Feministin am Ort der Unparteilichkeit

Recht Beim Bundesverfassungsgericht wurden drei Richterstühle neu besetzt – einen davon wird die Gender-Forscherin Susanne Baer einnehmen

Formal werden sie am Donnerstag vom Wahlausschuss des Bundestages mit Zweidrittel-Mehrheit gewählt. Faktisch stehen die drei neuen Richterinnen und Richter am Bundesverfassungsgericht aber bereits fest: Peter Michael Huber, gegenwärtig Innenminister in Thüringen, soll auf Vorschlag der Union den Richter Siegfried Broß beerben. Die SPD will Monika Hermanns, zur Zeit Richterin am Bundesgerichtshof, als Ersatz für die ausscheidende Lerke Osterloh haben. Und die Rechtsprofessorin Susanne Baer ist von den Grünen für die Nachfolge von Brun-Otto Bryde vorgesehen.

Lange Zeit war es nur den beiden großen Parteien und der FDP vorbehalten, sich auf ein „Personalpaket“ für das Bundesverfassungsgericht zu einigen. Die Grünen konnten erst 2001, als sie in der Regierung ­waren, einen Richterposten für sich beanspruchen und schickten den Gießener Rechtsprofessor Brun-Otto Bryde nach Karlsruhe. Das Vorschlagsrecht wollen sie sich nun auch bei dessen Nachfolge nicht nehmen lassen.

Welchen Einfluss die drei neuen Richter auf die künftige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben werden – darüber lässt sich aufgrund von Parteinähe, bisherigem Werdegang und öffentlichen Äußerungen natürlich nur mutmaßen. Denn die Urteile in Karlsruhe fällen der erste und zweite Senat im Team von jeweils acht Richtern. Und schon so mancher Richter hat dort gar nicht im Sinne der Partei entschieden, die ihn dorthin entsandt hat. Gleichwohl lohnt sich ein Blick.

Kategorien im Recht

Ein konservativer Hardliner ist nicht unter ihnen. Selbst Huber, der von der CSU vorgeschlagen wird, vertritt durchaus SPD- und Grünen-freundliche Positionen etwa zur direkten Demokratie und gegen die Ausweitung der Befugnisse von Polizei und Verfassungsschutz. Er war Staatsrechtsprofessor in München, bevor er vor einem Jahr Innenminister in Thüringen wurde. Von Monika Hermanns ist kaum bekannt, wofür sie rechtspolitisch steht, weil sie bislang fachlich wenig veröffentlicht hat und politisch nicht aktiv war. Sie ist auch von der SPD erst kurz vor der Wahl als Kandidatin präsentiert worden. Vor ihrer Tätigkeit am Bundesgerichtshof war sie unter anderem persönliche Referentin des langjährigen saarländischen Justizministers Arno Walter im Kabinett von Oskar Lafontaine.

Für Frauenrechtler von besonderem Interesse ist die Professorin Susanne Baer. Das große Thema ihrer wissenschaftlichen Arbeit ist Geschlecht und dessen Thematisierung im Recht. Baer hat die feministische Rechtswissenschaft in Deutschland entscheidend mitgeprägt, unter anderem als Mitherausgeberin der feministischen Rechtszeitschrift Streit. Seit 2002 ist sie Professorin für Öffentliches Recht und ­Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität. Bis Juli dieses Jahres war sie zugleich Direktorin des GenderkompetenzZentrums, das von 2003 bis 2010 die Bundesregierung beim Gender Mainstreaming beraten hat.

Baers besonderes Interesse richtet sich auf die Bedeutung von Kategorien im Recht – neben dem Geschlecht zum Beispiel auf ethnische oder religiöse Zugehörigkeit. In ihren Schriften hat sie immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass Gesetze auf Menschen mit unterschiedlicher Zugehörigkeit unterschiedliche und zum Teil auch diskriminierende Auswirkungen haben. Für die Grünen hat sie sich zuletzt im April als Sachverständige im Bundestag dafür ausgesprochen, das Diskriminierungsverbot in Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal „sexuelle Identität“ zu erweitern.


Am Bundesverfassungsgericht wird Baer in den ersten Senat kommen, der überwiegend mit liberalen Richtern besetzt ist. Anstoß erregen könnte hier ihr Ansatz, dass gleiche Ausgangschancen für alle unter Umständen nicht allein durch rein formale Chancengleichheit, sondern nur durch ergänzende antidiskriminierende Regeln herzustellen sind. Möglich, dass sie den Blick des Senats so stärker auf die faktische Wirkung von Gesetzen lenkt. Bislang war das Verfassungsgericht bei der Anerkennung mittelbarer Diskriminierung jedenfalls nicht sehr progressiv. Voraussichtlich im nächsten Jahr wird das Gericht zum Beispiel erneut über die Zulässigkeit von Kopftuchverboten entscheiden. Baer hält grundsätzliche Verbote religiöser Symbole im Schuldienst auch deshalb für unzulässig, weil davon gegenwärtig vor allem Musliminnen betroffen sind, diese also mittelbar gegenüber Christen diskriminiert werden. Erwartet werden kann auch, dass sie sich für die Gleichbehandlung von Ehe und eingetragener Partnerschaft einsetzen wird. Baer selbst lebt in Partnerschaft mit einer Ärztin.

Kirsten Wiese ist promovierte Juristin und befasst sich regelmäßig mit Rechtspolitik

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