Kreislauf des Scheiterns

Missbrauchsskandal Solange die Kirche sich um sich selbst dreht, anstatt sich um Gerechtigkeit für die Opfer zu bemühen, kann eine Aufarbeitung nur scheitern, meint Pater Klaus Mertes
Nur eine unabhängige Instanz kann eine an rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen orientierte weitergehende Aufarbeitung voranbringen
Nur eine unabhängige Instanz kann eine an rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen orientierte weitergehende Aufarbeitung voranbringen

Foto: Ina Fassbender/AFP/Getty Images

Köln ist so etwas wie das Rom am Rhein. Deswegen ist der Krimi, der dort läuft, von exemplarischer Bedeutung: Der Kölner Kardinal prescht im Herbst 2018, von Entsetzen über die Ergebnisse der MHG-Studie getrieben, voran, setzt sich an die Spitze der Aufklärung, bildet einen Betroffenenbeirat, kündet harte personelle Konsequenzen an, gerät aber ins Stolpern, instrumentalisiert seinen Betroffenenbeirat und holt sich einen neuen Gutachter. Der spricht ihn nach selbstgesetzten Kriterien frei von Fehlverhalten in den vergangenen Jahren. Daraufhin kann der Kardinal den Daumen über enge Mitarbeiter senken, denen Fehlverhalten bescheinigt wurde – und prescht nun mit weißer Weste erneut voran, unter dem Beifall derer, die sich von diesem Schauspiel blenden lassen.

Spätestens seit 2010, als die Missbräuche am Berliner Canisius-Kolleg öffentlich bekannt wurden, treibt die Bischöfe, aber nicht nur sie, die Sorge um den Verlust der Glaubwürdigkeit der Kirche an. Diese ist in der Tat ein hohes Gut. Doch solange sich die Kirche primär von dieser Sorge treiben lässt, kommt sie nicht voran. Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit ist der falsche Notenschlüssel vor Text und Melodie der Aufarbeitung. Der richtige lautet: Gerechtigkeit für die Opfer. Wenn diese wiederum primär deswegen in den Blick genommen wird, um Glaubwürdigkeit zu gewinnen, ist die institutionsnarzisstische Falle immer noch offen.

Die Opfer fordern Aufklärung, finanzielle Hilfen und Entschädigung

Auch das Misslingen des Schulterschlusses mit den Betroffenen hat symptomatische Qualität. Die moralische Autorität des Leidens ist für die Kirche ein ersehnter Partner für die Wiedergewinnung ihrer Glaubwürdigkeit. Deswegen spricht sie seit Jahren eine Sprache über und zu den Betroffenen, aus der die Sehnsucht nach Versöhnung mit ihnen spricht: Bitte um Verzeihung, Wutsprache gegen die Täter, irregeleitete Solidarisierung mit den Betroffenen nach dem Motto: Die Täter haben auch der Kirche Schaden zugefügt, und so weiter. Die Betroffenen wollen genau das aber nicht hören. Sie haben eine Anklage nicht nur gegen die Täter, sondern auch gegen die Verantwortlichen. Sie fordern Aufklärung, finanzielle Hilfen und Entschädigung. Einige von ihnen machen sich auch die Reformagenda in der Kirche zu eigen, mit den klassischen Themen Zölibat, Stellung der Frau, kirchliche Sexualmoral, Machtstrukturen. Auf all diese Anliegen muss die Kirche antworten, und das geht im Fall der Fälle nicht ohne Konflikte, auch mit Betroffenen.

Schließlich gelingt es der Kirche seit Jahren nicht, die Frage nach der Gerechtigkeit für die Betroffenen zu beantworten. Das kann sie letztlich trotz aller Bemühungen nicht, solange sie nicht die Kontrolle an eine unabhängige Institution aus der Hand gibt. Die Initiative dazu muss von der Bischofskonferenz ausgehen. Da die allermeisten Taten und Unterlassungen, um die es geht, entweder verjährt oder nicht justiziabel sind, geben Staatsanwaltschaften in der Regel die Akten nach Durchsicht zurück, ohne Anklage zu erheben. Aufarbeitung ist eben mehr als juristisch-strafrechtliche Aufarbeitung. Der Missbrauch deckt ein moralisches Versagen auf, das für eine Institution wie die Kirche, die hohe moralische Ansprüche formuliert, höchst bedeutsam bleibt. Nur eine unabhängige Instanz kann dann auch eine an rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätzen orientierte weitergehende Aufarbeitung voranbringen, weil erst dann die Unterscheidung zwischen Kläger/Nebenkläger, Angeklagtem und Richter gewahrt ist. Solange das nicht der Fall ist, wird sich die Kirche weiter im Kreislauf des Scheiterns drehen.

Pater Klaus Mertes war zwischen 1994 und 2011 am Canisius-Kolleg in Berlin tätig, von 2000 an als dessen Rektor. 2010 löste sein Brief an Angehörige der von Missbrauch betroffenen Jahrgänge am Canisius-Kolleg eine Welle von Aufdeckungen bezüglich kirchlicher wie nichtkirchlicher Einrichtungen aus. Von 2011 bis 2020 war Mertes Kollegdirektor am internationalen Jesuitenkolleg in St. Blasien

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