Deutsche Qualitätsmedien und Herr Varoufakis

Medien Bin ich auf dem Weg in eine Verschwörungstheorie?

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Im Hack-Epizentrum: Yanis Varoufakis
Im Hack-Epizentrum: Yanis Varoufakis

Bild: EMMANUEL DUNAND/AFP/Getty Images

Ich finde mich in einer Situation, die ich noch vor wenigen Monaten als völlig unmöglich, unglaubwürdig, schräg empfunden hätte. Und ich bin mir meiner zunehmend unsicher: Bin ich immer noch die nüchterne Person aus meinem Selbstbild oder wandele ich mich langsam zu einem an Verschwörungstheorien glaubenden Wirrkopf.

Der Grund: Ich finde beinahe kein (*) deutsches Medienerzeugnis, sei es konservativ, liberal, sozialdemokratisch oder grün orientiert, dass mich über die Entwicklung verschiedener Sichtweisen der Euro-Krise informiert. Statt dessen lese ich boulevardeskes Geschwätz. Aber nicht beliebiges Gerede, nein, nahezu alle "Nachrichten" zielen auf die Diskreditierung dissidenter Sichtweisen auf die Euro-Krise und mögliche sie betreffende Handlungswege. Schlimmer, nicht nur andere Sichtweisen werden diskreditiert, auf den sie vortragenden Personen wird herumgehackt und im Epizentrum steht Herr Varoufakis. Hier nur zwei Beispiele:

(1) Die Tagesschau, also unser Nachrichten-Flaggschiff, teilt mir in aufgeregtem Enthüllungston mit: "Varoufakis gibt Mitschnitte zu" und "Finanzminister Varoufakis hat eingeräumt, …". Der Artikel erklärt, es seien "Aufnahmen nicht ausdrücklich verboten", jedoch "umstritten". Sie teilen mir nicht mit, warum etwas "zugegeben" werden sollte, was gar nicht verboten ist, wer eigentlich dem Finanzminister eines souveränen Staates "verbieten" könnte, ein Gespräch aufzunehmen, beim wem Tonaufnahmen "umstritten" sind usw. Der Artikel endet mit folgenden Ausführungen (in Kurzfassung):

  • Varoufakis weist Behauptungen zurück, er sei auf den Sitzungen beleidigt worden. "Einen Tag später versicherte er, dass er die Vertraulichkeit des Treffens wahren werde." (Es wird nahegelegt: Varoufakis korrigiert sich nach einem Tag, er hat mit seinen Aufzeichnungen vielleicht ein wenig die Vertraulichkeit verletzt?)
  • Griechenland wartet auf die "Freigabe von Hilfsgeldern in Höhe von insgesamt 7,2 Milliarden Euro." "Während der Verhandlungen wurde in den vergangenen Wochen immer wieder Kritik am Auftreten von Varoufakis laut." (Es wird nahegelegt: Der mit seiner Lederjacke verhält sich wie ein delinquenter Jugendlicher; wie kann der eigentlich eine eigene Meinung vertreten, wenn er Geld haben will.)

(2) Die Zeit veröffentlichte nie die Fragen, die sie Varoufakis vor einigen Tagen gestellt hat. Sie veröffentlichten auch nicht das — sehr kurze — Interview selbst. Die Zeit verarbeitete Auszüge von Varoufakis' Auskünften in einem freundlichen Artikel über Schäubles Lebensleistung mit der Betonung, dass Varoufakis das Interview (nur?) über E-Mail, schriftlich erteilte (na und? was soll das nun sagen?) und betonte die Meldung, dass Varoufakis Schäubles Position in der Krise als irrig betrachtet. Dabei wiederholt sie (für die dummen Zeit-Leser?) die diplomatische Ausdrucksweise von Varoufakis in einer brutal-direkten Formulierung, über die nun alle Medien herfallen: Varoufakis kritisiert Schäuble. Das sei "unweise". Kein Nachrichtenportal setzt sich mit der Frage auseinander, ob und in welchen Aspekten Varoufakis eventuell recht haben könnte. Statt dessen wird mir seitens der Zeit mitgeteilt, dass Schäuble ohnehin eine Abneigung gegen Ökonomen habe (Warum? Ist es eigentlich ein Qualitätsmerkmal, eine akademische Disziplin abzulehnen? Was bedeutet das?)

Die Abscheu unserer Qualitätsmedien, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen, geht so weit, dass ich noch nicht einmal die eventuellen volkswirtschaftlichen Begründungen für die Haltung "unserer" Bundesregierung erfahre.

Ich komme mir vor, wie in einem Propagandakrieg. Aber sehr offensichtlich bringt die eine Seite wieder und immer wieder Argumente vor und appelliert an die Vernunft, während die andere Seite permanent den Konflikt personalisiert, skandalisiert und kaum verdeckte Beleidigungen vorbringt. Ich fühle mich in einem Seminar über Schopenhauers "Eristische Dialektik".

Das Bedrückende ist, dass das die Haltung beinahe aller Medien zu sein scheint. Oder werde ich völlig wirr?
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(*) Selbstverständlich übertreibe ich. Es gibt den "Tagesspiegel" mit Harald Schumann, "Der Freitag" und bestimmt andere, die ich nicht kenne.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Klaus.Fueller

… wird noch nachgereicht

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