Die Zukunft des Tanzes

Austausch Die World Dance Alliance rang in Düsseldorf um die Zukunft des Tanzes und die "Aesthetics of diversity"

Von "Aesthetikern", das wusste Jean Paul schon 1804, wimmelt es nur so. Und die von Adorno erhobene Forderung nach "Differenziertheit als ästhetische Kategorie" ist in den Künsten längst erfüllt. Jetzt hat in Düsseldorf die World Dance Alliance (WDA) unter dem Leitthema "Aesthetics of diversity" in einer Konferenz und einem Tanzfestivals nach der Zukunft des Tanzes gefragt.

Ästhetik als inhaltliche Kategorie war immer ein abstraktes Ideal, das erst die Moderne zum allgemeinen Maßstab erhoben hat. Der "höchste Akt der Vernunft" sei ein "ästhetischer Akt", sagten Schiller (1794) und Hegel (1797) übereinstimmend. Doch die Ästhetik des Tanzes geht darüber hinaus. Spricht man von ihr, so denkt man nicht an die Theorie einer Schrittfolge, sondern an die Bewegung selbst. Diese Ästhetik spricht vor allem die sinnliche Wahrnehmung an. Für Aristoteles war dies zugleich auch eine ethische wie politische Wahrnehmung. Etwas zu sehen oder sichtbar zu machen bedeutet im gleichen Moment, etwas anderes aus dem Blick zu verlieren, es unsichtbar zu machen. So drängt jede Entscheidung für eine bestimmte Ästhetik eine andere ins Abseits oder gar ins Vergessen.

Die Fragen, die sich die 150 Teilnehmer der Konferenz aus aller Welt gestellt haben, waren aber vor allem praktischer Natur: Ausbildung, Produktion, Promotion. Dazu ein künstlerisches Begleitprogramm, bei dem "diversity" leider als Beliebigkeit missverstanden wurde. Was nicht gegen einzelne hervorragende Beiträge sprach, aber gegen die Gesamtheit der Auswahl.

Gleich zum Auftakt zeigte die Compagnie Salia ni Seydou aus Burkina Faso mit dem Tanzstück Figninto (1997) parabelhaft, wie nah beieinander die Probleme ganz unterschiedlicher Kulturen liegen: Eines der ärmsten Länder Afrikas und des reichen Nordens. Die Choreografen Seydou Boro und Salia Sanou fragten auf sehr persönliche und bewegende Weise, warum wir nicht "sehen" - uns nicht und den anderen nicht. Sie deckten die Schnittstelle auf, wo das Ästhetische seinen engen Bezug zur Kunst überschreitet und zur "Grundform des Daseins" wird, worauf Michel Foucault in seiner "Ästhetik der Existenz" hingewiesen hat.

Wie auch immer die Zukunft des Tanzes aussehen wird, der Austausch zwischen den Menschen und den Kulturen wird dabei die Hauptrolle spielen. Unerklärlich deshalb, warum "diversity" als "Verschiedenheit", nicht als "Mannigfaltigkeit" übersetzt und damit eher das Trennende als das Verbindende betont wurde. Fürchten bestimmte Regionen bereits um ihre "Leitästhetik"? Anadel L.Snyder vom National Dance Research in Mexiko warnte vor der Tendenz, dass "gesellschaftliche Sektoren ihre kulturelle Überlegenheit gegenüber allem Abweichenden durchsetzen". Und Max Wyman aus Kanada betonte in einer viel beachteten Rede, dass der Tanz seine verbindende Kraft für eine bessere, und das heißt, menschlichere Gesellschaft einsetzen müsse.

Zwar hat die WDA-Konferenz mit diesen programmatischen Reden Perspektiven für die Zukunft eröffnet. Doch da ein vorbereitender Diskurs in den Fachmedien und in nationalen Seminaren gefehlt hatte, blieb es bei den monologen Statements und einem allgemeinen Erfahrungsaustausch. Zu wenig, um von einem Erfolg der Konferenz sprechen zu können. Mit programmatischen Fehlentscheidungen brachte sich die WDA zudem selbst ins Zwielicht. So wurde mit enormen Aufwand das "Legacy-Project", ein heroisches Spektakel des Choreografen Lin Hwai-min, das während der Ost-West-Konfrontation in Taiwan entstanden war, rekonstruiert. Mit Repertoirepflege wurde dieser (Miss-)Griff in die Vergangenheit begründet. Zukunft lässt sich damit nicht formulieren. Tanz muss politisch sein, das ist unabdingbar, aber bitte im aufklärerischen Sinn. Und dass die islamische Welt, die derzeit im Fokus des Weltinteresses steht, im Festivalprogramm nicht auftauchte, spricht auch nicht für tanz-politische Weitsicht.

Die Zukunft des Tanzes, daran gibt es keinen Zweifel, gehört der Völkerverständigung. Die Teilnehmer haben mit ihren Gesprächen im Geist von Offenheit und Toleranz dafür Zeichen gesetzt.

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