Kulturradio heute

Medientagebuch Der WDR will seinen Kulturkanal modernisieren. Damit ist er auf dem besten Weg zum Dudelfunk - eine Initiative fordert nun zum Widerstand gegen die Änderungen auf

„Keine einzige Frage“ zur Kulturpolitik sei dem WDR-Moderator Jörg Schönenborn im TV-Duell zur Landtagswahl in NRW eingefallen, klagte kürzlich der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann. Vielleicht sind Kunst und Kultur dem WDR überhaupt schnuppe.

Mehr als 18.000 Radiohörer, WDR-Mitarbeiter, Publizisten, Autoren, Künstler und Wissenschaftler laufen seit Wochen gegen die geplante „Moder­nisierung“ des Kulturkanals WDR 3 Sturm. Im April sollte die Reform umgesetzt werden. Doch seit Ende Februar, als sich erster Widerstand im Sender regte und die Initiative der „Radioretter“ mit Unterstützern wie Günter Wallraff, Richard David Precht und Elke Heidenreich auf den Plan trat, hüllt sich die WDR-Intendantin Monika Piel in Schweigen, während ihr Hörfunk­direktor Wolfgang Schmitz beteuert, es gehe nur um Kleinigkeiten.

Dabei bedrohen die Änderungen das Programm in seiner Substanz: Die Resonanzen, ein anspruchsvolles Funk-Feuilleton, sollen zu einem Container für Wiederholungen umgebaut werden; die Politischen Journale werden abgeschafft und durch Nachrichten ersetzt, die Musikpassagen eingestellt. Die Programmgruppe Musik wird durch ein Computerprogramm abgelöst, das tagsüber für einen gefälligen Klang­teppich aus Jazz und Klassik sorgen soll. „Durchhörbarkeit“ lautet die Parole von Schmitz.

Als-ob-Kultur

Die Dritten Programme galten in der ARD lange Zeit als Forum für die politischen und kulturellen Fragen der Zeit. Hörspiel und Feature, das Streitgespräch und der Funkessay dienten der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion der Gesellschaft. „Reformer“ wie Schmitz wittern in solchen Kriterien nur die Ressentiments eines verkalkten Bildungsbürgertums. Schmitz wünscht sich eine Kundschaft aus „Leistungs­trägern“, „die das Radio einschalten, um morgens eine Buchbesprechung zu hören, damit sie abends auf der Party mitreden können, auch wenn sie das Buch selbst gar nicht gelesen haben“. Als-ob-Kultur: ein bisschen Futter für das allgemeine Diskursgeschnatter.

Längst geht in der ARD das Gespenst der Unternehmensberatung um. Stures Effizienzdenken liefert Kunst, Kultur und politische Reflexion der Logik des Marktes aus. Schmitz’ Hinweis, der Anteil des Politischen am Programm von WDR 3 bleibe erhalten, man sende „Nachrichten mit ergänzenden O-Tönen“, ist eine intellektuelle Kapitulation. Vielbeachtete Sendeformate wie das Kritische Tagebuch oder Gedanken zur Zeit wurden in den letzten Jahren abgeräumt; gleichzeitig gingen einige 100.000 Hörer verloren. Keine der „Reformen“ hatte bislang die Kraft, etwas Neues zu schaffen: ein Kulturradio, das den sozialen, kulturellen und techno­logischen Veränderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts angemessen wäre.

Was heißt Kulturradio heute? Welche Bedeutung haben im Zeitalter der digitalen Medien Aufklärung und Re­flexion? Wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag gerecht, wenn er sich auch in seinen Kern­be­reichen der privaten Konkurrenz an­nähert? Die „Radioretter“ fordern ein Moratorium, um gemeinsam mit engagierten Hörern über diese Fragen nachzudenken.

Die Aktionen zeigen Wirkung. Anfang März forderte der Rundfunkrat von der Geschäftsleitung ein plausibles „Gesamtkonzept“. Auf seiner (teils öffentlichen) Sitzung am 16. April regte sich im Gremium erstmals energischer Widerspruch. Ende Mai soll es zum Schwur kommen.

Klaus Kreimeier ist Medienwissenschaftler und Erstunterzeichner bei

. Zuletzt erschien von ihm: Traum und Exzess. Die Kulturgeschichte des frühen Kinos

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