Der Weihnachtsbaum auf CD-Rom

Kehrseite Der Junge ist so begabt. Kaum kommt er von der Schule heim, sitz er mit seinen zehn Jahren schon am Computer, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt ...

Der Junge ist so begabt. Kaum kommt er von der Schule heim, sitz er mit seinen zehn Jahren schon am Computer, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Gut, wir haben unsere letzten beiden Urlaube dafür geopfert, aber es hat sich gelohnt. Kenny hat uns Mallorca und Teneriffa im Computer auf einer CD-ROM gezeigt. Da konnten wir uns die teuren Urlaube wirklich sparen. Und als er kürzlich vorschlug, den echten Weihnachtsbaum durch eine CD-ROM zu ersetzen, fiel uns die Entscheidung nicht schwer. Schließlich sind wir eine moderne Familie. Wer braucht schon einen Weihnachtsbaum den ganzen Tag?

Zugegeben, für die 98 Mark, welche die CD-ROM Der schön geschmückte Weihnachtsbaum kostete, hätten wir auch eine echte Blautanne bekommen. Aber als Kenny an einem Dezemberabend die CD-ROM in seinen PC steckte und auf das Feld "Dekomaterial" klickte, bekam seine Mutter glänzende Augen. Kein Wunder angesichts der über 200 Vorschläge von "Aluminiumengel, silbern glänzend" bis "Heinzelmännchen rot-blau". Wie im Fieber begann sie mit Kenny jedes Bild durchgehen, alles wollte sie im Details sehen. Sie kombinierte "Muschelkuchen, vergoldet" mit "Trockenzwetschgen, natur", fügte "Erzengel Michael, bunt bemalt" mit "Silberglöckchen, zweitonig" hinzu und als Krönung "Weihnachtsmann, Marzipanersatz". Mein Einwand, dass sie das auch morgen tun könne und wir jetzt lieber zu Abend essen sollten, half nichts. Ich ging in meine Stammkneipe.

Als ich später das Lokal verließ, fuhr die Feuerwehr mit lautem Geheul an mir vorbei, kurz darauf folgte der Notarztwagen im Renntempo. Unser Wohnblock liegt ein bisschen ums Eck und war noch nicht zu sehen, da spürte ich Rauch in der Luft Als ich um die Ecke bog, sah ich gleich das Blaulicht des Notarztwagens und die Feuerwehrmänner. Ich wühlte mich durch die diskutierenden Menschen zu unserem Hauseingang, lief eine Etage hoch, da hielt mich ein Feuerwehrmann an. Ich dürfe nicht weiter, wegen der Rauchentwicklung. Da oben habe eine Frau ihren Braten auf dem Herd vergessen und die ganze Küche in Brand gesteckt. Gott sei Dank sei der Frau und ihrem Sohn nichts Schlimmes passiert. Der Junge stehe aber unter Schock, denn ständig rede er von seinem Weihnachtsbaum, der gar nicht brennen könne, weil er aus Ze-de-rom sei oder so ähnlich. "Dabei gibt´s in der Wohnung gar keinen Weihnachtsbaum! Die Kinder heute!", sagte der Feuerwehrmann und schüttelte den Kopf.

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