Verzockt im Energiepoker

Gastbeitrag Laut einer Umfrage befürchet eine knappe Merhheit der Deutschen, dass die Boykott-Politik eher zulasten Deutschlands als Russlands geht. Sie hat Recht

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Längst nicht alle europäischen Länder sind überzeugt von den Energie-Sanktionen
Längst nicht alle europäischen Länder sind überzeugt von den Energie-Sanktionen

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Mit etwas Kitsch angereichert (Scholz: „You‘ll never walk alone“) kündigte die Bundesregierung am vergangenen Freitag an, den größten deutschen Gasimporteur Uniper zu retten. Der ohnehin schon gewaltige Kreditrahmen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Uniper wird auf 9 Milliarden Euro erhöht. Der Bund steigt mit 30 Prozent der Aktien in das Unternehmen ein. Und der deutsche Endverbraucher zahlt in Zukunft die Zeche für die Ersatzbeschaffungskosten, die Uniper infolge der Boykott-Politik aufbringen muss und die dem Unternehmen fast den Garaus gemacht hätten. Diese zusätzlichen Kosten entstehen, weil Uniper die Gasmengen, die es nicht mehr zu günstigen Preisen aus Russland beziehen kann, stattdessen auf dem Weltmarkt einkaufen muss – zu deutlich höheren Preisen. Bundeskanzler Scholz hat angekündigt, dass spätestens ab dem 1. Oktober die Preise größtenteils durchgereicht werden dürfen. Die Gaskunden – private ebenso wie industrielle Verbraucher – dürfen sich also auf weitere saftige Preiserhöhungen gefasst machen.

Daran ist Putin schuld? Ja, insofern, als sein Angriffskrieg gegen die Ukraine der Auslöser für den Wirtschaftskrieg war, den EU und USA seither gegen Russland führen. Doch einzusehen, dass sich dieser zunehmend zu einem echten Verarmungsprogramm für die Mittelschicht und die ohnehin schon wenig Begüterten in den beteiligten Ländern und zu einer Katastrophe für die Menschen in den (völlig unbeteiligten) Ländern des Südens auswächst, diese Verantwortung liegt bei der Bundesregierung. Der Krieg in der Ukraine wird durch die Sanktionen keinen Tag kürzer. Kein einziges Menschenleben wird dadurch gerettet.

Außerhalb von NATO und EU beteiligt sich kaum ein Land an den Wirtschaftssanktionen. Die Länder Asiens und Lateinamerikas, die gerade beginnen, sich industriell zu entwickeln, werden den Teufel tun und ihre Konjunktur durch Energieboykotte abwürgen. Vielmehr versuchen sie, manchmal durchaus pfiffig, für sich das Beste aus dem Wirtschaftskrieg herauszuholen: etwa wenn Indien russisches Erdöl kauft, um es dann in Form von Raffinerieprodukten an die EU weiterzuverkaufen. Oder wenn Saudi-Arabien als größter Erdölexporteur der Welt plötzlich in Größenordnungen russisches Erdöl importiert, damit seinen Eigenbedarf deckt und umso mehr vom eigenen Öl zu einem wesentlich höheren Preis auf den Weltmarkt wirft. Die EU sieht dabei ziemlich belämmert aus.

Spanien kaufte im Juni so viel russisches Gas wie noch nie

Auch in Europa sind nicht alle Länder mit demselben Eifer dabei. Einige haben, wie die Schwellenländer, eher die Interessen ihrer Bevölkerung im Blick. Spanien kaufte im Juni so viel russisches Gas wie noch nie. Griechenland verhandelte Ausnahmen im Sanktionsregime für seine Reeder. Die mitteleuropäischen Binnenstaaten haben die Erlaubnis erzwungen, weiterhin russisches Öl durch Pipelines beziehen zu dürfen. Nur Deutschland gibt den Streber. Koste es (an Wohlstand und sozialem Frieden), was es wolle.

Die Grünen bestimmen mit ihrer ideologiegeleiteten Politik die Agenda. Die EU erlaubt Ölimporte aus Russland per Pipeline? Mit solchen Halbheiten geben wir uns doch nicht ab. Selbstverständlich verzichtet Deutschland ab 2023 auf alle russischen Ölimporte. Obwohl damit die Zukunft der Raffinerie PCK in Schwedt in Frage gestellt ist und nicht nur die Arbeitsplätze vor Ort, sondern auch ganze Wirtschaftszweige in Berlin und weiten Teilen Ostdeutschlands auf dem Spiel stehen. Nur wer wirklich leidet, meint es ernst. Die Bundesregierung fordert alle zum Energiesparen und solidarischen Unterhaken auf.

