Coronagerechte Sprache

Angebot zur Versöhnung Bewusste und gerechte Sprache muss auch eine Corona-gerechte sein, wenn wir uns durch diese Pandemie nicht trennen lassen wollen.

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Ob wir davon sprechen, dass bald alles besser wird, "wenn wir alle geimpft sind" oder aber "wenn dann alle, die wollen, ein Impfangebot bekommen haben" macht einen kleinen aber feinen Unterschied im achtsamen, empathischen Miteinander. Und nichts brauchen wir derzeit mehr als das. - Bewusste und gerechte Sprache muss auch eine Corona-gerechte sein, wenn wir uns durch diese Pandemie nicht trennen lassen wollen.

Über die verstärkte Polarisierung in der Gesellschaft in Zeiten von Corona ist bereits viel gesagt worden.

Etwa, dass sich Personen jetzt viel mehr als zuvor als Positionen begegnen, denn als Menschen. Dies ist zum einen der für alle neuartigen Situation geschuldet, die uns dazu zwingt, unsere alltäglichen Handlungen (mit wie vielen Personen, wo, wie oft, wie lange treffe ich mich, und wie verhalte ich mich dabei?) auf eine für mich gültige moralische Basis zu stellen. Diese Basis muss bedeutet Arbeit. Die fundierenden moralischen Prinzipien müssen erst durch Recherche und Informationsaneignung sorgsam abgeleitet und abgewogen werden (-generell eine Reflexions- und Urteilskompetenz, die wir uns bei anderen Themen wie dem Umgang und der Ausbeutung unseres Planeten und ihn bewohnenden Lebewesen nur wünschen könnten). Zum anderen ist dieses verstärkte Positionieren auch (und in nicht unerheblichem Maße) den Dynamiken sozialer Medien geschuldet, in denen pointierte, verkürzte Aussagen zu einem Schlagabtausch führen und uns in Sekundenschnelle entscheiden lassen, ob wir einen Freund oder Feind vor uns haben. Der Psychologe Stephan Grünewald beschreibt mit Sorge diese Entwicklung in unserer Gesellschaft hin zu einer "Kultur der Selbstbezüglichkeit".

Virtue signalling, d.h. das zur Schau stellen der eigenen moralischen Überzeugungen, ist gerade hoch im Kurs, möchte man doch als ein Mensch gelten, der das "richtige" tut. Den eigenen Wertevorstellungen gemäß zu handeln oder die moralische Korrektheit der eigenen Position zu einem bestimmten Thema zu signalisieren, sind dabei aber zwei verschiedene Dinge, die den kleinen Unterschied zwischen Moral und Moralismus ausmachen, wenn nicht sogar den zwischen Demut und Eitelkeit. Solidarität zeigen und leben, besteht eben genau nicht darin, andere zu belehren und aufzurufen solidarisch zu handeln. Nicht nur, weil es eine Anmaßung ist, die eigene Position als die moralisch Richtigere oder etwa die einzig Richtige anzusehen, sondern auch, weil es auf Grenzziehung statt auf Verbundenheit setzt. Welche paradoxen Ausmaße ein Handeln im vermeintlichen Sinne des totalen Guten annehmen kann, waren etwa in dem schadenfrohen Fingerzeig auf Trump oder Johnson zu sehen, als diese sich mit dem Corona-Virus infizierten. Wenn aber Solidarität laut Definition "gemeinsam verantwortlich, miteinander verbunden" meint, ist dann nicht eher die Verbundenheit und Menschlichkeit im Umgang miteinander das Solidarische? Wenn wir in die Falle tappen, zu denken, dass wir Recht haben, ist jedoch nicht nur unsere Urteilsfähigkeit getrübt, sondern es verlagert sich in unseren sozialen Begegnungen auch der Fokus von dem Zustand der zwischenmenschlichen Beziehung auf die Richtigkeit einer Behauptung.

In Zeiten, in denen wir uns verstärkt um gerechte Sprache Gedanken machen, darüber, niemanden auszugrenzen und zu verletzen, und daher um einen gendersensiblen und rassismuskritischen Sprachgebrauch bemühen, sollte da gerechte Sprache nicht auch eine coronagerechte sein? Will heißen, sollte da nicht auch in einem Diskurs, der unsere gesamte Gesellschaft in einem solchen Ausmaß betrifft wie die Corona-Pandemie, auf eine lebensbejahende, achtsame Kommunikationsweise, die durch Empathie, Mitgefühl und gegenseitigem Respekt und Anerkennung gekennzeichnet ist, geachtet werden?

