Berlin darf sich nicht für dumm verkaufen

Rüstungspolitik Das Combat Air System (FCAS) gilt als europäisches Prestigeprojekt, aber Paris beansprucht die absolute Führungsrolle. Das kann sich Merkel nicht länger gefallen lassen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Als Deutschland und Frankreich am 17. Juni 2019 feierlich die Verträge für die Entwicklung eines neuen europäischen Kampfflugzeugs, des New Generation Fighter, als Kernteil des Future Combat Air System (FCAS), unterschrieben, waren die Hoffnungen auf ein neues Zeitalter deutsch-französischer Rüstungskooperation groß. Zwei Jahre und mehrere Anläufe zur Rettung des Projekts später ist von diesem Enthusiasmus nicht mehr viel zu spüren – vor allem auf deutscher Seite. Maßgeblich schuld daran sind Frankreich und sein hochfliegender Präsident, Emmanuel Macron.

Das teuerste und ambitionierteste Rüstungsprojekt der europäischen Geschichte ist – offiziell – ein Projekt unter Partnern auf Augenhöhe, mit ebenbürtiger Aufgabenteilung zwischen dem französischen Rüstungskonzern Dassault und Airbus, von Deutschland unterstützt. Allerdings wurde schnell klar, dass Paris die Aufgaben keineswegs brüderlich teilen will. Stattdessen beansprucht Dassault unverhohlen die unangefochtene Führungsrolle in Entwicklung und Produktion des FCAS – unter Ausschluss der deutschen Industrie, aber natürlich zum Großteil vom deutschen Steuerzahler finanziert. Mit anderen Worten: eine kaum zu überbietende Dreistigkeit.

Merkel zeigt Macron die Grenzen auf

Dass die Kanzlerin die Dinge ähnlich sieht, dürfte spätestens seit dem letzten FCAS-Gipfeltreffen mit Macron am 5. Februar klar sein. Lapidar ließ sie verlauten, dass erst die nötigen Bedingungen geschaffen werden müssten, vor allem bezüglich Arbeitsteilung und geistigen Eigentums, um die neuesten Verträge durch den Bundestag und somit FCAS voranzubringen. Aus Politik-Sprech übersetzt: solange Macron uns als Juniorpartner sieht, wird aus FCAS wohl nichts. Damit stellte sie sich direkt gegen Macrons dringliche Forderung, die Papiere schnellstmöglich noch vor der Bundestagswahl abzusegnen. Ihr Appell, die deutsche Industrie müsse „auf zufriedenstellendem Niveau“ teilnehmen können, wurde von Macron indes lässig ignoriert.

Auf diese Weise brüskiert, steht nun außer Frage, dass Berlin nicht nur die Geduld mit Macrons Allüren, sondern auch Interesse an FCAS verliert. Und das ist gut so: Merkel tut gut daran hart zu bleiben und sich konsequent gegen Frankreichs Arroganz zu stellen. Denn nach derzeitiger Rechnung hat Deutschland alles zu verlieren, aber Frankreich alles zu gewinnen.

Der größte Stein des Anstoßes sind dabei die Nutzungsrechte der neuentwickelten Technologien. Weil die Entwicklung eines so komplexen Verteidigungssystems der nächsten Generation immer epochale Technologiesprünge mit sich bringt, die auch ins Zivilleben übertagen werden, ist Zugriff auf diese Innovationen von äußerster Bedeutung für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie auf viele Jahre hinaus.

Aber für Frankreich ist die Rüstungsindustrie, mit Dassault als Galionsfigur, das Symbol stolzer nationaler Souveränität schlechthin. Technologie wird mit an Paranoia grenzender Inbrunst unter Schloss und Riegel gehalten, genauso wie Nutzungsrechte nur spärlich geteilt werden. Dies ist verständlich in Bezug auf Drittstaaten, aber eine gediegene Frechheit, wenn es um einen vermeintlich gleichberechtigten Partner und Verbündeten wie Deutschland geht. Schlimmer noch, die Bundeswehr muss letztendlich diese Technologien integrieren, doch ohne technologische Souveränität wird dies kaum möglich sein.

Frankreichs Sonderwünsche als Milliardengrab

Vielleicht hätten es die Franzosen tatsächlich geschafft, die biederen Deutschen in Sachen Technologie über den Tisch ziehen, wären nicht so hohe Geldsummen im Spiel. Aber Deutschland, immer der Zahlmeister Europas, hat das letzte Wort noch nicht gesprochen. Bisher wurden €200 Millionen in FCAS gebuttert, zugegeben ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zu den geschätzten €300 Milliarden an Projektgesamtkosten, von denen die Bundesrepublik rund die Hälfte zahlen soll.

