Die Radikalität der Liebe

THEATER Thanatos und Eros in Inszenierungen von Luc Bondy und Klaus Michael Grüber

Ein junger Künstler revoltiert gegen ein verkommenes System. Konstantin Gawrilowitsch Trepljow (August Diehl) träumt von einem neuen Theater. Für Nina (Johanna Wokalek) hat er eine Inszenierung erarbeitet, die eine Kampfansage gegen das Establishment ist. Kostjas Traum ist es, mit Nina in der Arbeit und in der Liebe vereint zu sein. Doch Nina verlässt Kostjas Welt, verliebt sich in den in die Jahre gekommenen Schriftsteller Trigorin (Gert Voss), der vom Zwang der Beobachtung nicht mehr loskommt und sich in seine Pfeife festgebissen hat. Nina folgt dieser Liebe wie einem fernen Traum. Trigorin bricht aus seiner Beziehung zur Schauspieler Irina Nikolajewna Arkadina (Jutta Lampe) nicht aus, betrachtet die Begegnung mit Nina lediglich als eine Affaire, die ihm interessantes Material für eine neue Erzählung liefert.

Luc Bondys Möwe (Akademietheater in einer Koproduktion mit den Wiener Festwochen) zeigt die Aushöhlung jeglicher Lebensenergie, die aus einer unerwiderten Liebe resultiert. Der letzte Akt endet mit der Finsternis eines Alptraums. Nina küsst Kostja ein letztes Mal in den Nacken, dann bricht sie in die Nacht auf, die sich längst auf ihre Seele gelegt hat. Kostja interessiert die Frage nach den alten oder neuen Formen nicht mehr. Da seiner Existenz die Liebe geraubt wurde, geht er von der Bühne ab und erschießt sich. Luc Bondy zeigt den Weg in die Selbstzerstörung in einer radikalen Direktheit. Alle Bewegungen laufen mit einer inneren Notwendigkeit auf das tragische Ende zu.

Ein anderer Weg der Liebe. Ein Weg, der über Leichen geht: Klaus Michael Grüber hat Claudio Monteverdis Spätwerk L'incoronazione di Poppea nicht einer verächtlichen Beurteilung des Liebesverlangens der Poppea unterzogen. Poppea wird meistens als die machtgierige Frau gesehen, die Nero von seiner Frau Ottavia (Sylvie Brunet) trennt und sich selbst zur Herrscherin ausrufen lässt. Grüber interessieren die Machtspiele und Intrigen nicht sonderlich. Er nimmt die Liebe zwischen Nero (Magdalena Kozená) und Poppea (Mireille Delunsch) ernst. Die Empfindungen der beiden Liebenden sprengen wie von selbst eine Ehe zwischen Ottavia und Nero.

Grübers L'incoronazione di Poppea lebt von der Unbedingtheit der Liebe. Die Imagination von Grübers Regie ergibt sich aus einer Radikalität der Emotionen. Die Liebe wird als der eigentliche Regent des menschlichen Lebens gezeigt. Grüber folgt jenen Regungen, die Nero und Poppea in ihrer Zuneigung bei sich selbst wahrnehmen. Es ist jene Empfindung, die die Seele öffnen und den Körper von Angst befreien.

Am Ende nähern sich Nero und Poppea in einer langen Diagonale an. Sie gehen aufeinander zu, wie Liebende es tun, die sich gewiss sind, dass sie nichts mehr trennen wird. Nero und Poppea suchen sich mit der Ahnung ihrer Sinne. Wenn sie aufeinandertreffen, bleibt eine kleine Distanz zwischen ihnen bestehen, als würden sie das Geheimnis der geliebten Person durch einen leeren Raum schützen wollen. Eine schöne Diskretion liegt in dieser Begegnung. Die beiden Liebenden haben keine Eile, um zueinander zu finden. Die Stunden der Raserei sind vorbei. Es ist jene Stille zu spüren, die sich auf eine Landschaft legt, wenn ein Sturm gewütet hat. Eine Empfindung der Schwerelosigkeit erfasst nun die Körper von Nero und Poppea. Die Ketten der Normalität haben für sie keine Gültigkeit mehr. Marc Minkowski dirigiert L'incoronazione di Poppea mit einer Zurückhaltung und Diskretion, als würden die Liebenden wie aus der Ferne der Musik ihres Lebens lauschen.

