Ökosozialismus jetzt

Wandel Bernd Riexinger, Dierk Hirschel und ein Schweizer Duo legen Bücher zum Green New Deal vor
Ausgabe 47/2020

Wir haben jetzt die Gelegenheit, unser gesamtes Wirtschaftsmodell kritisch zu überprüfen … Deshalb sollten wir bei der Wiederbelebung unserer Wirtschaftssysteme besonderes Gewicht auf deren soziale und ökologische Nachhaltigkeit legen“, forderte Wolfgang Schäuble im Juli in der FAZ. Schäuble spricht aus, was die kapitalistischen Eliten jenseits des autoritären Lagers mehrheitlich anstreben – eine Transformation, die sich an Nachhaltigkeitszielen orientiert, aber in marktwirtschaftlichen Bahnen verläuft. Tatsächlich schreien Klima-Erhitzung, ökonomische Rezession und wachsende Ungleichheit nach radikaler Gesellschaftsveränderung. Fast alles soll sich ändern, nur der Kapitalismus nicht. Hat die politische Linke Alternativen? Einen „Green New Deal“, der zu „System Change“ führt, antwortet Bernd Riexinger. In seinem neuen Buch hinterlässt der scheidende Co-Vorsitzende seiner Partei Die Linke ein programmatisches Vermächtnis, das Beachtung verdient.

Veto-Rechte gegen Stress

Naomi Klein war eine der Ersten, die mit eindringlicher Rhetorik begründeten, Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Mit ihrer Streitschrift (2019) erweist sich die kanadische Publizistin einmal mehr als Meisterin eines radikalen Pragmatismus. Einerseits begründet sie analytisch, dass der Kapitalismus in all seinen Variationen Hauptverursacher der drohenden Klimakatastrophe ist. „Der Kapitalismus, nicht die ,menschliche Natur‘ hat uns die historische Chance im Kampf gegen den Klimawandel verbaut“, lautet eine bezeichnende Kapitelüberschrift. Andererseits vermeidet Klein abstrakte Debatten über die (Un-)Möglichkeit einer systemkonformen Nachhaltigkeitsrevolution. Stattdessen plädiert sie eindringlich dafür, die kapitalistischen Eliten auf die Probe zu stellen. Dies gelingt ihr vorzüglich mit der „Fruchtkapsel für einen Green New Deal“, deren inhaltliche Füllung darauf zielt, einfachen Leuten die Angst vor dringend nötigen Veränderungen zu nehmen. Der Green Deal werde ein „enormer Jobmotor sein“, er mache „Schluss mit dem Aufschieben“, sei konjunktursicher, vor Rückschlägen gefeit, er werde schon wegen seiner enormen Kosten zu einer gerechteren Wirtschaft führen, sei deshalb „unsere Bestimmung“.

Kleins Buch popularisiert Ideen, wie sie bei den Social Democrats in den USA oder der Labour-Linken diskutiert werden. Bernd Riexinger knüpft in System Change an solche Programmatiken an, womit er seinen Vorschlägen eine transnationale Ausrichtung verleiht. Der Autor betont große „Überschneidungen“, verdeutlicht aber auch „unterschiedliche Akzente“. Anders als Bernie Sanders hält Riexinger den Übergang zu E-Mobilität für wenig zukunftsweisend. Wie Naomi Klein betrachtet er die Klimakrise als „größte Herausforderung für die Menschheit“. Ebenso wie Sanders oder die Labour-Linke sieht er in der wachsenden sozialen Ungleichheit eine Hauptursache für die Blockade überfälliger ökologischer Strukturreformen. Als „Gegengift“ (Ulrich Beck) schlägt Riexinger einen „Green New Deal“ mit sechs Kernelementen vor: „Infrastruktursozialismus“ für eine funktionierende Daseinsvorsorge; sinnvolle Arbeit mit Löhnen, die für ein gutes Leben reichen; soziale Sicherheit für alle; radikaler Klimaschutz, verbunden mit Verkehrs- und Agrarwende sowie dem Eintreten für eine neue Weltwirtschaftsordnung; ökologische Transformation der Industrie mit wirtschaftsdemokratischer Ausrichtung sowie eine gerechte Umverteilung von Arbeit und Vermögen zur Finanzierung der vorgeschlagenen Projekte.