Nach Meinung prominenter Stimmen aus Politik, Wirtschaft und sogar der Bundeswehr, sollte man zu diesem Preis eine fairere Behandlung erwarten können. So warnte Reinhard Brandl (CSU), Mitglied im Verteidigungs- und Haushaltsausschuss, eindringlich vor faulen Kompromissen bei wichtigen Fragen, wie zum Beispiel Nutzungsrechte der neuentwickelten Technologien. Aus Gründen der nationalen Sicherheit und Souveränität solle jedes Land ein eigenes Testmodell produzieren, statt dass es „nur einen zentralen Demonstrator gibt, der dann bei Dassault steht.“

In dieselbe Kerbe schlug auch Generalleutnant Ingo Gerhartz, Inspekteur der Luftwaffe, der neben Transparenz auf die Möglichkeit pocht, „Rechte am geistigen Eigentum von einem Industriezweig an einen anderen weiterzugeben, damit es allen Partnern möglich ist, in Zukunft eigene Entwicklungen zu machen“ und somit technologische „black boxes“ zu vermeiden. Ähnlich äußerte sich auch der Koordinator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt, Thomas Jarzombek, mit seiner Ansicht, dass keine „einzelne Nation oder ein einzelnes Unternehmen“ in der Lage ist, ein Mammut-Projekt wie FCAS zu stemmen.

Die Tatsache, dass deutsche Offizielle solche Statements von sich geben müssen ist für sich alleine genommen schon ein Armutszeugnis für das gesamte Programm. Umso schlimmer, dass wohl noch viele Milliarden Mehrkosten auf den deutschen Michel zukommen, da Frankreich immer noch auf anachronistische imperiale Ambitionen besteht. So leistet sich das (fast durchgehend seit 1787) chronisch bankrotte Frankreich Atomwaffen und Flugzeugträger für satte €6 Milliarden im Jahr. Dies führt zu Sonderwünschen, die sich auch auf FCAS auswirken, weil die Franzosen es gerne als Kernwaffenträger konzipieren würden – obwohl diese Kapazitäten für die Bundeswehr strategisch nutzlos sind und nichts als unnötige Kosten verursachen.

Deutsche Arbeitnehmer in Gefahr

Nichtsdestotrotz ist von Macron kein Einknicken zu erwarten, denn FCAS war von Anfang an eher ein persönliches Prestigeprojekt des Präsidenten als eine pan-europäische Bemühung. Schon die Symbolik im Jahr 2019 war eindeutig, wurden die Verträge doch mit großem Brimborium in Paris unterschrieben, nicht in Berlin oder Brüssel. Zudem muss man sich die wahre Machtkonstellation in Airbus in Erinnerung rufen.

Airbus ist ein deutsch-französisches Unternehmen, dessen Strukturen in Frankreich – anders als in Deutschland – extrem stark vom Staat dominiert werden. Airbus wird somit kaum Paris auf die Füße treten wollen, wodurch Berlins Interessen leicht ignoriert werden können. Anders ausgedrückt: der tatsächliche Anteil der deutschen Industrie an FCAS ist seit jeher viel weniger als offiziell angegeben.

Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen sind die Folgen des Ungleichgewichts auch noch weitreichender als allgemein angenommen. So könnten Deutschlands Luftfahrt-Zentren wie Manching oder Augsburg infolge der von Frankreich dominierten Arbeitsteilung einem rapiden Stellenabbau zum Opfer fallen. Airbus Defence & Space Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Thomas Pretzl zufolge würde dies „das Aus der Branche für unser Land“ bedeuten – vom Know-How-Verlust gar nicht zu sprechen.

Ende mit Schrecken oder Schrecken ohne Ende?

Es ist höchste Zeit, dass die Bundesrepublik den Stecker zieht und sich ihren eigenen Weg sucht. Die Erfahrung zeigt, wie gut Deutschland eigene Waffenmodelle ohne den französischen Störfaktor entwickeln kann. Das Paradebeispiel ist der Leopard 2, der nach Scheitern eines deutsch-französischen Gemeinschaftsprojekts zustande kam. Der Leopard 2 gilt seit Jahren als der beste Panzer der Welt während Frankreichs eigene Panzerentwicklung, Leclerc, sang und klanglos in der Versenkung verschwunden ist.

Das Ende des FCAS würde denn auch Milliarden für Bundeswehr-Investitionen freimachen, und helfen, die deutschen Streitkräfte aus der Krise zu führen. Es gibt keinen Grund, Macron unzählige Milliarden hinterher zu werfen und sein Wunschprojekt zu subventionieren, ohne dass dabei irgendein nennenswerter Mehrwehrt führ die deutsche Verteidigungspolitik entsteht. Da mag Dassault-Chef Eric Trappier noch so Drohen und Fordern wie er mag: Wenn Paris kein anständiger Team-Player sein kann, dann hat es Berlins Unterstützung auch nicht verdient.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden