Mit ihm begann der ganze Schlamassel, mit ihm begannen die Werte des guten alten Amerikas eines John Wayne zu bröckeln. Lenny Bruce führte das Wort „Fuck“ in das öffentliche Sprechen ein und konfrontierte die Amerikaner mit ihrer Schizophrenie, denn so gebräuchlich und beliebt das kleine dreckige Wörtchen im amerikanischen Alltag war, es war unter Strafe verboten, es auf der Bühne vor Publikum auszusprechen. Seine „Witze unter der Gürtellinie“ waren immer wieder Anlass, ihn vor Gericht zu zerren. Er war „der Komiker der schmutzigen Wörter, der tabubrechende Gesellschaftskritiker“, der „ganz offen auf seine Jewishness verwies. Jiddische Phrasen, Witze und ein Humor im Kamikazestil, dem sogar der Holocaust als Material diente“, schrieb Steven Lee Beeber in Die Heebie-Jeebies im CBGB’s. Die jüdischen Wurzeln des Punk.
Eltern hassten ihn
Lenny Bruce, dessen Leben 1974 mit Dustin Hoffman in der Hauptrolle verfilmt wurde, hat eine ganze Generation beeinflusst, die in den 50er und 60er Jahren aufgewachsen ist, denn er war die Stimme, die gegen die gesellschaftliche Moral schwere Geschütze auffuhr. Er war der kleine dreckige Bastard, der den Amerikanern ihre kleinen dreckigen Geheimnisse verriet und dafür von den Eltern gehasst, von den aufbegehrenden Kindern geliebt wurde.
Lenny Bruce wurde am 13. Oktober 1925 auf Long Island geboren und hieß zunächst Leonard Alfred Schneider. Als er 1948 zum ersten Mal bei Arthur Godfrey’s Talent Scouts auftrat, hieß er bereits über ein Jahr lang Lenny Bruce. 1945 war er von der Navy ausgemustert worden, weil er Frauenkleider getragen hatte. Vier Offiziere fragten ihn aus: „4. Offizier: ‚Genießen Sie es, Frauenkleider zu tragen?‘ Bruce: ‚Manchmal.‘ Alle vier: ‚Wann ist das der Fall?‘ Bruce: ‚Wenn sie passen.‘“
Lenny Bruce trat zunächst in Nachtclubs auf, wo er auf Anraten seiner späteren Frau, der Stripperin Honey Harlowe, schon mal mit nichts außer schwarzen Socken und Schuhen den Conférencier machte und den Mädchen die Show stahl, und er trat im TV in der lokalen Steve Allen Show auf, wo er als „der schockierendste Comedian unserer Zeit“ angekündigt wurde.
Mit seinen Nummern eckte Bruce immer wieder an: „Sind heute Abend irgendwelche Nigger hier?“, fragte er zu einer Zeit, als das aufgeklärte Publikum stolz darauf war, den „Nigger“ abgeschafft und den „Schwarzen“ erfunden zu haben. Dann fuhr er fort: „Ah, zwischen den beiden Niggern sitzt ein Itzig, nein, zwei Itzigs. Das macht zwei Itzigs und drei Nigger und ein Latino ...“, und immer weiter mit „kikes, spics, guineas, greaseballs, Yids, Polacks und Irish micks“, bis er die ganze Palette von Schimpfnamen durch hatte, mit denen die Minderheiten aufeinander einteufelten, womit er zeigte, dass es nicht damit getan war, wenn man sich eine politisch korrekte Bezeichnung ausdachte und sich ein gutes Gewissen verschaffte, als ob sich damit die ethnischen Konflikte lösen ließen. Manchmal verstörte Lenny Bruce mehr, als dass er die Leute amüsierte.
Anfang der 60er kriselte es im kulturellen Milieu. Robert Mitchum wurde wegen Marihuana festgenommen, Allen Ginsberg angeklagt, weil sein Gedicht Howl angeblich obszön sei, die ersten Studentenproteste gegen das Komitee für unamerikanische Umtriebe fanden statt, Bürgerrechtsbewegungen für das Wahlrecht der Schwarzen machten sich bemerkbar, das heißt: Es wurden zu viele, von denen sich schlecht behaupten ließ, sie wären einfach nur krank und kriminell, was man vorher gern immer wieder getan hatte.
All das waren Indizien für eine gesellschaftliche Schizophrenie, die Bruce als der Analytiker der Nation für sich ausnutzte, bis er schließlich zu bekannt und vom Radar derjenigen erfasst wurde, die über Sitte und Anstand wachten. Das erste Mal passierte es 1961 in San Francisco, und plötzlich hatte Bruce eine Menge Probleme am Hals, denn auch den Veranstaltern konnte die Lizenz entzogen werden, wenn auf der Bühne ein ungehöriges Wort fiel.
Das inspirierte Lenny Bruce zu einem lustigen Sketch: Leider gebe es da ein Wort, das er auf der Bühne nicht sagen dürfe, und während der Besitzer der Bar wahrscheinlich schon Blut und Wasser schwitzte, verließ Lenny Bruce die Bühne, nahm das Mikro mit einem entsprechend langen Kabel mit nach draußen und sagte dann „Fuck“. Das Publikum fand das lustig, verhaftet wurde er trotzdem.