All das ist nicht völlig neu, aber doch eine anregende Synthese. In der Ausbuchstabierung dieses Programms finden sich innovative Vorschläge, die förmlich nach Debatte schreien. Riexinger plädiert unter anderem für eine 30-Stunden-Woche, das Verbot von Leiharbeit und Veto-Rechte der Beschäftigten gegen Stress. Er schlägt ein „Qualifizierungsgeld“ für alle vor, die sich weiterbilden möchten oder müssen, und fordert die Öffnung der Universitäten für Menschen aus der beruflichen Praxis. In den lohnabhängig Beschäftigten sieht er potenzielle Träger sozialökologischer Transformation. Wirtschaftsdemokratie bedeutet für den Linken-Politiker nicht nur Ausweitung der Mitbestimmung (Partizipations- und Vetorecht der Belegschaften bei allen wirtschaftlichen Fragen), sondern Bildung von regionalen Wirtschaftsräten, die mit Hilfe von Transformationsfonds den ökologischen Umbau der Wirtschaft vorantreiben. Zudem ist Belegschaftseigentum ein Schlüssel zur Demokratisierung wirtschaftlicher Entscheidungsmacht.

Bis zu zwei Billionen Euro

Die Machbarkeit des Ganzen soll durch radikale Umverteilung gesichert werden. Hier knüpft Riexinger an Vorschläge unter anderem Thomas Pikettys und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) an. Ein sozial-ökologischer Umbau der Wirtschaft wird allein in Deutschland über einen Zeitraum von zehn Jahren bis zu zwei Billionen Euro kosten. Die will Riexinger zuerst beim reichsten einen Prozent der Bevölkerung, bei den Hauptverursachern der Klimakrise und den Nutznießern wachsender Ungleichheit holen. Er schlägt für den Umbau eine Mischfinanzierung vor, aus Millionärssteuer, Corona-Soli, progressiver Besteuerung von Vermögen samt Deckelung von Spitzengehältern.

Riexinger hegt keine Zweifel, dass die Umsetzung eines solchen Programms auf härteste Widerstände der kapitalistischen Eliten treffen würde. Ist ein Green New Deal mit systemtransformierender Ausrichtung dennoch realitätstauglich? Ja – und zwar mit verbindender Klassenpolitik und einer Stärkung der Linkspartei, lautet Riexingers Antwort. Mit dem zweiten Teil der Antwort wird die Suche nach radikalen gesellschaftlichen Alternativen freilich auf das Schicksal einer Organisation verengt. Riexinger möchte die Linke als moderne Bewegungspartei sehen. Der Noch-Parteichef ist stolz darauf, dass sie mittlerweile auch im Westen linksalternative Milieus anzieht, und möchte diese zum Handschlag mit verbliebenen linken Gewerkschaftskreisen animieren. Doch in der Realität bleibt die Partei hinter diesem Anspruch zurück. Umfragen sehen sie derzeit bei sieben, acht Prozent. Seit ihren zwölf Prozent 2009 im Bund hat die Linke vor allem in der Arbeiterschaft, bei Erwerbslosen und Ausgegrenzten sowie bei Gewerkschaftern überdurchschnittlich verloren.

Dennoch, so jedenfalls Dierk Hirschel in Das Gift der Ungleichheit, werden die Linkssozialisten gebraucht. Sie können, so der sozialdemokratische Gewerkschafter, „wichtige Impulse für einen politischen Kurswechsel geben“, wenn sie ein breites gesellschaftliches Bündnis für einen sozial-ökologischen Umbau anstreben. In einem knappen Unterkapitel beleuchtet Hirschel die sozialstrukturellen Veränderungen in der Mitgliedschaft der Linkspartei, das allmähliche Wegbrechen ihrer alten Wählerbasis im Osten, die Zuwächse bei jungen Akademikern. Er thematisiert die widersprüchlichen Erfahrungen mit Regierungsbeteiligungen und hebt hervor, dass linkes Regieren keineswegs automatisch in den „demoskopischen Untergang“ führt. Das Projekt einer verbindenden Klassenpolitik betrachtet er mit vorsichtiger Sympathie. Hirschel lässt aber keinen Zweifel daran, dass es noch lange dauern könnte, bis die Linke zu einer Partei mit breiter Verankerung in der Gesellschaft geworden ist. Deshalb kann das Mitglied der SPD-Grundwertekommission sie sich nur als Teil einer viel breiteren Allianz vorstellen, zu der neben einer revitalisierten Sozialdemokratie auch kapitalismuskritische Umweltbewegungen und Grüne gehören sollen, ja das gesamte junge, bunte, laute und digitale Spektrum gesellschaftlicher Kräfte, das auf Veränderungen im Hier und Jetzt drängt.

Die „Mosaiklinke“ ein Begriff, den der Gewerkschafter Hans-Jürgen Urban geprägt hat, umfasst eben weit mehr als nur die Linkspartei. Hirschel sieht: Die Teile dieses Mosaiks zu verbinden, wird nicht einfach, aber es lohnt. Er hat recht, wenn er sagt: Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände, soziale Bewegungen, Sozialdemokratie, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke eint inhaltlich mehr, als sie trennt. „Allein verfügt keiner dieser Akteure über die Ressourcen, eine sozial-ökologische Transformation durchzusetzen. Deswegen sind sie alle gut beraten zusammenzuarbeiten“, schreibt Ex-Verdi-Chef Frank Bsirske im Vorwort zu Hirschels Buch.

