Hauptsache, es riecht

Fetisch "50 Euro für Ihre Strumpfhose!" Mit getragener Wäsche wird, vor allem im Internet, schwunghafter Handel getrieben. Annäherung an eine bizarre Geschäftswelt
Vielleicht wäre sie nicht der Renner auf dem Gebrauchtwäschemarkt, aber auch diese aparte Stricksocke ließe sich dort verkaufen
Vielleicht wäre sie nicht der Renner auf dem Gebrauchtwäschemarkt, aber auch diese aparte Stricksocke ließe sich dort verkaufen

Foto: El_Kapitan/Fotolia.com

Eigentlich ist ein Waschsalon ja kein Ort, an dem man große Überraschungen erlebt. Umso mehr irritierte mich eine Begegnung, die ich vor Kurzem dort hatte. Ich wartete auf einer Bank gelangweilt auf meine Wäsche, als ein unscheinbar aussehender Herr mittleren Alters auf mich zukam. Ob er die Strumpfhose kaufen könne, die ich gerade trage. 50 Euro. „Moment mal, was?“, fragte ich. „Daran ist überhaupt nichts komisch“, versicherte er mir. Wichtig für ihn sei, dass das Kleidungsstück frisch benutzt sei. Er blickte zur Wäschetrommel und der Gedanke daran, wie viele andere Wäschestücke hier gerade ihren Gebrauchsduft verloren, schien ihn sichtlich zu enttäuschen. Ich lehnte ab. Er verschwand, ohne weiter zu insistieren.

Zurück blieb ich etwas verdattert mit der Frage: War die Begegnung nur ein kurioser Einzelfall, oder gab es tatsächlich eine bizarre Subökonomie, in der ein schwunghafter Handel mit getragener Kleidung getrieben wurde? Ich begann zu googeln und wurde schnell von einer Masse an Annoncen erschlagen, in denen meist junge Frauen gebrauchte Unterwäsche auf speziellen Webseiten anboten.

Neben „scharfen feuchten Lack-Tangas“ werden dort auch von männlichen Verkäufern „getragene Strumpfhosen der Ehefrau“ angeboten. Ebay war eine Zeitlang der Hauptumschlagplatz dafür gewesen. Wenn man dort noch vor einigen Monaten „getragene Strumpfhose“ in die Suche eingab, stieß man auf Hunderte von Anzeigen, in denen Frauen lasziv in knappen Strümpfen posierten. Homosexuelle Kunden schienen sich hingegen vor allem für gebrauchte, vollgeschwitzte Turnschuhe zu interessieren. „Gayle Sneaker, bei Special-Partys getragen, mit Gebrauchsspuren“, gab es da etwa im Angebot.

Die Ebay’sche Sittenpolizei ist mittlerweile aber eingeschritten und hat Annoncen mit allzu eindeutigen Bildern und Texten von der Seite verbannt. Der Verkauf von „gebrauchten Unterhosen und Damenstrumpfhosen“ verstößt auch gegen die Grundsätze der Seite – „sexueller Inhalt und so“, um es mit den Worten eines enttäuschten Käufers zusammenzufassen.

Mit Garantieerklärung

Eine Fülle von anderen Webseiten ist aber in die vom Ebay-Boykott hinterlassene Lücke gestoßen. Und auf diesen spezialisierten Seiten sind die Beschreibungen einiges expliziter als bei den früheren Ebay-Aktionen: „Meine Strumpfhosen wurden alle mindestens 24 Stunden getragen und riechen nach meinen göttlichen Füßen und meiner Pussy.“ Gefolgt von der Garantieerklärung: „Ich sorge dafür, dass sie schön frisch duften, wenn ich sie abschicke.“

Ich wollte herausfinden, wer diese Frauen sind, die online ihre Schlüpfer an Fremde verkaufen. Vielleicht steckten ja gar keine Mädchen dahinter, sondern ein paar japanische Jungs, die vor dem Computer rumhüpfen und dabei Damenhöschen anhaben, die sie vollschwitzen, um sie anschließend einzutüten und mit dem Foto eines jungen Mädchens an alte Männer in Europa zu schicken. So stellt sich die Elektro-Popgruppe Stereo Total zumindest die Nachschubversorgung der Gebrauchtwäsche-Fetischisten in ihrem Musikvideo „Wir tanzen im Viereck“ vor.