Wörter wie "Impfgegener" oder gar "Impfverweigerer" sind nicht von einem solchen empathischen Grundgefühl geprägt, sondern strotzen vor Vorwürfen, moralischen Urteilen und Beschuldigungen und lassen sich daher der lebensentfremdenden Kommunikationsform (oder Wolfsprache im Jargon der gewaltfreien Kommunikation) zuordnen. Ob wir davon sprechen, dass bald alles besser wird, "wenn wir alle geimpft sind" oder "wenn dann alle, die wollten, ein Impfangebot bekommen haben" macht einen kleinen aber feinen Unterschied im achtsamen, empathischen Miteinander. Während die erste Formulierung die eigenen Wertmaßstäbe als die universell geltenden deklariert, und damit eskalierend in Bezug auf anders lautende Bedürfnisse oder Handlungsprinzipien wirkt, indem diesen erst gar keinen Raum gegeben wird, schafft es die letztere deeskalierend und damit lebensbejahend zu sein, indem sie Akzeptanz für andersartige Bedürfnisse als die eigenen signalisiert und es bewirken kann, dass totgelaufene Gespräche wieder belebt werden können, und potentielle Gewalt schon vorbeugend entschärft wird.

Warum wir Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen nicht verurteilen sollten, soll hier einmal erläutert werden: Nicht nur könnten sie für sich die Abwägung getroffen haben, dass sie das Risiko der potenziellen Nebenwirkungen eines nicht abschließend erforschten und zudem neuartigen Impfstoffes größer einschätzen als ihren Nutzen. In Anbetracht, der Tatsache, dass das Risiko für einen gesunden, unter 60-jährigen an Covid19 zu versterben bei 0,05% liegt, scheint dies nicht irrational (verglichen damit beträgt die Todesrate von Denguefieber bis zu 30%, bei Ebola bei 50-90%). Zum anderen ist auch das Solidaritäts-Argument klar von dem epidemiologischem Argument zu trennen. Sarah Wagenknecht stellte in ihrer Wochenschau die berechtigte viel zu selten gestellte Frage: Wenn alle geimpft sind, die möchten, an wen sollen dann die jungen Leute die Krankheit weitergeben? - Ausschließlich an Personen, die sich dazu bewusst entschieden haben, das Risiko einer Infektion in Kauf zu nehmen. Diese Freiheit müssen wir ihnen aber lassen, denn das Recht auf Selbstgefährdung ist ein Grundrecht, schließlich können wir auch niemandem verbieten mehrere Flaschen Wein täglich zu trinken oder zu rauchen. Das heißt hier ist das Solidaritätsargument von dem epidemiologischen Argument der Herdenimmunität (die nur bei einer Impfrate von 70% hergestellt wird) schlicht logisch zu trennen.

Solidarität ist ein Begriff, der vermehrt von Menschen benutzt wird, die sich politisch im linken Spektrum einordnen, besonders in Zusammenhang mit Corona scheint es die Maxime des Handelns geworden zu sein. Genau dieses Moralgefühl bedienen (oder kreieren) Schlagzeilen wie "Impfen aus Nächstenliebe" wie etwa auf dem Titelbild des Sterns zu Weihnachten 2020, auf welchem die heiligen drei Könige dem Jesuskind die Impfdosis bringen (-Schleichwerbung für Biontech gleich inklusive). Wer heutzutage sozial eingestellt ist, hat diese Meinung zu vertreten, ist die subtile message, die in einer solchen moralisierenden Berichterstattung vermittelt wird.

Was hätte wohl die sozialistische Feministin Rosa Luxemburg, zu dem heutigen Diskurs um digitale Impfausweise, unterschiedliche Rechten für Geimpfte und Nicht-Geimpfte, zum moralischen Elitismus gesagt? Rosa trat für Radikalität aber gleichzeitig auch Sanftheit ein. Gemäß ihrer Anti-Elitismus Vorstellung gibt es keine Menschen zweiter Klasse. Für sie galt: "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden".

Nun ist das Wort Freiheit zuletzt ziemlich aus der Mode gekommen. In Zusammenhang mit Corona gilt es als überzogenes, individualistisches, westliches Konzept, als kaltherziges und moralisch problematisches, neoliberales Projekt. Solidarität als ein Begriff, der das Bild des gemeinsamen Bootes, in dem wir alle sitzen, suggeriert, schafft es, die derzeitige Situation in einem gemeinschaftlicheren Sinne zu deuten. Solidarität zeigt sich deshalb vielmehr auch in einer Haltung der Versöhnlichkeit, Anerkennung und Akzeptanz des Anderen. Andere Menschen einzubeziehen und nicht von vorherein durch (bewusstes oder unbewusstes) virtue signalling auszugrenzen, gewaltfreie Kommunikation jenseits von Vorwürfen und Beschuldigungen kann für unser solidarisches Projekt und das Zusammenwachsen der Kluft zwischen den Fronten der Gesellschaft vielmehr bewirken als das bloße Festhalten am Guten. Denn vielleicht, um mit der Idee von dem Philosophen George Edward Moore zu enden, ist das Gute gar nicht definierbar, sondern zeigt sich vor allem in der Freundschaft?

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