Eine Allianz für einen linken Green Deal verfügt hierzulande also durchaus über genügend Alternativen, die nach Verwirklichung drängen. Um erfolgreich zu sein, benötigt sie jedoch, was auch den besprochenen Büchern fehlt. Der Grüne Bsirske, Hirschel und Riexinger müssten derzeit selbst in ihren eigenen Parteien um Mehrheiten kämpfen. Der Zeitgeist tendiert zu Schwarz-Grün. Für die Verbindung von Green New Deal und System Change gibt es Aufgeschlossenheit, gegenwärtig aber wohl keine gesellschaftlichen Mehrheiten. Linke Konzeptschmieden sollten sich rasch aneignen, was bei Naomi Klein im Übermaß vorhanden ist. Man muss nicht gleich ins Missionarische verfallen, um eine Sprache zu finden, mit der sich die Dringlichkeit einer Nachhaltigkeitsrevolution Alltagsmenschen verständlich machen lässt. Obwohl sie die wichtigen Stichworte bedienen, geht Hirschel wie Riexinger die Dringlichkeit ihrer Botschaft gelegentlich verloren. Wo der eine allzu sehr auf rot-rot-grüne Parlamentsmehrheiten setzt, konzentriert sich der andere am Ende auf das Überleben der eigenen Partei. Der unbedingte Wille, dass die Nachhaltigkeitsrevolution tatsächlich in kürzester Zeit in Gang gesetzt werden muss, bleibt auf der Strecke.

Hier könnten deutsche Linke von einem Grünen und einem Nationalrat der Sozialdemokraten aus der Schweiz lernen. Deren Plädoyer für eine Service-public-Revolution lässt in jeder Zeile und Begründung die Überzeugung spüren, dass der Rechtfertigungsdruck allein auf den „Königen und Adligen unserer Zeit“ lastet. Die Mächtigen an den Schalthebeln der Macht haben, so Beat Ringger und Cédric Wermuth, den Karren in den Dreck gefahren und blockieren nun längst überfällige Veränderungen. Diese Kaste hat zu weichen, wenn Neues in die Welt gelangen soll. Nicht Um-, sondern Rückverteilung des angeeigneten gesellschaftlichen Reichtums ist Gebot der Stunde. „Ein ganz zentrales Problem der heutigen ökonomischen Verhältnisse“ bestehe darin, dass „wir mit den Folgen eines Wirtschaftssystems zu tun“ haben, „das mit viel zu wenig Komplexität operiert“. Die Zentralität privaten Gewinnstrebens widerspreche der Vielgestaltigkeit der Gesellschaft und dem Komplexitätsgrad ihrer Probleme. Deshalb sind nur noch radikale Veränderungen wirklich realistisch, und nur solidarisches Handeln stiftet wirklich Lebenssinn. In der Sache mit vielem übereinstimmend, was Riexinger und Hirschel umtreibt, finden Ringger und Wermuth eine Sprache, die vor Überzeugung sprüht und deshalb andere überzeugen kann. Ihnen gelingt es am besten, zu veranschaulichen, was Linke benötigen – Realitätssinn, gepaart mit dem Mut zu revolutionärer Gesellschaftsveränderung. Nur mit Hilfe einer derart eindringlichen, plausiblen Diktion könnte Gehör finden, was Riexinger aus dem Manifest Feminismus für die 99 % zitiert: Für alle, die der Zerstörung des Planeten durch den Kapitalismus entgegentreten wollen, kann die Zukunft nur eine „ökosozialistische“ sein.

Es grünt so grün

System Change. Plädoyer für einen linken Green New Deal. Wie wir den Kampf für eine sozial- und klimagerechte Zukunftgewinnen können Bernd Riexinger VSA 2020, 144 S., 12 €

Das Gift der Ungleichheit. Wiewir die Gesellschaft vor einem sozial und ökologisch zerstörerischen Kapitalismus retten können Dierk Hirschel Dietz 2020, 256 S., 22 €

Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann Naomi Klein Hoffmann und Campe 2020, neu als Taschenbuch, 352 S., 15 €

Die Service-public-Revolution. Corona, Klima, Kapitalismus – eine Antwort auf die Krisen unserer Zeit Beat Ringger, Cédric Wermuth Rotpunktverlag 2020, 216 S., 15 €

Feminismus für die 99 %.Ein Manifest Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya, Nancy Fraser Matthes & Seitz 2019, 107 S., 15 €

Klaus Dörre hat den Lehrstuhl für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Uni Jena inne und ist Geschäftsführender Direktor des DFG-Kollegs „Postwachstumsgesellschaften“

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