In New York veröffentlichte das Kulturestablishment einen offenen Brief, in dem es gegen die Anwendung des Obszönitätsgesetzes beim „Nightclub-Entertainer“ Lenny Bruce protestierte. Unterzeichnet war diese Protestnote von Woody Allen, Bob Dylan, Allen Ginsberg, Henry Miller, Susan Sontag, John Updike oder Gore Vidal. Das alte Amerika jedoch gab sich so einfach nicht geschlagen, auch wenn Lenny Bruce nach langen enervierenden Gerichtsverfahren einige Prozesse sogar gewann.
Das Problem: Die Freiheit der Rede ist zwar im ersten Verfassungszusatz verankert. Aber wie immer gibt es Ausnahmen, und zwar Obszönität, Kinderpornografie, Aufruf zum Rassismus und zum Umsturz der Gesellschaft, und wie immer sind diese Einschränkungen zwar auf den ersten Blick vernünftig, aber auch eine Interpretationsfrage. Für den prüden und stockreaktionären J. Edgar Hoover, FBI-Chef und oberster Sittenwächter Amerikas, war bereits alles obszön und pervers, was lange Haare hatte und männlichen Geschlechts war, weshalb er unter Obszönität etwas ganz anderes verstand als Allen Ginsberg.
Was Bruces Leben nicht einfacher machte, waren seine Heroinsucht und die damit einhergehenden depressiven Schübe. Er machte den Eindruck eines Mannes, dem man ziemlich übel mitgespielt hat, was ja auch tatsächlich der Fall war, aber er zeigte es auch dem Publikum. Sein Sketche verloren den Witz, die Originalität, die Spontaneität und die Energie, er las aus Gerichtsakten vor, er verstümmelte alte erfolgreiche Sketche, brach sie vorzeitig ab und war aufdringlich zum Publikum, das er in seine Show zu locken versuchte: „Dirty Lenny in here. Dirty Lenny is going on soon.“ Und wenn er seine Show beendete, hörte sich das so an: „And so, because I love you, fuck you and good night.“ Wenige Wochen vor seinem Tod durch eine Überdosis ging er auf die Bühne „bis obenhin voll mit Amphetaminen. Total fertig. Eine Ruine“.
Von Dylan bis DeLillo
Nach seinem Tod am 3. August 1966 in Hollywood Hills führte er sein Leben in der populären Kultur fort, er tauchte mit seinen Sketchen in der großen Literatur auf, in Don DeLillos Roman Unterwelt und bei Philip Roth. Bob Dylan widmete ihm die Zeilen „Lenny Bruce is dead but he didn’t commit any crime / He just had the insight to rip off the lid before its time. / I rode with him in a taxi once, only for a mile and a half, / Seemed like it took a couple of months. / Lenny Bruce moved on and like the ones that killed him, gone.“ Er wurde auf dem Sgt.-Pepper’s-Plattencover der Beatles verewigt, wo er hinter Ringo Starr wie ein Geist aufsteigt, und Nico, R.E.M., Chumbawamba, Nuclear Valdez und Grace Slick ließen sich von ihm zu Songs inspirieren. Frank Zappa wollte ein Broadway-Musical über ihn machen, und natürlich Abbie Hoffman, der sein Buch Woodstock Nation Lenny Bruce widmete. Und auch als die Dokumtarfilmemacherin Ferne Pearlstein in The Last Laugh (2016) der Frage nachgeht, ob man über den Holocaust Witze machen darf, taucht Lenny Bruce als Zeuge auf.
Der vorletzte Auftritt: Er kommt auf die Bühne und schwenkt das Mikro wie ein Weihrauchgefäß, als hätte er Gläubige vor sich, und dann erzählt er von den Nachstellungen durch die Polizei und wie die Cops die Rolle von Lenny Bruce übernehmen und vor Gericht all die „fucks“ aufzählen, die in Nachtclubs zu äußern ihm unter Strafe verboten sind. In gewisser Weise war ihm an dieser Art der Verbreitung seiner „Ideen“ mehr gelegen als an der Anerkennung seiner Kollegen, die ihm zu seinem Recht verhelfen wollten, sie ungestört vortragen zu dürfen, womit ihm die Geschäftsgrundlage entzogen worden wäre.
Lenny Bruce schuf mit seinem Eintreten für die Freiheit der Rede auch den Raum für die Vulgarität der Sprache in der Öffentlichkeit, wie sie heute vorherrscht, für die unflätige Beleidigung, für die Leute wie Böhmermann allgemeinen Zuspruch bekommen. Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen, wie man ja auch nicht das moralisch-reaktionäre Klima zurückhaben will, in dem ein Freiheitskämpfer wie Lenny Bruce entstehen konnte. Viele der heutigen Comedians hätten vermutlich nicht Gefängnis und Verfolgung auf sich genommen, um ein Recht durchzuboxen, von dem die nachfolgenden Kollegen profitierten.
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