Klangvoll sprachlos

KEHRSEITE Als unsere Jagdterrierhündin Pia ein Huhn aus Nachbars Garten, das zu uns übergelaufen war, ins Jenseits beförderte, stellte sich die Frage, wer für ...

Als unsere Jagdterrierhündin Pia ein Huhn aus Nachbars Garten, das zu uns übergelaufen war, ins Jenseits beförderte, stellte sich die Frage, wer für den Schaden aufzukommen habe. Ich suchte also die Servicenummer meiner Hundehaftpflichtversicherung und wählte. Fröhliche Musik aus dem Zigeunerbaron ertönte, dann säuselte eine weibliche Stimme: "Guten Tag, hier ist die Vereinigte Assekuranz. Im Augenblick sind alle Leitungen belegt, bitte warten Sie." Ich wartete und lauschte wiederholt dem Hinweis, als der Zigeunerbaron plötzlich in die Lustige Witwe übersprang. Die 4,84 Mark auf dem Telefondisplay ließen mich überlegen, was das Huhn wohl kosten werde. Ich hörte zum zehnten Mal die Warte-Ansage und legte auf. Weitere Versuche führten zwar zu keiner Sprechverbindung. Dafür kann ich jetzt die Ouvertüre zum Barbier von Sevilla auswendig pfeifen.

Im Garten stand mein Nachbar schon am Zaun. "Was sagt Ihre Versicherung?" "Nichts!", sagte ich, "ich bin wohl in ein Callcenter geraten und nicht verbunden worden." "Na, ich rufe jetzt mal meine Haftpflicht an, die werden mir gleich sagen, dass Ihre zahlen muss", rief er mir zu. Nun beschloss ich, meine Rechtschutzversicherung zu befragen. "Hallo, hier ist die Pro Justitia", lispelte es mir ins Ohr. "Unsere Leitungen sind derzeit alle belegt. Wir sind bemüht, Sie rasch zu verbinden und bitten um Geduld." Weil ich Chopins E-moll-Klavierkonzert sehr liebe, harrte ich fünf Minuten aus, ohne verbunden zu werden. Mein Nachbar machte nachmittags einen blassen Eindruck. "Stellen Sie sich vor", sagte er zu mir, "ich habe meine Haftpflicht mindestens zehn Mal angerufen und höre immer nur so komische Jazzmusik. Ich glaube, die spinnen!" Wir vertrösteten uns auf morgen.

Beim Frühstück läutete das Telefon. "Mir fehlt schon wieder ein Huhn!", schrie mein Nachbar in den Hörer. Pia war noch im Garten. "Dann brauchen wir sie mittags nicht zu füttern", reagierte meine Frau lakonisch. Ich wählte die Servicenummer der Hundehaftpflicht. Statt Operette und Oper jetzt Tangomusik. Ich liebe Tangos, aber eigentlich wollte ich wissen, wer für die Hühner aufzukommen hat. Meine Rechtschutzversicherung ließ sich zwar auch nicht sprechen, hielt jedoch an gediegener Klassik fest: Beethovens Pastorale versöhnte. Mein Nachbar wirkte nachmittags sehr erschöpft. Er hatte sich mehrfach "fürchterliche Jazzmusik" anhören müssen, ohne seine Haftpflichtversicherung sprechen zu können.

Beim Läuten des Telefons am nächsten Morgen ahnte ich schon, was los war. Meine Frau hatte mir vom Garten aus zugerufen, Pia sehe "etwas füllig" aus. Ich nahm den Hörer nicht ab. Fünf Minuten später hämmerte es an unsere Wohnungstür. Mit hochrotem Kopf stand der Nachbar vor uns. Schon wieder sei ein Huhn verschwunden, er würde nichts von uns hören und seine Versicherung spiele "grausame Jazzmusik", er halte das nicht mehr aus.

Meine Frau machte ihm Kaffee. Wir konnten zwar unsere Hundehaftpflichtversicherung nicht sprechen, aber die schönen Tangos vom Callcenter brachten unseren Nachbarn dazu, seine Versicherung zu wechseln. Als wir ihm beim anschließenden Versöhnungsessen Hühnerfrikassee servierten, sicherte er uns zu, in Zukunft von Hühnern auf Zierfische überzugehen. Wir kauften ihm die letzten zwei Hühner ab und verspeisten sie mit Freunden. Dazu spielten die Bamberger Symphoniker aus dem Callcenter unserer Rechtschutzversicherung - ein Genuss. Es ist gut, richtig versichert zu sein!

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