Anfangs waren es noch Skandale, jede Grenzüberschreitung eine Debatte wert. Die Empörung der demokratischen Gesellschaft über menschenfeindliche Äußerungen groß. Wir haben das Spiel der Rechten mitgespielt, geholfen, jede Hetze, jeden Verstoß gegen die Würde des Menschen groß zu machen, in die Medien zu bringen, in die Diskussionen im Freundeskreis, der Familie. Da wurde wiederholt, was nicht wiederholt werden sollte, diskutiert, was nicht zur Diskussion stehen kann. Schritt für Schritt haben wir mitgespielt – und es kaum gemerkt. Die Opferrolle, der Joker der Rechtsradikalen. Ja, radikal. Und wer nun denkt, ja aber die Linken, die Linksradikalen, dazu kommt jetzt nichts – der hat das Spiel gegen die AfD schon verloren. Spielzug um Spielzug fallen mehr DemokratInnen vom Brett und merken es gar nicht. Da wird von Meinungsfreiheit gesprochen, wo Volksverhetzung stattfindet – und zwar nicht nur von der AfD, sondern auch von jenen, die Angst davor haben, selbst die Freiheit mit einer klaren Benennung einzuschränken. Wieder ein Spielstein weniger für die Demokratie. Wer Meinungsfreiheit schützen will, muss mutig genug sein, zu sagen, wann sie nicht zutreffen darf. Die AfD hat die einst deutlich sichtbaren Linien des Begriffs so lange hin- und hergeschoben, dass manche sie nicht mehr erkennen können und lieber alles mit dem Begriff abgedeckt sehen wollen, als nichts.
Höcke ist Faschist. Aber sollen wir das sagen? Das Gericht sagt ja – Faschist. Er sieht den „Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch“, will einen neuen „Führer“. Das ist Faschismus, so wie er heute definiert ist. Aber die Sprachwissenschaft warnt vor der Sinnentleerung des Begriffs. Bloß nicht ohne genaue Begründung verwenden, immer konkret sagen warum. Diese Nachricht ist auch bei den NichtwissenschaftlerInnen angekommen – Faschismus gehe zu weit, das verharmlose den Begriff, da müssen wir vorsichtig sein. Faschismus gab es schon mal, das darf es nie wieder geben, also kann es das auch nicht sein. Diese Vorsicht hat ihre Begründung. In anderen Zeiten, in denen Rechtsradikale nicht mal die fünf Prozent bekommen, um ein Spiel zu eröffnen, könnten wir all diese Überlegungen klug abwägen und vorsichtig mit unserer Sprache sein. Aber in diesen Zeiten leben wir nicht. Wenn es die Angst gibt, dass der Begriff Faschismus seine Wirkung verlieren könnte, wenn wir ihn auf Faschisten anwenden, dann fehlen uns die Worte, zu bennen, was schon ist. Wenn wir uns scheuen, das Wort zu verwenden, aus Angst es könnte nicht mehr den extremen Schrecken zum Ausdruck bringen, den wir damit assoziieren, dann steckt dahinter vielleicht nicht die Sorge vor der Sinnentleerung des Begriffes, sondern die Angst davor, dass viel zu viele Menschen den Sinn verstehen und sich nicht erschrecken.
Kommentare 15
schon wer vom "deutschen wald" redet,
ist auf dem holzweg.
"Wenn es die Angst gibt, dass der Begriff Faschismus seine Wirkung verlieren könnte, wenn wir ihn auf Faschisten anwenden, dann fehlen uns die Worte, zu bennen, was schon ist. Wenn wir uns scheuen, das Wort zu verwenden, aus Angst es könnte nicht mehr den extremen Schrecken zum Ausdruck bringen, den wir damit assoziieren, dann steckt dahinter vielleicht nicht die Sorge vor der Sinnentleerung des Begriffes, sondern die Angst davor, dass viel zu viele Menschen den Sinn verstehen und sich nicht erschrecken."
Ich sehe es anders. Begriffe wie 'Faschist', 'Nazi', 'Rassist' oder das irgendwie unfassbare 'faschistoid' sind längst abgegriffen und ausgelustscht, weil sie inflationär verwendet wurden.
Man hat konserservativ, rechts, rechtsextrem und faschistisch in einer sehr große, undifferenzierte Nähe gerückt (man ist "gegen Rechts") und irgendwann kam der Punkt, wo diese Klinge durch exzessiven Gebrauch stumpf wurde.
Das holt man nicht mehr ein und das Ei hat sich die Linke selbst ins Nest gelegt.
"das Ei hat sich die Linke selbst ins Nest gelegt"
Genau. Denn eigentlich und vordergründig ist ja "die Linke" (wen meinst Du, die Partei, alle (vermeintlich?) "Linken"? hauptverantwortlich für das Erstarken "der (sich nur notwehrenden!) "Rechten" und 'faschistoider" Strömungen.