Der Vorhang mit den allegorischen Figuren der Fortuna, der Tugend und Amor schließt sich und wird transparent. Durch die drei Gestalten blicken wir auf ein Rom, das in Flammen aufgeht. Die Mauer mit den acht toten Fenstern wird mit einem Pompeji-Rot ausgeleuchtet. Es ist, als würde diese Palastwand, an der sich Nachbildungen von Fresken aus der Mysterienvilla von Pompeji befinden, von einer Glut erfasst. Es ist der Augenblick, bevor die Flammen am Mauerwerk hochzüngeln. Die zugemauerten Fenster öffnen sich, und Vorhänge leuchten darin wie loderndes Feuer. Rom geht in Flammen auf. Nero und Poppea stehen vor dieser brennenden Mauer und blicken einander an. Die Maßlosigkeit ihrer Liebe hat sogar die Wände des Palastes in Brand gesteckt. Doch in diesem Inferno bewegen sich Nero und Poppea mit einer Sorglosigkeit, als würden die Flammen ihnen gar nichts anhaben können. Die Liebe breitet sich wie ein Kokon um ihre Körper, schützt sie noch eine Weile, bis das Feuer Rom verwüstet.

Auch das Schlussbild von Gübers Aida (Amsterdamer Stopera) ist ein Raum der Vernichtung. Die Toten der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Ägyptern und Äthiopiern sind abwesend. Ihre Kleidung bedeckt die Wände des gesamten Raums (Bühne: Eduardo Arroyo). Es ist ein Raum, der an die Gräueltaten des 20. Jahrhunderts erinnert. Fein säuberlich hängen die in verschiedenen Grau- und Blautönen abgestuften Mäntel und Sakkos in acht Bahnen übereinander. Die Vernichtung menschlichen Lebens hat ein so immenses Ausmaß erreicht, dass an den Wänden kein einziges Fleckchen frei geblieben ist. Im Vordergrund sind zwei langgezogene Kleiderständer zu sehen, die von einem schwarzen Gestell wie ein Käfig umschlossen sind.

Amneris (Violeta Urmana) trägt im letzten Akt einen schwarzen Umhang über ihrem weißen Kleid. Sie beginnt zu verstehen, dass ihre Liebe unerwidert bleibt. Nicht einmal die letzte Demonstration von Macht, die in Aussicht gestellte Begnadigung, können Radames (Richard Margison) von Aida (Michèle Crider) trennen. Amneris begreift schmerzlich, dass sie diese Liebe nicht mehr aufsprengen wird.

Noch einmal wird eine Lichtbahn in den abgeschlossen Raum geworfen. Der Priester Ramfis (Giorgio Giuseppini) schreitet mit seinen Gefolgsleuten die Stätte des Todes ab. Der Zug bewegt sich ganz langsam bei der ersten Passage - und noch langsamer bei der zweiten. In der Slow-Motion der zweiten Passage durch den Todesraum ist die Angst vor dem unabänderlichen Schicksal zu spüren. Die Bewegung ist in Riccardo Chaillys Dirigat äußerst reduziert, wirkt gespenstisch in der drohenden Erstarrung.

Amneris hat ihr Wesen immer in einem gefassten Äußeren verborgen. Als sie bemerkt, dass sie mit ihrer Liebe allein bleiben wird, bricht sie zusammen. Der Boden wird ihr unter den Füßen weggezogen. Amneris hat bei ihrem ersten Auftritt das rechte Portal wie eine Wand gesucht, die ihr Schutz und Stärke gibt. Die geöffneten Finger gleiten nun leer über das schwarze Portal. Sie können nichts mehr halten, gleiten einfach hinab. Der letzte Auftritt und die letzte Bitte um Frieden für die beiden eingemauerten Liebenden dringen wie aus einer irrealen Ferne an unser Ohr. Es ist, als würde sie diese Bitte zwar noch aussprechen, aber ihr innerer Resonanzraum ist dafür längst erloschen.

Wenn Aida und Radames im Raum des Todes vereint sind, werden die beiden Kleiderständer zusammengefahren und trennen die beiden Liebenden von der Welt. Im Schlussbild taucht Klaus Michael Grüber Aida in ein mildes, orangefarbenes Licht. Im Lichtkreis steht Aida zunächst allein. Radames tritt zu ihr, legt ihr den Arm um die Schultern, nimmt sie in seine Liebe auf. Aida legt ihren Kopf auf seine Brust. Aida und Radames sind in Liebe und Tod vereint.

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