Klub der toten Fische

Vorerst kein neues Welthandelsabkommen An Agrarsubventionen und Einführzöllen scheiden sich die Geister mehr denn je

Vor gut einem Jahr, im Juli 2006, waren die Verhandlungen über ein neues Welthandelsabkommen der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf spektakulär gescheitert. Seither lag die so genannte Doha-Runde auf Eis, die mit großer Geste als "Entwicklungsrunde" eingeläutet war und "strukturelle Benachteiligungen" der Entwicklungs- und Schwellenländer im Welthandel zu korrigieren, vorrangig aber dem Freihandel weltweit eine Bresche zu schlagen hatte. Kleinere, informelle Zirkel sollten aus dem Dilemma helfen, wie sie etwa während des Weltwirtschaftsforums in Davos Anfang 2007 zustande kamen, als sich Handelsminister aus 30 Ländern darauf verständigten, spätestens im Frühsommer den Verhandlungsprozess wieder anzufahren.

So kam es Ende Juni an historischem Ort, im Potsdamer Schloss Cecilienhof, zur informellen G 4-Runde mit den USA, der EU, Indien und Brasilien, in der man sich schon nach zwei von geplanten vier Verhandlungstagen eingestand, über den toten Punkt nicht hinauszukommen. Brasiliens Handelsminister Celso Amorim verließ die Tagungsstätte als erster, sein indischer Kollege Kamal Nath folgte ihm auf dem Fuße. Dabei waren die zuständigen Ressortminister Australiens und Japans extra nach Potsdam gereist, um etwaige Resultate der G 4 im erweiterten Kreis beraten zu können. Denn Eile ist geboten, soll die Doha-Runde doch noch vor Jahresende einen Abschluss finden, mit dem sich wenigstens das Gesicht wahren ließe. Danach sieht es nun nicht mehr aus. Die WTO verharrt in einer Dauerkrise, aus der es keinen Ausweg gibt, solange die gegenseitigen Blockaden nicht aufgehoben werden.

Die deutsche Wirtschaft trommelte durch allerlei meinungsmachende Initiativen eifrig für den Erfolg von Potsdam: Die Liberalisierung des Welthandels, war zu hören, könne ungeahnte Wachstumspotenziale der Weltökonomie freisetzen, unter Umständen für ein Plus von 2,5 bis 3 Prozent gut sein. Liberalisierung bringe Wohlstand und Entwicklung für alle, wurde der uralte Freihandelsmythos in allen Tonarten vorgesungen.

Trotzdem ging es schief. Wieder einmal, wie seit Beginn der Doha-Runde 2001, strandete man bei den beiden magischen Streitpunkten: den Subventionen für die Agroindustrie der exportstarken Industrienationen und dem Marktzugang für deren Industrieprodukte in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Bekanntlich leiden die Landwirtschaften dieser Staaten darunter, von Billigimporten - sprich: hoch subventionierten Erzeugnissen - der EU- und US-Agrarwirtschaften überschwemmt zu werden. Für ihre bescheidenen Industrien stellt sich die Lage kaum anders dar. Auch Schwellenländer wie Indien, Brasilien, Südafrika, Argentinien und selbst China können trotz eines Millionenreservoirs billiger und billigster Arbeitskräfte der europäischen, nordamerikanischen und japanischen Konkurrenz nicht ohne Schutzzölle widerstehen. Folgerichtig scheiterten die Potsdamer Gespräche an der Taktik der USA und der EU, von allen anderen substantielle Konzessionen beim Zollabbau zu erwarten, aber selbst nur das anzubieten, was seit Jahren versprochen wird. Die Amerikaner wollten diesmal großzügig sein und eine Obergrenze für ihre Agrarsubventionen von 17 Milliarden Dollar pro Jahr akzeptieren (statt 23 Milliarden Dollar wie 2006). Aber dieses Limit liegt immer noch weit über den tatsächlich gezahlten Subventionen von rund elf Milliarden Dollar pro Jahr, so dass von Abbau keine Rede sein kann. Die G 20-Staaten* hatten im Schnitt eine Senkung der Agrarzölle in den Industrieländern um 54 Prozent verlangt - die USA boten gar 60 Prozent an, die EU 46. Nur sind diese Zugeständnisse kaum etwas wert, solange sich bei den Agrarsubventionen nichts bewegt.

Mit dem Fehlschlag von Potsdam sind die Verhandlungen nun so festgefahren wie kaum je zuvor, denn das Verhandlungsmandat der US-Kongresses für die eigene Regierung ist zum 1. Juli ausgelaufen. Dass es rasch erneuert wird, ist kaum zu erwarten, da ab September einige der wichtigsten US-Agrargesetze im Kongress neu verhandelt werden. Ohnehin dürften die USA bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr als Verhandlungspartner in der WTO ein Ausfall sein.

Die EU kann damit freilich gut leben, sie verfügt längst über eine Alternative, die mit Verve verfolgt wird. Seit mehr als 40 Jahren besteht das Lomé-Abkommen, seit 2003 ersetzt durch den Vertrag von Cotonou: Darin sind Handelspräferenzen für die 79 mit der EU assoziierten AKP-Staaten (Afrika-Karibik-Pazifik) vereinbart, die in regionale Handelsabkommen münden (sinnigerweise als Regional Economic Partnership Agreements deklariert). In Kraft treten sollen sie - bei einer Laufzeit bis 2020 - Anfang 2008. Wenn es dazu kommt, gibt sich Handelskommissar Peter Mandelson zuversichtlich, dürfte die EU hoch zufrieden sein. Soweit analoge regionale Abkommen bereits bestehen, funktionieren sie hervorragend und erklären neben dem florierenden Intra-EU-Handel den Erfolg des Exportweltmeisters Deutschland wie anderer EU-Giganten auf den Märkten der AKP-Länder. Die sprichwörtlichen Milch- und Butterberge der EU sind längst verschwunden und als Agrarüberschüsse in die AKP-Staaten ausgeführt, denen im Gegenzug Handelsprivilegien versprochen werden, sollten sie zu weiterer Handelsliberalisierung im Interesse der EU-Exportwirtschaften bereit sein. Dabei werden Unwilligen gern die Instrumente gezeigt, wenn etwa Zahlungen an AKP-Staaten aus dem EU-Entwicklungsfonds an die Ratifizierung des Cotonou-Abkommens gebunden werden - Entwicklungshilfe als Vehikel des Freihandels. Fazit: Die EU hat keinen Grund, der verunglückten Doha-Runde nachzutrauen, ihrer Exportwirtschaft geht es bestens.

(*) Staatengruppe um China, Indien, Brasilien, Mexiko und Venezuela


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