Unruhen an der satirischen Front

Die PARTEI Was Marco Bülows Ein- und Nico Semsrotts Austritt mit der Frage nach dem realpolitischen Gehalt einer Satirepartei zu tun hat

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Martin Sonneborn (r.) und Nico Semsrott beim EU-Wahlkampf 2019
Martin Sonneborn (r.) und Nico Semsrott beim EU-Wahlkampf 2019

Foto: Jochen Eckel/Imago

Im November 2020 gelang der PARTEI ein seit langem angestrebtes Ziel: der Einzug in den deutschen Bundestag. Ermöglicht wurde dieser beachtliche Erfolg durch den Übertritt des ehemaligen SPD-Politikers Marco Bülow, der seit 2018 als fraktionsloser Abgeordneter im Parlament sitzt. Doch auf den nationalen Triumph folgte der europapolitische Rückschlag. Mit dem Austritt des Kabarettisten Nico Semsrott verlor die PARTEI im Januar 2021 einen ihrer beiden EU-Abgeordneten. Beide Ereignisse überraschten die Öffentlichkeit und riefen geteilte Meinungen hervor.

Die kleine Satirepartei und die große Politik

Seine Motivation zum PARTEI-Beitritt erklärt Marco Bülow im Jung-&-Naiv-Interview folgendermaßen: Er habe festgestellt, dass hinter der satirischen Außenseite der PARTEI „noch ’ne Menge mehr dahinter ist“. Zwar habe er Vorbehalte etwa in Bezug auf „mangelnde Ernsthaftigkeit“ besessen, nach der persönlichen Kontaktaufnahme mit Martin Sonneborn und dessen Mitstreiterinnen und Mitstreitern seien diese aber schnell verflogen. Mittlerweile würde er die fehlende Seriosität eher seinen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag attestieren. Die PARTEI sei für ihn eine „Partei der Zukunft“. Er sehe gemeinsame Ziele, die sich lediglich in der Art der Umsetzung unterschieden.

Aussagen wie diese machen deutlich, welche Entwicklung die PARTEI in den letzten Jahren durchlaufen hat. Lange Zeit stand sie mit Sprüchen wie „MILFs gegen Merkel“, „Lebe im Bier und Jetzt“ oder dem zentralen Slogan, „Inhalte überwinden!“, vor allem für provokant-spaßige Abwechslung im Wahlkampf. Doch spätestens als Martin Sonneborn 2014 ins EU-Parlament gewählt wurde, änderte sich der Kurs. Regelmäßig wird seitdem aus Brüssel über die strukturelle Schieflage der EU-Politik berichtet, zunehmend wörtlicher wurden die kritischen Äußerungen.

Bei der Europawahl 2019 erreichte die PARTEI dann unerwartet 2,4 Prozent, nachdem sie im Wahlkampf unter anderem mit einem Video zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer Aufmerksamkeit erregt hatte. Noch zehn Jahre früher hätte ein Clip wie dieser nicht mit den restlichen Inhalten der PARTEI zusammengepasst – die damals etwa in der Forderung nach dem Neuaufbau der deutsch-deutschen Mauer oder dem Errichten eines atomaren Endlagers im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg bestanden.

Tatsächlich scheint die PARTEI dem ironisch spöttelnden Polit-Klamauk, der ihr anfängliches Auftreten kennzeichnete, zusehends zu entwachsen. Dass nun Politiker wie Bülow, der sich selbst als einen der letzten wirklichen Sozialdemokraten bezeichnet, ein solches Vertrauen in sie setzen, unterstreicht diese Tendenz. Generalisieren lässt sich diese Entwicklung freilich nicht – wie eine Person beispielhaft bezeugen kann, der das Zutrauen auf die realpolitischen Ambitionen der PARTEI schmerzhaft auf die Füße gefallen ist.

