Washingtons EU-Verteidigungs-Komplex

Verteidigungspolitik Für ihre militärische Verteidigung hat die EU stets auf die Führung der USA geblickt. Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat sich dieser Reflex gewandelt.

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Wenn es um die militärische Verteidigung geht, haben die Staaten der Europäischen Union (EU) stets auf die Führung der USA geblickt. Doch seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat sich dieser Reflex gewandelt. Die EU-Mitgliedsstaaten der Nato haben seitdem neue Energie darauf verwendet, militärisch unabhängiger und schlagkräftiger zu werden und haben Schritte eingeleitet, neben einer politischen auch eine Verteidigungsunion zu bilden wie sich herausstellt, sehr zum Missfallen Washingtons.

James Mattis, der amerikanische Verteidigungsminister, hat nun bei einem Treffen mit Nato-Kollegen ein schriftliches Bekenntnis der EU-Staaten zur Nato gefordert, in denen die gemeinsame Verteidigung als „eine Nato-Mission … und nur eine Nato-Mission“ festgesetzt wird. Er bezog sich dabei auf die im Dezember letzten Jahres verabschiedeten Pläne einer „Ständigen strukturierten Zusammenarbeit“ in der Verteidigung (Pesco). Diese Verteidigungsunion basiert auf einer Reihe von der EU ausgearbeiteten strategischen Faktoren, und hebt bessere europäische Zusammenarbeit, Ausbau von militärischen Fähigkeiten und effizientere Militärausgaben hervor.

Jene Forderung von Mattis kam überraschend für die Europäer. Schließlich hatte Trump im Wahlkampf und in den ersten Monaten seiner Amtszeit die Daseinsberechtigung der Nato in Frage gestellt und den Verbündeten der USA vorgeworfen, nicht genug eigene Verantwortung für ihre Sicherheit und Verteidigung zu übernehmen. Im April 2017 vollzog Trump dann eine seiner typischen Kehrtwenden, als er sich nach einem Treffen mit Nato- Generalsekretär Jens Stoltenberg offen zur Verteidigungsallianz bekannte. Allerdings behielt er die Forderung nach größeren Verteidigungsausgaben der Nato-Partner aufrecht.

Die Kritik von Mattis – und Trump – ist nicht neu. Es ist fast schon Tradition, dass Washington seine europäischen Bündnispartner für ihre mangelnde Initiative in Sachen Verteidigung kritisiert, nur um ihnen dann vorzuwerfen, sich von den USA emanzipieren und Nato unterminieren zu wollen, wenn mehr Engagement und Verantwortung beschlossen werden.

In Sachen Ethos ist die Kritik leider allzu oft gerechtfertigt. Schließlich haben sich die Verteidigungsausgaben der EU-Staaten zwischen 2006 und 2016 um 12% verringert. Auch wurden die im ebenfalls im Jahr 2006 gemachten Zusicherungen, 2% des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, großflächig gebrochen. Nur Polen, Estland, Griechenland und Großbritannien haben sich bisher an die Abmachung gehalten.

Der zweite Kritikpunkt ist weniger realitätsnah, ist aber dennoch äußerst wichtig, denn er spiegelt die Furcht der Amerikaner vor einem relativen Machtverlust in Europa wider. Die Pesco-Initiative ist nicht das erste Mal, dass Europa mehr Zusammenarbeit in Verteidigungsangelegenheiten verspochen hat. Aber der Unterschied zu früheren Initiativen ist die Tatsache, dass das Sicherheitsumfeld der EU heute erheblich komplizierter geworden ist. Erschwerend hinzu kommt auch Trumps Wahl. Der damit einhergegangene Paradigmenwechsel in der amerikanischen Politik hat somit dem Verteidigungsprojekt der EU die nötige weltpolitische Ernsthaftigkeit gegeben.

Dennoch haben sich die EU-Mitgliedsstaaten der Nato seit jeher darum bemüht, den Eindruck eines sich komplett unabhängig machen wollenden Europas auf Kosten der Nato zu verhindern. Immer wieder wird betont, dass die Verteidigungspolitik und ihre daraus resultierenden Programme immer in der Nato eingebettet und komplementär sindnicht parallel oder gar dagegen. So auch dieses Mal. In Pescos Gründungsdokument steht klar: „Verstärkte militärische Kapazitäten der EU-Mitgliedstaaten werden auch zum Nutzen der Nato sein. Sie werden den europäischen Pfeiler stärken und eine Antwort sein auf wiederholte Forderungen nach einer stärkeren transatlantischen Lastenteilung.“

In der Tat ist dies ein gutes Argument. Und es kommt zu einer Zeit, in der die Skepsis der Amerikaner ironische Züge erhalten hat. Immerhin ist Pesco unter anderem eine Antwort nicht nur auf Washingtons Beschwerden, sondern auch auf Trumps allgemeine Politikausrichtung. Europa schaut mit Besorgnis und Nervosität auf die USA, dessen Präsident routinemäßig die Verbündeten seines Landes erzürnt und unberechenbar zu sein scheint. Angela Merkel hat dieses neue Gefühl des Unwohlseins am besten im Mai 2017 ausgedrückt, als sie in einer Ansprache die Europäer dazu aufrief, „unser Schicksal wirklich in die eigene Hand zu nehmen.“

Eine EU-Verteidigungsunion ist deshalb notwendig und schon lange überfällig. Ein stärkeres, effizienteres Europa ist wichtig, um Natos Relevanz und Schlagkräftigkeit zu erhalten. Vor allem jetzt, da die Unverlässlichkeit der USA die Glaubwürdigkeit des transatlantischen Bündnisses ebenfalls gefährlich geschwächt hat. Eine Verteidigungsunion, für die Pesco den Grundstein legt, kann helfen die negativen Effekte eines US-Rückzugs aus Europa zu kompensieren.

Natürlich ist es noch ein weiter Weg bis Pesco in trockenen Tüchern ist. Zu oft sind Europas Verteidigungsprogramme durch Bürokratie und Uneinigkeit im Sande verlaufen. Deshalb wäre es wichtig, ein positives Signal aus Washington zu erhalten. Statt diesen wichtigen Schritt der EU zu kritisieren, sollten die USA den neuen Verteidigungselan unterstützen. Es wäre ein Zeichen der Stärke für die transatlantischen Beziehungen.

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