Deutschland verliert den Anschluss

Digitalisierung Weil sich Berlin mit der Digitalisierung der Wirtschaft schwer tut, zieht es deutsche Start-ups zunehmend in die Ferne, wo sie ihre Produkte besser absetzen können

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Deutschlands Start-up Szene boomt, insbesondere im Finanzbereich (Fintech). Große Geldgeber schenken den jungen Ideen-Startern weiterhin ihr volles Vertrauen. Obwohl die Zahl neuer Firmengründungen leicht rückläufig ist, pumpten Investoren im ersten Quartal 2018 satte 295 Millionen Euro in deutsche Fintech Start-ups – ein Anstieg um 44 Prozent im Vergleich zum ersten Quartal 2017 und ein neuer Rekord seit dem Bestwert von 264 Millionen Euro vom gleichen Zeitraum im Jahr 2016.

Obwohl diese Zahlen vielversprechend sind und ein gutes Licht auf die deutsche Unternehmensszene wirft, ist nicht alles Gold was glänzt. Denn für ein Land, das für seinen Erfindungsreichtum bekannt ist, hat es die Politik bisher nicht geschafft, für eine immer stärker digitalisierte Gesellschaft eine Umwelt zu schaffen, in der digitale Start-ups wirklich aktiv gefördert werden.

Emblematisch dafür ist die Tatsache, dass der Ausbau von digitalen Netzen für den Zugriff auf schnelles Internet seit Jahren nicht vorankommt. Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland im Glasfaserausbau hinterher, ganze Regionen des ländlichen Raumes, vor allem in den neuen Bundesländern, sind teilweise gänzlich von verlässlichem Internetzugang abgeschnitten. In Berlin wird die Digitalisierung schon seit Jahren als Priorität beschworen, dennoch tut sich wenig.

Für Beobachter aus dem IT und Tech-Sektor ist diese Rückständigkeit und der Unwillen, sich realistisch mit dem immer schneller vorantreibenden technologischen Wandel zu befassen, symptomatisch für eine Kultur, die weniger auf Innovation als auf Altbewährtes setzt. Deutschlands globale Firmen sind sehr in Tradition verankert und fokussieren sich zunehmend auf die permanente Verbesserung ihrer Kernkompetenzen, statt den radikalen Umbruch zu suchen.

Wie wichtig Selbsterneuerung jedoch ist, wird dabei oft verkannt. In den USA, dem Heimatland von Tech-Giganten wie Google und Amazon, ist es ganz normal, dass Firmen immer neue Wege gehen und innovative Partnerschaften suchen, die auf den ersten Blick nichts mit dem Kerngeschäft zu tun haben. Auf diese Weise stehen die Firmen niemals still. Nicht umsonst werden neue Technologien und diejenigen, die sie voranbringen, als „disruptive“ bezeichnet. Die kreative Zerstörung eines bestehenden Systems oder Prozesses ist dabei Programm.

Doch durch den Stillstand in der Politik sind Start-up Unternehmer in Deutschland immer öfter heimatlos. Für den Standort Deutschland wird dies indes zum existenziellen Problem, denn Deutschlands dynamische Start-up Szene zeigt, dass eine neue Generation von Unternehmen und Unternehmern zum Vorschein kommt, die mit dem alten System abgeschlossen hat. Es ist also kein Wunder, dass es deutsche Start-ups immer mehr ins Ausland zieht.

Hauptziele sind die USA und – wenig überraschend – China. So ist zum Beispiel Ginmon, ein Fintech Start-up aus Frankfurt, eine Kooperation mit der chinesischen Großbank Everbright eingegangen, um Chinas riesigen Markt zu erobern. N26, Entwickler einer Smartphone-Banking App, wird Mitte 2018 in den USA starten und hat bereits weitere Produktentwicklungen für den amerikanischen Markt angekündigt.

China und die USA sind absehbare Ziele, denn die Größe des chinesischen Marktes und die allgemeine Offenheit der Amerikaner sind für expandierende Start-ups nicht zu ignorieren. Zwar hat Peking mit einer großangelegten anti-Spionage-Kampagne – die unter anderem auch auf ausländische Fintech Firmen abzielt – sowie durch neue Zugriffsrestriktionen aufs Internet und Wirtschaftsspionage Unmut bei deutschen Industrievertretern verbreitet. Auch Präsident Trumps Politik, wie z.B. seine Steuerreform, kommt ausländischen Firmen imTech-Bereich durch künftig Steuerpflichtige interne Dienstleistungen teuer zu stehen. Doch diese Faktoren konnten die Profitaussichten in China und den USA anscheinend bisher (noch) nicht ausstechen.

Für Deutschlands Start-ups haben diese Entwicklungen dennoch konkrete Konsequenzen. Zum einen sind die Vorteile in Amerika oder China derzeit noch größer als die Nachteile. Zum anderen lohnt es sich immer mehr über den Tellerrand zu schauen und neue Start-up freundliche Märkte zu erkunden. Denn nicht nur Washington und Peking haben die Wichtigkeit der Digitalbranche erkannt. Fast unbemerkt sind kleinere Länder wie Bahrain oder Singapur in den letzten Jahren ebenfalls zu Fintech-Drehscheiben aufgestiegen.

Ökonomische Diversifizierung ist der Hauptgrund für Bahrains Griff nach dem Digitalmarkt. Das Land strebt an, die Ölabhängigkeit seiner Wirtschaft zu reduzieren und hat deshalb den Austausch mit Investoren, Unternehmern und Firmen gesucht. Anfang des Jahres wurde die Bahrain Fintech Bay eröffnet, um internationale Start-ups zu ermuntern, sich im Land niederzulassen und ein proaktives Geschäftsklima zu erschaffen.

Ein wichtiger Aspekt dabei ist das regulatorische Umfeld. Start-ups sind ein wichtiger Faktor für Wirtschaftswachstum und Bahrains Regierung hat mehrere Investitionsprogramme gestartet , um Start-ups zu unterstützen, die im Land und der gesamten Region ihre Tätigkeiten erweitern wollen. Deutsche Start-ups können auch von der Tatsache profitieren, dass das Königreich eine der weltweit höchsten Internet-Penetrationen hat, was den Absatz ihrer Produkte im Vergleich zu Deutschland erweitert.

Singapur hat ebenfalls hart daran gearbeitet Tech-Innovatoren anzulocken. Der Stadtstaat verflogt allerdings eine etwas andere Strategie, in der vor allem Blockchain priorisiert wird. Ähnlich wie Bahrain stehen aber auch hier liberale Technologieregularien im Vordergrund. Im Gegensatz zu China und den USA, sind die Wirtschaften Singapurs und Bahrains sehr weltoffen eingestellt. Zu einer Zeit, da Peking und Washington ausländischen Firmen mit wachsendem Misstrauen gegenüberstehen, können Bahrain und Singapur nun von diesen politischen und regulatorischen Unsicherheiten profitieren, indem sie ein stabileres Umfeld anbieten.

In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Weltwirtschaft mit wachsender Geschwindigkeit digitalisiert, wird Deutschlands Festhalten an alten Traditionen mehr und mehr als Problem entlarvt. Auch wenn andere Länder versuchen, die Digitalisierung zu einem gewissen Grade zu beschneiden, ist klar, dass es kein Aufhalten gibt. Beispiele wie Bahrain und Singapur, beide im Begriff, sich als neue Start-up und Fintech-Zentren zu positionieren, zeigen die Schwächen des Standorts Deutschland für seine eigenen Start-ups. Berlin sollte von diesen Beispielen lernen und rasch handeln, bevor es den Anschluss völlig verliert.

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