Die Affäre Praetorius

Abseits der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung scheiterte im vergangenen Jahr ein interessantes und ambitioniertes Anliegen. Die Akteurin: Bianca Praetorius. Ihre Akte: Mitgründerin der Partei Demokratie in Bewegung (DiB) und Mitglied der Bewegung Democracy in Europe Movement 2025 (DiEM25), in der sich neben Yannis Varoufakis etwa auch Slavoj Žižek und Noam Chomsky engagieren. Ihre Vision: Ein gemeinsames Bündnis sämtlicher deutscher Kleinstparteien mit progressiver Haltung (Tierschutzpartei, Piraten, Volt, ÖDP, BGE, Klimalisten etc.). Das Ziel: Gemeinsam die 5%-Hürde überwinden und nach der Wahl im Herbst in den Bundestag einziehen. Die Strategie: Die PARTEI solle als Container fungieren, um die oft monothematisch ausgerichteten anderen Partei-Initiativen zu bündeln, damit für das Vorhaben keine neue Partei gegründet werden müsse.

Das Problem: Es kam nicht zu dem erhofften Schulterschluss. Die vermeintlich gleichgesinnten Kräfte wollten keine Allianz miteinander eingehen, lediglich einzelne Akteurinnen und Akteure stellten sich hinter das Projekt United4Bundestag. Breite Ablehnung habe Praetorius, wie sie selbst berichtet, vor allem aus den Reihen der PARTEI erfahren. Deren Mitglieder, so Praetorius, würden lieber unter sich bleiben und Satire treiben, als gemeinsam mit anderen Initiativen etwas erreichen zu wollen.

Nun mögen die Gründe für diesen Misserfolg vielfältig sein. Zum einen fällt es politischen Gruppierungen naturgemäß schwer, sich mit anders ausgerichteten Bündnissen zusammenzutun. Zum anderen wird sich die Basis der PARTEI überrumpelt, unterwandert, ja vielleicht sogar instrumentalisiert gefühlt haben. Ein entscheidender Faktor aber war sicher auch die nach wie vor bestehende ironische Indifferenz vieler Mitglieder, die sich tatsächlich lieber im Bereich des Satirischen bewegen als im Feld der realen Politik.

Derzeitige Konstellationen

Dann muss die Frage aber lauten: Will man diese Haltung wirklich als unverantwortlich bewerten und sie der Satirepartei zum Vorwurf machen? Im Vorfeld der EU-Wahl 2019 hat Nico Semsrott in einem FAZ-Interview treffend festgehalten, dass die PARTEI „eine Anarcho-Gruppe ist und aus 35.000 Flügeln besteht.“ Er selbst rechne sich dem „Realo-Flügel“ zu. Satirische Mittel seien legitim, um Öffentlichkeit zu schaffen und den Fokus auf wichtige Themen zu lenken – „und wenn dabei noch gute Politik rumkommt, umso besser.“

Semsrott ist das beste Beispiel für einen gewissenhaften Umgang mit den Möglichkeiten, die ihm seine PARTEI-Karriere beschert hat. Nachdem er 2019 ins EU-Parlament gewählt wurde, trat er dort der Grünen-Fraktion bei und beteiligt sich seither verantwortungsvoll an Abstimmungen. Neben ihm gibt es andere Kräfte in der PARTEI, deren Motivation zum politischen Engagement eher dem unterhaltsamen Aspekt von Satire geschuldet ist. Diese Bestrebungen müssen sich nicht ausschließen, sondern können produktiv nebeneinander bestehen.

Zumindest schien es so zu sein – bislang. Am 13.1.2021 hat Semsrott sich dazu entschlossen, die PARTEI zu verlassen. Die Vorwürfe gegenüber Sonneborn, die Semsrott als Grund für seinen Austritt anführt, haben nicht nur eine öffentliche Debatte über die Grenzen von Satire und die Frage nach der Legitimität von stereotypen, klischeehaften Darstellungsformen angestoßen. Sie zeigen auch, dass es um das gewollte Nebeneinander verschiedener Auffassungen innerhalb der Partei offenbar weniger gut bestellt ist, als es lange Zeit den Anschein hatte.

Vielleicht sollte einer einzelnen und persönlichen Entscheidung wie dieser kein zu großes Gewicht hinsichtlich der Vielfalt an Positionen und Haltungen innerhalb der PARTEI beigemessen werden. Es bleibt zu hoffen, dass sie keine internen Grabenkämpfe – Team Sonneborn vs. Team Semsrott – nach sich zieht. Eine solche Entwicklung wäre für die PARTEI tatsächlich die Abkehr von ihrem satirischen Auftrag und ein ziemlich fruchtloser Wechsel in die Realpolitik.

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