Ich kontaktierte ein paar Verkäuferinnen. Die Frau hinter dem Pseudonym „J“ hätte mir „gerne alles erzählt“, ihre Geheimnisse hatten aber einen Preis: 9,99 Euro für eine halbe, 14,99 Euro für eine volle Stunde verlangte sie. Ich passte. „Myredhotlips“ wollte nicht direkt mit mir sprechen, sondern schlug mir stattdessen vor, mich an ihre Mutter zu wenden. Diese meldete sich auf Nachfragen aber nie.

Die Sache ließ mich nicht los. War es nicht doch eine clevere Art, ein paar Euro zu verdienen? Anstatt seine alte Wäsche wegzuschmeißen, könnte man jemand so eine Freude machen und selbst noch ein bisschen Geld verdienen – klang wie eine Win-win-Situation. Aber die Grenzüberschreitung, die damit verbunden wäre, erschien mir doch zu groß. Außerdem erklärte mir „Foxylady“, dass es viel Zeit und Mühe koste, die Annoncen einzustellen und alle Anfragen per E-Mail zu beantworten: „Also nicht ganz so einfaches Geld, wie du dir gedacht hast.“

16 Euro kostet im Schnitt eine gebrauchte Strumpfhose. Der Markt ist allerdings immer in Bewegung. Wenn die Zahl der Anbieter sinkt, können die Preise schnell steigen – was aber wiederum dazu führt, dass mehr Frauen ihre Unterwäsche offerieren.

In Fetischforen tauschen sich die Sammler aus. Sie vergleichen Preise und erzählen sich gegenseitig, an wessen Strümpfen sie als erstes gerochen haben. Manche sind auch auf der Suche nach Tauschpartnern, mit denen sie die Höschen ihrer Frauen tauschen wollen. Ob die Frauen Bescheid wissen und damit einverstanden sind, erwähnen sie nicht. Sämtliche Diskussionen finden im Schutz von Pseudonymen statt. Auf die Nachfrage, ob man für eine Recherche mal über ihre ungewöhnliche Vorliebe sprechen könnte, blockten alle ab.

Aber was sagt die Wissenschaft? Der Fetisch sei eine Art Ersatzobjekt für den Menschen, erklärt der Düsseldorfer Psychologe Bernd Nitzschke, der unter anderem zu Sexualität und Geschlechterrollen geforscht hat. Er verweist als Beispiel auf Goethes Faust. Von Mephisto verlangt Faust in einer Szene, dass er ihm ein Strumpfband oder Halstuch von Gretchen besorgt: „Halstuch und Strumpfband sind hier ein Ersatz der Person, die begehrt wird.“ Es bestehe dabei die Gefahr, dass das Objekt den echten Menschen irgendwann völlig ersetzt. Von Fetischismus spreche man aber erst, wenn die sexuelle Lust nur noch durch den Fetisch erreicht werden kann. Dieser sei auch nur dann behandlungsbedürftig, wenn der Betroffene darunter leide und aus eigener Kraft nicht davon loskomme.

Eine größere Entwicklung

Einen anderen Blick auf das Phänomen wirft Rosalind Gil, Professorin für Gesellschafts- und Kulturanalyse am King’s College in London. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf ‚Sexual Entrepreneurship‘. Sie sieht den Trend kritisch, dass im Internet ein zunehmend schwunghafterer Handel mit sexuell aufgeladenen Kleidungsstücken von Frauen getrieben wird. Dieses offensive Anbieten eigener Wäsche sei Teil einer größeren Entwicklung. „Wir sehen ein neues Phänomen, welches ich als post-feministisch betrachte. Junge Frauen werden dazu aufgefordert ‚Sexunternehmerinnen’ zu werden“, sagt Gil. „Sie sollen nicht mehr die Unschuld verkörpern, sondern von ihnen wird verlangt, eine Vielfalt an sexuellen Darstellungen und Praktiken zu beherrschen. Und sie sollen eine freche, selbstbewusste, sexuell-unternehmerische Handlungsfähigkeit ausstellen.“

Zugegeben, über diese größeren Fragen habe ich im Waschsalon gar nicht nachgedacht. Mir schien dieses Angebot nur so widersinnig – und ja, auch übergriffig. Meine Strumpfhose behalte ich lieber an.

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