Jonah Peretti ist der Vorreiter der viralen Verbreitung im Netz. Die Erfolgsgeschichte des späteren Buzzfeed-Gründers beginnt in der Zeit vor den sozialen Netzwerken. 2001 sollte der damals 27-Jährige eigentlich an seiner Masterarbeit arbeiten. Doch er war mit seinen Gedanken bei einem Angebot von Nike: personalisierbare Sneakers. Seine Bestellung von einem Paar Schuhe mit dem Aufdruck „sweatshop“ – „Ausbeuterbetrieb“ – brachte ihn dazu, statt seiner Abschlussarbeit doch lieber schräge E-Mails mit dem beleidigten Kundenservice der Sportmarke auszutauschen. Die unterhaltsame Korrespondenz sendete er dann an einige Freunde, die diese abermals weiterleiteten – und ein paar Wochen später hatte Peretti erstmals Kurzzeitruhm erlangt. Er diskutierte in einer Talkshow mit einem Vertreter von Nike über die Arbeitsbedingungen der Firma.
Von da an war Peretti, der später auch die Newsseite Huffington Post mitgründete, besessen von viralen Inhalten. 2006 rief er Buzzfeed ins Leben, zunächst als Hobby neben seinem Job bei der Huffington Post. Mittlerweile ist Buzzfeed selbst in die Top Ten der meistbesuchten Nachrichtenseiten der USA aufgestiegen. Allein im Verlauf des vergangenen Jahres hat das Onlinemedium seine Reichweite in den USA und Großbritannien noch einmal verdoppelt und vor allem bei jüngeren Nutzern weiter zugelegt. Auf Facebook wurden 2014 nur Inhalte der Huffington Post häufiger geteilt.
Tierbilder und die sogenannten Listicles sind Motor des anfangs belächelten Erfolgs. In den USA hat sich Buzzfeed allerdings inzwischen auch einen Namen als ernst zu nehmender Medienriese gemacht – mit eigenen, teilweise investigativ recherchierten Nachrichteninhalten und einem radikal innovativen Geschäftsmodell, um das die meisten anderen Medienunternehmen den Newcomer beneiden. „Die Branche hat etwas missgünstig anerkannt, dass Buzzfeed großartige Ideen hervorbringt“, sagt Carrie Brown, Programmleiterin Social Journalism an der City University of New York (CUNY). Sogar die New York Times, diese ehrwürdige Institution des amerikanischen Journalismus und vielleicht beste Tageszeitung der Welt, hat das grellbunte Medien-Start-up als Top-Konkurrenten anerkannt, wie aus ihrem öffentlich gewordenen Innovation Report hervorgeht.
Vielleicht wäre es nie so weit gekommen, hätte AOL nicht 2011 die Huffington Post übernommen. Peretti verließ die HuffPo und steckte fortan seine ganze Energie in Buzzfeed. Als Erstes verpasste er der Katzenseite einen Richtungswechsel und heuerte den renommierten Journalisten Ben Smith als Chefredakteur an. Smith baute das Nachrichtengeschäft aus, warb Reporter von angesehenen Redaktionen wie Rolling Stone, The Village Voice und Gizmodo ab, begleitete die Präsidentschaftswahlen 2012 mit einem eigenen Büro in Washington. Es folgten eine Investigativ-Einheit und Korrespondenten im Nahen Osten. Je mehr sich Buzzfeed dem ernst zu nehmenden Journalismus zuwendete, desto mehr Interesse zeigten auch Investoren. Die jüngste Finanzierungsrunde im August dieses Jahres bewertete Buzzfeed mit etwa 1,5 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Amazon-Chef Jeff Bezos kaufte die renommierte Washington Post vor zwei Jahren für 250 Millionen Dollar. Das Fremdkapital hat Buzzfeed dabei geholfen, seine Reichweite immer weiter auszudehnen.
Die Evolution von der Katzenseite zur umfassenden Nachrichtenorganisation dient auch als Blaupause für Ableger in anderen Ländern. Am Anfang werde mit unterhaltsamen Inhalten ausprobiert, welche Geschichten und welcher Ton die Leser auf den neuen Märkten ansprechen, erklärt Scott Lamb, der im New Yorker Buzzfeed-Büro für die internationale Expansion zuständig ist. Nach der Experimentierphase sollen dann eigene nachrichtliche Beiträge folgen. Deutschland ist Lamb zufolge für Buzzfeed einerseits sehr interessant, weil der Markt groß ist und soziale Medien weit verbreitet sind, andererseits herrsche hier aber auch ein harter Wettbewerb.
