Ein böses Omen: Mitten in einer internationalen Finanz- und Agrarkrise, an der Schwelle zu einer weltweiten Depression wird die Doha-Runde der Welthandelskonferenz (WTO) abgebrochen. Diesmal wohl endgültig. Alle Zeichen stehen auf Sturm, das Scheitern von Genf ist nur ein weiteres Sturmsignal für die Weltwirtschaft.
Alle sind gleich, aber einige sind gleicher, das gilt mehr denn je für den Welthandel. Unter den mittlerweile 153 WTO-Mitgliedsländern sind es sieben oder acht große Handelsnationen - die USA, die EU, Japan, China, Indien, Brasilien, Australien und mit Abstrichen Russland, die den Ton angeben. Allerdings verschieben sich die Machtverhältnisse, was Europäern und Nordamerikaner sichtlich Mühe bereitet, allem Globalisierungsgerede zum Trotz
Offenkundig bleibt es innerhalb der WTO unmöglich, sich auf ein Paket gegenseitiger Konzessionen zu einigen. Die USA, China und Indien blockieren sich gegenseitig, die Entwicklungsländer - in dieser WTO-Runde zwar anwesend, aber nicht weiter gefragt - sind die Dummen. Gescheitert ist man erneut am unversöhnlichen Streit zweier Exportstrategien: Die Industrieländer des Nordens schwören auf neoliberale Dogmen, lassen ihre Binnenmärkte schrumpfen und sind bei ihrem Wachstum auf die Absatzmärkte der neuen Boom-Nationen des Südens angewiesen. Die wiederum brauchen die Märkte im Norden, wollen sich aber ihre Landwirtschaft weder vom EU- noch nordamerikanischen Protektionismus vollends ruinieren lassen. Kein Wunder: Die staatlich subventionierten Agro-Industrie-Komplexe der reichen Industrienationen produzieren alles, was die Länder des Südens zu bieten haben, sie können die Weltmarktpreise hochtreiben und dennoch die Märkte des Südens mit billigem Reis oder Baumwolle überschwemmen.
Freihandel und Marktöffnung gehörten stets zum Instrumentenkasten des betuchten Nordens, um die Schwächeren im Welthandel auf Abstand zu halten. Nun aber haben sich die aufstrebenden Industrieländer des Südens aus der Schuldenabhängigkeit des Nordens befreit und verfügen über ein Stehvermögen, das zu souveränem Handeln ermächtigt. Dies geschieht im Schatten der akuten Nahrungsmittelkrise, die jedes Entwicklungsland (zumeist ein Netto-Importeur von Nahrungsmitteln) zwingt, die eigene Landwirtschaft zu schützen.
Bis auf weiteres navigiert die WTO in keinerlei Kompromissnähe. De facto hatte die US-Delegation in Genf wegen des anstehenden Wechsels in der US-Administration sowieso kein Mandat mehr, einem Abkommen näher zu treten, so dass Indiens Handelsminister Kamal Nath völlig zu Recht von einer Farce sprach, der man sich nur verweigern könne. Auch deshalb, weil keines der Strukturprobleme der heutigen Weltökonomie ernsthaft erörtert wurde - von dringend notwendigen Reformen der WTO ganz zu schweigen. Die unmittelbaren Folgen sind absehbar: Dem Welthandel bleiben 130 Milliarden Dollar an Zöllen erhalten, die längst abgebaut sein sollten. Der Beitritt Russlands zur WTO verzögert sich weiter. Bilaterale Abkommen werden mittelfristig die Handelspolitik beherrschen und den Welthandel weiter zersplittern lassen. Nichts Neues, bitter für die Entwicklungsländer und nicht unbedingt von Vorteil für die reichen Industrienationen, jedenfalls nicht für ihre Konflikte mit den Schwellenländern. Zu glauben, dass die Verhandlungsposition Deutschlands oder auch der EU insgesamt in bilateralen Gesprächen mit China oder Indien stärker sei als im multilateralen WTO-Kontext, darf illusorisch genannt werden. Der Handelskrieg der Großen und jeder gegen jeden wird weitergehen, und das auf dem Rücken der Ärmsten und Schwächsten.
Die Wirtschaftspresse klagt über das Ende des Freihandels und malt das Gespenst des Protektionismus an die Wand. Als hätten wir im reichen Norden Letzterem nicht seit Jahrzehnten gedient. Aus dem Scheitern der bisherigen Liberalisierungspolitik wird nur eine Lehre gezogen: Dass man die Dosis des Gifts schleunigst erhöhen muss. Vernünftig wäre, das Gift in den Giftschrank zu stellen, wo es hin gehört. Wäre das geplante Abkommen zustande gekommen, hätten nach den Berechnungen der Weltbank die Entwicklungsländer gerade einmal 16 Prozent der erwarteten Handelsgewinne für sich verbuchen können und bestenfalls drei Millionen Menschen aus den ärmeren Ländern davon profitiert. Nach Schätzungen der UN-Welthandelskonferenz (UNCTAD) war bei den Kosten der Implementierung damit zu rechnen, dass sie mögliche Handelsgewinne um das Vierfache übersteigen. Überwiegend zu Lasten der armen Länder. Wir, die wir im unverdienten Wohlstand leben, müssen uns daran gewöhnen, dass auch deren Regierungen rechnen können.
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