Wenn Hetze normal wird

Faschismus Verliert der Begriff seine Wirkung – oder gibt es zu viele, die ihn verstehen, denen er aber keine Angst mehr macht? Zur schleichenden Akzeptanz der AfD und ihrer Sprache

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Schritt für Schritt haben wir mitgespielt – und es kaum gemerkt
Schritt für Schritt haben wir mitgespielt – und es kaum gemerkt

Foto: Christof Stache/AFP/Getty Images

Anfangs waren es noch Skandale, jede Grenzüberschreitung eine Debatte wert. Die Empörung der demokratischen Gesellschaft über menschenfeindliche Äußerungen groß. Wir haben das Spiel der Rechten mitgespielt, geholfen, jede Hetze, jeden Verstoß gegen die Würde des Menschen groß zu machen, in die Medien zu bringen, in die Diskussionen im Freundeskreis, der Familie. Da wurde wiederholt, was nicht wiederholt werden sollte, diskutiert, was nicht zur Diskussion stehen kann. Schritt für Schritt haben wir mitgespielt – und es kaum gemerkt. Die Opferrolle, der Joker der Rechtsradikalen. Ja, radikal. Und wer nun denkt, ja aber die Linken, die Linksradikalen, dazu kommt jetzt nichts – der hat das Spiel gegen die AfD schon verloren. Spielzug um Spielzug fallen mehr DemokratInnen vom Brett und merken es gar nicht. Da wird von Meinungsfreiheit gesprochen, wo Volksverhetzung stattfindet – und zwar nicht nur von der AfD, sondern auch von jenen, die Angst davor haben, selbst die Freiheit mit einer klaren Benennung einzuschränken. Wieder ein Spielstein weniger für die Demokratie. Wer Meinungsfreiheit schützen will, muss mutig genug sein, zu sagen, wann sie nicht zutreffen darf. Die AfD hat die einst deutlich sichtbaren Linien des Begriffs so lange hin- und hergeschoben, dass manche sie nicht mehr erkennen können und lieber alles mit dem Begriff abgedeckt sehen wollen, als nichts.

Höcke ist Faschist. Aber sollen wir das sagen? Das Gericht sagt ja – Faschist. Er sieht den „Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“, will einen neuen „Führer“. Das ist Faschismus, so wie er heute definiert ist. Aber die Sprachwissenschaft warnt vor der Sinnentleerung des Begriffs. Bloß nicht ohne genaue Begründung verwenden, immer konkret sagen warum. Diese Nachricht ist auch bei den NichtwissenschaftlerInnen angekommen – Faschismus gehe zu weit, das verharmlose den Begriff, da müssen wir vorsichtig sein. Faschismus gab es schon mal, das darf es nie wieder geben, also kann es das auch nicht sein. Diese Vorsicht hat ihre Begründung. In anderen Zeiten, in denen Rechtsradikale nicht mal die fünf Prozent bekommen, um ein Spiel zu eröffnen, könnten wir all diese Überlegungen klug abwägen und vorsichtig mit unserer Sprache sein. Aber in diesen Zeiten leben wir nicht. Wenn es die Angst gibt, dass der Begriff Faschismus seine Wirkung verlieren könnte, wenn wir ihn auf Faschisten anwenden, dann fehlen uns die Worte, zu bennen, was schon ist. Wenn wir uns scheuen, das Wort zu verwenden, aus Angst es könnte nicht mehr den extremen Schrecken zum Ausdruck bringen, den wir damit assoziieren, dann steckt dahinter vielleicht nicht die Sorge vor der Sinnentleerung des Begriffes, sondern die Angst davor, dass viel zu viele Menschen den Sinn verstehen und sich nicht erschrecken.

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