Noch ein deutscher Autor?

Anfänge M. freute sich. Als neuer und junger Lektor für deutschsprachige Literatur durfte er zum ersten Mal an der Programmtagung Belletristik des ...

M. freute sich. Als neuer und junger Lektor für deutschsprachige Literatur durfte er zum ersten Mal an der Programmtagung Belletristik des Konzernverlags teilnehmen. Der Cheflektor eröffnete routiniert, stellte Marketing-, Vertriebs-, Werbeleiter und PR-Chefin zuerst den Titel vor, den der Konzern für eine Million Dollar in den USA eingekauft hatte und nun in das Programm seiner bis dato weniger erfolgreichen Verlagstochter einbrachte. Natürlich war der Betrag nie wieder zu amortisieren, aber der Titel würde dem Verlag enormen Auftrieb geben. Da verbot sich jede weitere Diskussion. Dann pries er zwei weitere amerikanische Autoren an, die er "hoffnungsvoll" nannte. Man habe sie eben auch nehmen müssen, flüsterte er, sonst hätte man den Bestseller nicht bekommen. "Okay, Füller!", sagte der Marketingchef nur und zuckte die Schultern.
Anschließend durfte Lektorin L. von ihrem Titel schwärmen: eine nordländische Liebesgeschichte, sehr tragisch, "ziemlich sichere Sache, denn der Titel steht in Island seit zwei Monaten auf Platz 2." Das überzeugte. Dann stellte sie den Roman einer schwedischen Autorin vor, der eine Familientragödie in lauer Mitsommernacht zum Inhalt hatte und - als entscheidendes Argument - in Schweden seit Wochen auf Platz 3 bis 7 der Bestsellerliste stand. Der Werbeleiter meinte zwar, in Deutschland gebe es vielleicht zu wenig Mitsommernächte, um dem Buch zum Durchbruch zu verhelfen, doch das Foto der bildhübschen Autorin stimmte ihn rasch um.
Lektorin J. präsentierte nun ihren Bereich: einen italienischen Krimi, dort seit vier Monaten unter den Top Ten. "Endlich, hat lange genug gedauert!", murmelte der Vertriebsleiter. Dann folgte ein spanischer Historienroman, etwas schwülstig, wie die Lektorin selbst zugab, "aber in Spanien gleich nach Erscheinen ganz oben in der Bestsellerliste". "Hat der Autor irgendwas Besonderes zu bieten?", fragte die PR-Chefin. "Hm, er hat ja diesen unaussprechbar langen Adelsnamen, ich glaube, er ist ein ferner Verwandter des spanischen Königs." "Des Königs???", rief die PR-Dame mit aufgerissenen Augen und sah den Autor bereits in Begleitung von Juan Carlos, der BUNTEN und RTL auf seiner Signierreise durch Deutschland. Volle Zustimmung! Dann präsentierte die Lektorin "als Bonbon einen französischen Inzestroman, auf den man in Deutschland schon lange gewartet hat". Der Marketingchef überlegte kurz, ob sich das Thema mit der Corporate Identity des Konzerns vertrug, sah aber keinen Einwand. "Wenn wir das nicht verkaufen, dann weiß ich nicht mehr, was noch gehen soll." Der Vertriebsleiter schaute eher irritiert, denn er kannte seine Vertreter und deren Kunden, wurde aber überstimmt.
Junglektor M. hatte interessiert zugehört. "Nun kommt wohl mein Part", sagte er frohgemut. "Ich habe hier einen interessanten deutschen Autor mit seinem Erstlingswerk und ..." "Noch ein deutscher Autor?", rief der Marketingchef erschrocken und schaute zum Cheflektor. "Wir haben doch schon den Roman dieses Neffen vom Chef!" - "Wen bitte?", fragte M. vorsichtig. "Ach so, das können Sie nicht wissen, ich zeige Ihnen später das Manuskript", lächelte der Cheflektor. M. fuhr trotzig fort: "Ein wirklich überzeugender Roman, emotional, spannend und klug geschrieben." - "Das mag ja sein, aber wer ist der Autor eigentlich?", fragte die PR-Chefin unruhig. "Ein ganz normaler Mensch ...", sagte M. zögernd. Der Titel wurde abgelehnt. Lektor M. hat jetzt ein neues Aufgabengebiet: islamische Literatur.

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