Der Schlüssel zum Erfolg von Buzzfeed liegt darin, dass alle Geschichten danach bewertet werden, wie häufig sie geteilt werden können. Dank trainierter Mitarbeiter und entsprechender Algorithmen weiß Buzzfeed so gut wie niemand sonst, welche Dynamiken in sozialen Netzwerken herrschen und welche journalistischen Formate dort funktionieren. Laut Unternehmensangaben finden drei Viertel der mehr als 200 Millionen Leser pro Monat die Inhalte über Facebook, Twitter und Co.
Bei der Werbung weit vorn
Der Erfolg schlägt sich in der Bilanz nieder. Als eines der wenigen Medienunternehmen überhaupt wächst Buzzfeed: Im vergangenen Jahr durchbrach es zum ersten Mal die Marke von 100 Millionen US-Dollar Umsatz. Wie viele US-Medienunternehmen macht Buzzfeed sein Geld vor allem mit Werbung. Allerdings nicht mit Bannern, auf die sowieso niemand klickt. Buzzfeed gilt als Pionier im sogenannten Native Advertising: Dabei wird die Werbung im Stil der anderen Buzzfeed-Inhalte präsentiert. Sie ist Teil der Artikel, Listen, Infografiken und Videos, allesamt im typischen Buzzfeed-Ton, witzig, nett und vor allem: teilenswert. Immer mehr US-Medien, darunter auch die Washington Post und die New York Times, versuchen sich mittlerweile im Native Advertising. Die Methode ist wegen des Verwischens der Grenze zwischen Redaktionellem und Werbung aber auch sehr umstritten.
Obwohl die Werbung den gleichen Ton hat, herrsche eine strikte Trennung von der Redaktion, betont man bei Buzzfeed. Die beiden Teams arbeiteten in getrennten Büros mit unterschiedlichen Adressen, sagt Matt Trotta, Leiter für Agency Strategy. „Wir gucken uns bei der redaktionellen Arbeit ab: Was läuft gut?“ Die Nachahmeversuche anderer Medienhäuser stören ihn dabei nicht: „Ich finde das super! Damit bekommen wir mehr Vergleichswerte.“
Das Buzzfeed-Prinzip ist auch nicht einfach auf andere Medienmarken übertragbar. Social-Journalism-Expertin Brown spricht von einem zweischneidigen Schwert: „Klar, wir müssen da sein, wo die Menschen sind”, sagt sie im Hinblick auf die sozialen Netzwerke. „Aber andererseits: Ist es nachhaltig, wenn wir alle Macht an Facebook und Konsorten abgeben?“ Zwar bemühen sich die Netzwerke um das Vertrauen der Medien, schließlich brauchen sie journalistische Inhalte, um Leser auf ihre Seiten zu locken. Doch gleichzeitig behalten Facebook und Co. die Kontrolle über Algorithmen und Daten.
Seit vergangenem Jahr hat Buzzfeed ein Team von 20 Mitarbeitern, das Inhalte ausschließlich für soziale Plattformen und Apps produziert: Instagram, Vine, Tumblr, Snapchat. Nichts von dem landet je auf der Website buzzfeed.com. Mit dem Konzept reagiert man auf die rasant zunehmende Smartphone-Nutzung, die dem Browserfenster auf dem Computer den Rang abläuft. „Es sieht ganz danach aus, dass das Internet in fünf bis zehn Jahren ziemlich anders aussehen wird“, sagte die Leiterin der neuen Einheit, Summer Anne Burton. Buzzfeeds Erfolg gründe darauf, dass es sich nicht darauf verlasse, das weiter funktioniere, was bisher funktioniert habe.
Diese Mentalität unterscheidet Buzzfeed von traditionellen Medienunternehmen, bei denen die Erkenntnis nur langsam durchsickert. Und mit dem Erfolg kommt die Anerkennung. Bei US-Journalistik-Studenten steht das Start-up heute ganz oben auf der Liste der angestrebten Arbeitgeber.
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