Und natürlich (die "linke") Frau Dr. Merkel mit ihrer unsäglichen "Willkommenskultur".
Weiss doch heute ein fast jeder.
P.S.: Nimm mal die Scheuklappen ab!
"Nimm mal die Scheuklappen ab!"
Gerne. Benenn doch einfach mal klar, wo ich sie auf habe.
Diese zumeist abwertend genutzten Worthülsen sind wieder mit Argumenten aufzufüllen. Sie hatten früher auch mal einen Sinn und brauchen nicht durch neue Wortschöpfungen umschrieben werden. Die in allllen Medien oberflächlich geführte Diskussion ist das eigentliche Übel. Bleibt die Frage: Wem nützt das?
Den letzten Satz hätten Sie sich sparen sollen, denn er führt - als Leitsatz - wieder zielsicher in die nächste Verschwörungstheorie, die immer einen geheimen Strippenzieher und Profiteur braucht.
Diesen letzten Satz mit Verschwörungstheoriererei zu verbinden, ist bereits praktizierte Oberflächlichkeit.
Das kann nicht oft genug betont werden!
"Faschismus Verliert der Begriff seine Wirkung – oder gibt es zu viele, die ihn verstehen, ..."
Warum fragen Sie nicht danach, ob überhaupt noch eine nennenswerte Anzahl Menschen die eigentliche Bedeutung der Begrifflichkeit "Faschismus" kennt. Ich meine nicht dessen Deutung! So bin ich der Ansicht, daß alleine die selektive Deutung, das Framing, die Aufladung der Begrifflichkeit überhaupt in der Lage ist,Ängste zu affizieren; die Begrifflichkeit als solche aber eben nicht.
Sie haben sehr Recht, Kim Doepke, wenn Sie empfehlen, das Wort Faschist oder Faschismus immer mit einer inhaltlichen Begleitung zu verwenden.
Dazu gehört auch, Faschismus keinesfalls nur auf den Nationalsozialismus einzuengen. Schließlich stammt, aber das wissen Sie sicher, die Erstgeburt aus dem Italien Mussolinis. Es gab den Austrofaschismus und den Franquismus Spaniens, die Ustascha Kroatiens, die Eisernen Garden und Antonescu in Rumänien, um nur einige faschistische Bewegungen zu nennen, die tatsächlich auch die Macht im Staat erlangten.
Völlig zwanglos, lässt sich der Ku Klux Klan als faschistische Bewegung interpretieren und das, was sich heute in den USA, mit wachsendem Stolz und wachsender Anhängerschaft, Alt-Right nennt. White supremacy führt zu einer rassistischen Hierarchisierung und Privilegierung in der Gesellschaft.
>>Wenn wir uns scheuen, das Wort zu verwenden, aus Angst es könnte nicht mehr den extremen Schrecken zum Ausdruck bringen, den wir damit assoziieren, dann steckt dahinter vielleicht nicht die Sorge vor der Sinnentleerung des Begriffes, sondern die Angst davor, dass viel zu viele Menschen den Sinn verstehen und sich nicht erschrecken.<<
Die Furcht vor der Gewöhnung an die vorwegnehmende Sprache ist berechtigt. Die bürgerliche Fantasie erliegt leicht der Versuchung, von der Organisation des politischen Systems übrigens bemerkenswert unabhängig.
Genau aus diesem Grunde, setzen Rechte, in Foren, informellen Netzen, Blogs und Vlogs, in Webzines mit großer Reichweite, sowie in mittlerweile eigene TV-Medienkanälen, auf die ewige Wiederholung des Unerhörten, mit dem man sprachlich beständig provoziert und schon einmal gedanklich anbahnt, was man zu tun gedenkt. - Leider gibt es auch einige wenige Linke, die dieser Versuchung immer noch nicht widerstehen können.
Ihnen wird man aber, in den durchgehend konservativen und bürgerlichen Gesellschaften Europas, eher entgegentreten, als den autoritären Charakteren aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft.
Bildlich gesprochen, ist jedes brennende Auto, jeder umgesägte Oberleitungsmast und jeder vermummte Steinwurf aus dieser Richtung, kompromittiert, während rechte Furcht und rechter Schrecken, geheime Wünsche nach absoluter Sicherheit zu befriedigen scheint und die autoritären und gewalttätigen Akte einer kleinen und diffusen Linken, als Mitbegründung instrumentalisiert werden, warum grundlegend "aufgeräumt" werden müsse. Aus diesem Urgrund speist sich auch die deutliche Affinität der faschistischen und radikalen, nationalkonservativen Rechten zu den Organen der inneren Sicherheit.
Offenes, nicht diskriminierendes Schreiben und Sprechen, das zudem auch noch emotional echt vermittelt wird, strengt ungemein an und gelingt daher, im Vergleich zur Predigt geschlossener Weltbilder, viel seltener und weniger massenwirksam.
