 geschätzt. Die Zentrale befindet sich in Stuttgart und wird geleitet von Pater Franz Schmidberger. Noch vor Weihnachten 2008 fühlte sich dieser in der Pflicht, die deutschen Bischöfe schriftlich an die jüdische Ursünde erinnern zu müssen: „Mit dem Kreuzestod Christi ist der Vorhang des Tempels zerrissen, der Alte Bund abgeschafft. Damit sind aber die Juden unserer Tage nicht nur nicht unsere älteren Brüder im Glauben. Sie sind vielmehr des Gottesmordes mitschuldig, solange sie sich nicht durch das Bekenntnis der Gottheit Christi und die Taufe von der Schuld ihrer Vorväter distanzieren.“ Eine derartige Haltung hat in der Kirchengeschichte immerhin jahrhundertelang »Pogrome gegen »Juden angeheizt. 2009 dann distanzierte sich Schmidberger öffentlich zumindest von der Verharmlosung des Judenmordes unter dem NS-Regime (vgl. Der Spiegel, 2.2.2009). Aus Frankreich ist bekannt, dass die Anhänger der Bruderschaft bereits von Anfang an mit der extremen Rechten sympathisiert und sich in Parteien wie dem französischen Front National des Rechtspopulisten Jean-Marie Le Pen organisiert haben ( Nonnenmacher). Als ideale Herrschaftsform gelten ihnen jene Diktaturen des spanischen Generals Franco, des Portugiesen Antonio Salazar, des Argentiniers Jorge Videla und des chilenischen Augusto Pinochet ( Horn). 1989 wurde enthüllt, dass die Pius Bruderschaft 16 Jahre lang Paul Touvier beherbergt hatte, der von der französischen Justiz gesucht wurde, weil er unter der Vichy-Regierung eine zentrale Rolle in der Deportation von Juden aus Lyon in deutsche Konzentrationslager gespielt hatte ( Horn). Touvier war nur einer von vielen zum Tode verurteilten Kollaborateuren, die in den zahlreichen Klöstern der Bruderschaft Unterschlupf gefunden hatten ( taz, 8.2.2009). Die Rehabilitierung dieser Bruderschaft hat speziell unter deutschen Katholiken einen Aufschrei des Protestes ausgelöst und zu vielen Kirchenaustritten geführt.

Priesterbruderschaft St. Pius X (Hg.): Damit die Kirche fortbestehe. S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre der Verteidiger des Glaubens, der Kirche und des Papsttums. Dokumente, Predigten und Richtlinien. Ein historiographisches Dokument, Stuttgart: Priesterbruderschaft St. Pius X, 1992.

FSSPX.INFO (Hg.): Lehramt: Vor 100 Jahren verurteilte St. Pius X. die Trennung von Kirche und Staat, 11.2.2006, www.fsspx.info/news/print.php?s how=1071; G. Facius: Piusbruderschaft: Marcel Lefebvre, der Mann, der die Kirche spaltete, WeltO 4.2.2009, www.welt.de/politik/article3147602/Marc el-Lefebvre-der-Mann-der-die-Kirche-spaltete.html.

K. Deschner: Die Politik der Päpste im 20. Jahrhundert, 1991; S.J. al-Azm: Unbehagen in der Moderne: Aufklärung im Islam, 1993; G. Nonnenmacher: Papst-Dekret: Ein Politikum, FAZ, 29.1.2009; Der Spiegel (Hg.): „So Bitter, so traurig“, Spiegel, 2.2.2009; die tageszeitung (Hg.): Papst Benedikt XVI. und sein Ruf: Der Buchhalter der Vernunft, taz, 8.2.2009; A. Horn: This religious sect is steeped in racism and hatred, The Guardian, 19.2.2009.

Der Beitrag stammt aus: Khadija Katja Wöhler-Khalfallah: Fraternitas Sacerdotalis Sancti Pii X (FSSPX). Im Wörterbuch der Polizei (2. Auflage), M. H. W. Möllers (Hrsg.), Verlag C. H. Beck, München, 2010.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Khadija Katja Wöhler-Khalfallah

Deutsche und Tunesierin, Politik- und Islamwissenschaftlerin

Khadija Katja Wöhler-Khalfallah

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