Eher zu Lasten Deutschlands

Bei Sanktionen gilt in der Regel das Prinzip von Aktion und Reaktion. Deswegen sollte man immer die Folgen des eigenen Handelns bedenken. Ein kompletter Ölboykott gegen Russland bei gleichzeitig drohender Gasmangellage, quasi als russische Gegensanktion, auf dieses Alptraumszenario steuern wir mit der Ampel zu. Die gute Nachricht ist: Immer mehr Menschen haben Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Politik. Einer aktuellen Umfrage zufolge befürchten 53 Prozent der Deutschen, dass die Boykott-Politik eher zulasten Deutschlands als Russlands geht. Nach allem, was bislang absehbar ist, werden die Sanktionen (und Gegensanktionen) wie folgt wirken:

1) Selbstverständlich wird es auch zu tiefgreifenden Folgen für die wirtschaftliche Situation vieler Russen kommen. Insbesondere die Sanktionen in den Bereichen des Hochtechnologietransfers und industrieller Produktionsketten führen bereits jetzt in Russland zu Wohlstands- und Arbeitsplatzverlusten, v. a. in der Mittelschicht und städtischen Unterschicht.

2) Auch in Deutschland (bzw. im Westen) werden die Sanktionen und Gegensanktionen viele Menschen vor erhebliche Probleme stellen. Das betrifft auch hier v. a. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen bis hin zu Facharbeitern (Industriearbeitsplätze). Ganze Branchen sorgen sich darum, ob sie unter den enorm steigenden Kosten weiterbestehen können.

3) Der Wirtschaftskrieg zwischen dem Westen und Russland wirkt am verheerendsten bei denen, die damit am wenigsten zu tun haben: den Menschen in den Ländern des Südens. Düngerboykott, explodierende Transport- und Verarbeitungskosten und wachsende Probleme bei der Energieversorgung schlagen hier zu Buche, weil ärmere Länder gegenüber der EU, die auf dem Weltmarkt Ersatz für die russischen Energieträger zu höheren Preisen einkauft, den Kürzeren ziehen. Diese Opfer des Wirtschaftskriegs im globalen Süden wird niemand zählen und sie tauchen nicht in den Durchhalteappellen der Ampel auf.

4) Großer Verlierer ist auch das Klima, weil Rohstoffe nicht mehr durch Pipelines, sondern tage- und wochenlang mit Tankern transportiert werden, weil verstärkt klimaschädliches gefracktes Öl und Gas, etwa aus den USA, eingekauft wird und Kohle nun wieder verstärkt zum Einsatz kommt.

5) Profiteure gibt es auch: die US-Fracking Industrie und natürlich Saudi Aramco, die umsatzstärkste Erdölgesellschaft der Welt und wertvollstes Unternehmen an der Börse, das zu über 90% dem saudischen Staat gehört und das jetzt seine Belieferung des Weltmarkts hochfährt.

Wer profitiert?

Immer deutlicher wird: Ein Wirtschaftskrieg gegen das größte Land der Welt, das auf allen Rohstoffen sitzt, die der Rest der Welt für seine wirtschaftliche Entwicklung benötigt, ist in seinen Auswirkungen unkalkulierbar. Und er ist auf jeden Fall etwas anderes als Sanktionen gegen kleine Länder wie Kuba oder Syrien. Und selbst die erreichen ihre politischen Ziele nicht. Umso weniger ist das von den Sanktionen gegen Russland zu erwarten.

Unter den Sanktionen leiden in Russland, in Deutschland und weltweit diejenigen, die den Preissteigerungen am wenigsten entgegenzusetzen haben: die Armen, die Mittelschicht. Die Herrschenden in Russland stören sich daran nicht. Sie wissen aus den bisherigen Erfahrungen mit Sanktionen, dass diese noch nie ein Regime zu Fall gebracht, meistens eher noch stabilisiert haben. Profiteure sind die Energiekonzerne weltweit. Eine gewaltige Umverteilung von unten nach oben kommt so in Gang.

Und deshalb wächst zurecht die Protestbereitschaft. 44 Prozent der Befragten haben kürzlich bei einer INSA-Erhebung angegeben, sich an Protesten gegen steigende Energiepreise und Lebenshaltungskosten beteiligen zu wollen. In europäischen Nachbarländern ist der Protest bereits voll ausgebrochen und auch in Deutschland gab es erste kleinere Kundgebungen und Versammlungen. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien versuchen, Proteste als „rechts“ zu labeln, sie mit Corona-Leugnern und „Schwurblern“ in Verbindung zu bringen. Die gesellschaftliche Linke sollte sich nicht daran beteiligen, den Protest zu diskreditieren, sondern ihn unterstützen. Denn er ist gerechtfertigt.

Dr. Alexander King ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für DIE LINKE

Constantin "Costas" Braun arbeitet für DIE LINKE im Deutschen Bundestag

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