Beste Grüße
Christoph Leusch
ja,
die befürworter einer terroristischen volks-gemein-schaft,
mit extinktorischen bedenkenlosigkeiten/lust am aus-sterben ausgegrenzter
sollte man kennzeichnen( beschreiben+verachten).
ob das inflationär-benutzte kampf-wort "faschist"
genug treffende, bewußte abgrenzung transportiert
oder nur ein hass-wort ist, mehr waffe als klar-stellung,
finde ich des nachdenkens wert.
Gute Frage. Was hat man noch im Köcher, wenn man »Faschist« sagt und Gesprächspartner X antwortet: »Ja. Na und?«
Die klassische Antwort war die linke Mobilisierung. Trotz Wasserwerfer, Knüppel und eingesetzter Polizei-Reiterei zum Schutz von NPD-Parteitagen hatte sie ihre erhebenden Momente. Grosso modo hat die antifaschistische Linke 50 Jahre lang dafür gesorgt, dass der Korken – grosso modo – in der Flasche blieb.
Heute scheint die Waffe stumpf zu sein. Ein Ministerpräsident der hochnoblen Linkspartei ruft – erfolgreich und mit dem Stichwort »Dammbruch« – Solidarität ab. Eine Woche später wählt er einen Abgeordneten einer faschistischen Partei mit in ein Parlamentsamt. Tückisch ist die Sprache auch sonst. Den Anfang gemacht mit der grenzüberschreitenden Rede – KZ-Sprache inklusive – hat übrigens die Wer-hat-uns-verraten-Partei. »Nur wer arbeitet, soll auch essen«. Was im Klartext heißt: Gegenüber Bezieher(inn)en staatlicher Transferleistungen sind gängige Übereinkünfte humanistischer Minimalkonventionen außer Kraft gesetzt. Faschismus? Kann das schon allein deshalb nicht sein, weil bestimmte Leute an der Spitze beliebig viele Schüsse frei haben (und der aufgeführte Schuss – nach dem andere ähnlicher Couleur kamen – darüber hinaus bereits 14 Jahre her ist).
Fazit: Es ist, egal von welcher Seite man es betrachtet, gehupft wie gesprungen. Wenn der Faschismus erst einmal etabliert ist, ist er – so einfach ist das – etabliert. Sicher hat das ein Moment des grandios Trostlosen. Gretchenfrage: Wie soll man den Ursachen richtig beikommen, wenn man die richtigen Fragen tunlichst vermeidet?
Ich persönlich fürchte, dass es leider so sein wird, dass sie sich erst dann wieder stellen – und beantworten – lassen, wenn die nächsten Leichenberge aus den nächsten Gruben geborgen wurden.
Den Umständen geschuldet verdient Ramelows Aktion ein Aperçu. Klar lässt sich daraus die einzig angemessene Konsequenz ziehen: diesen Haufen karrieregeiler Links-Poser eben nicht mehr zu wählen. Leider funktioniert das anlässlich von Ramelows Wahl ins Spiel gebrachte Stichwort »Erpressung« nicht nur in Bezug auf die AfD, sondern auch in Bezug auf die eigenen Wähler(innen)kohorten. Mit anderen Worten: Linkspartei (und Grüne und wegen mir Spezialdemokraten) haben den Antifaschismus erfolgreich in Geiselhaft genommen. Im Klartext: eine Nicht-AfD-Partei nicht zu wählen kann sich heute keine(r) mehr leisten, der oder die den Begriff »Antifaschismus« ernst nimmt. Motto: »Wenn ihr den Ramelow nicht wählt, kommt eben der Höcke.«
Das war ein Exkurs zum Thema Taktik. In Bezug auf Antworten ist er, ich gebe es zu, ebenfalls wenig ergiebig. Andererseits zeigt er sehr schön, wie weitgehend bereits das Terrain der Fragen korrumpiert ist.
Richtig ist, das viele der AfD Leute aus der CDU kommen und auch viele der CDU “Werteunion“ haben keine Berührungsängste mit der AfD. Bemerkenswert ist aber auch, dass die sogenannten freien Wähler oder Bündnisse für die Stadt X/Y ganz schön Kuschelkurs zur Höcke Partei betreiben … nach den Motto, die sind doch Demokratisch gewählt … Deutschlands neue Mitte?
Stimmt unser sogenannter "Qualitätsjournalismus" (FAZ, die Zeit, Focus, WELT aber auch die taz) spiegeln sich gegenseitig immer mehr, schreiben meist alles brav von den wenigen Pressegenturen ab, sogar die taz springt auf den neoliberalen, russlandfeindlichen Zug mit auf. Wer das anprangert, kriegt die Worte "Populist", "Querfront" etc. mindestens genauso inflationär um die Ohren gehauen wie Konservative und alle AfD-Wähler "Faschist" oder "Nazi".