Auf ihn können sich derzeit alle einigen: Wenn in der Berliner Nationalgalerie die große, aus der Londoner Tate kommende Richter-Retrospektive eröffnet, dann haben die diesjährigen Gerhard-Richter-Festspiele ihren Höhepunkt erreicht. Quasi in Zeitlupe konnte man über die letzten Monate beobachten, wie sich die Welle aufbaute: Im letzten September hatte die Richter-Kino-Doku „Painting“ Premiere, in Dresden zeigen sie nun den „Atlas“ und zum Achtzigsten an diesem 9. Februar überbieten sich die Zeitungen und Magazine mit großen Interviews und Titelgeschichten. Der Markt feiert den Maler seit Jahren sowieso pausenlos. Wie mit einem großen Riesenspachtel (Richter würde Rakel sagen) scheinen alle diskursiven Gräben zugespachtelt mit luftdichter Ölfarbmasse. Alle Konturen sind verwischt. Ende der Diskussion.
Übrig bleibt nur pure Richter-Anbetung und der Pilgerzug zur Nationalgalerie. Dort wird die Deutsche Krankheit geheilt.
Und nun fragen alle: Wie macht er das? Warum ist er, in Verkaufssummen gemessen, der erfolgreichste deutsche Maler? Doch selbst Richter-Experten haben keine gute Erklärung für das Richter-Phänomen. Im Gegenteil: Sie sind offensichtlich selbst gut beschäftigt mit dem Rakel-Sprech: „Richters gemalte Anti-Ästhetik verbleibt ununterbrochen aufgehoben zwischen unwillkürlicher Meisterschaft in Zufallsoperationen und der flüchtigen Materialität der Farbe“, schreibt etwa der bekannteste Richter-Forscher Benjamin Buchloh in der aktuellen Ausgabe der amerikanischen Fachzeitschrift Artforum.
Präzise Malmaschine
Klarere Aussagen treffen da die Künstlerkollegen: „Gerhard Richter ist das Sonderphänomen eines Malers, den alle mögen, die Malerei nicht mögen.“ So brachte es neulich Daniel Richter (nicht verwandt mit Gerhard R.) auf den Punkt. „Er ist die präziseste Malmaschine, die man sich vorstellen kann – ein bisschen wie die japanischen Violinisten, die alle präziser spielen, als je irgendjemand in der Geschichte der Violine gespielt hat, aber denen jeder Makel, jeder Widerspruch, jedes Drama fehlt.“ Solche Maschinen produzieren auch keine Witze. Im Gegensatz etwa zu Sigmar Polke ist Richters Werk für seine Humorfreiheit bekannt. Früher produzierten sie gelegentlich noch einen spitzen Kommentar eines Künstlerkollegen. Einen schönen Richter-Witz erlaubte sich Martin Kippenberger, als er Mitte der achtziger Jahre ein Gemälde Richters wie eine Tischplatte mit einem Stahl-Gestell verschraubte und so zu einer Möbelskulptur weiterverarbeitete (Modell Interconti, 1986). Heute ginge das nicht mehr, wegen der Materialkosten. Kippenberger war schon damals der Meinung, Richter mache es sich ein bisschen zu einfach.
Dabei ist es bekanntlich sehr schwer, es ganz einfach aussehen zu lassen. Da braucht es schon viel Disziplin und Wendigkeit. Das ist wahrscheinlich der ganze banale Kern des Gerhard-Richter-Phänomens: Richter hat es geschafft, immer allen alles zu geben: dem Deutschen Bundestag eine Deutschlandfahne, dem Kölner Dom ein Fenster, Sonic Youth ein Plattencover, der Politkunst-Fraktion verwischte Terror-Bilder und den Unpolitischen rakelige Abstraktion oder strenge Streifenbilder. Gerhard Richter ist einfach einer für alle. Da ist für jeden etwas dabei. Das muss ihm erstmal jemand nachmachen.
Kito Nedo ist Kunstkritiker. Sein Name kommt aus dem Sorbischen
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