Er war kein Extremist

Stauffenberg Als Ikone des 20. Juli wird der Graf oft kritisiert. Seine Haltung hat uns aber immer noch viel zu sagen
Ausgabe 29/2019

An der Person des Verschwörers und Attentäters gegen Hitler, Claus Graf Schenk von Stauffenberg, scheiden sich die Geister. Das muss man nicht bedauern, denn die kontroversen Auffassungen tragen dazu bei, das Bild von Widerstand und Staatsstreich gegen Hitler lebendig zu erhalten. Irritierender sind hingegen einige der Hintergrundannahmen, die mit seiner Person verbunden werden.

Thomas Karlauf hat mit seiner heftig diskutierten Biografie Stauffenberg. Porträt eines Attentäters ein Buch vorgelegt, das den Grafen ganz im Banne des Dichterfürsten Stefan George wähnt. Dieser – und nicht die Widerstandskreise des 20. Juli – erscheint hier als eigentlicher Spiritus Rector des Attentats auf den „Führer“. Karlauf sieht hier ein reines „Ethos der Tat“ am Werk, das angeblich weder mit Moral noch mit Gewissen oder Verantwortungsethik erklärt werden könne.

Auf diese Verkürzung hat die Fachhistorie mit einer Kritik reagiert, die leider nicht ganz zu Ende gedacht worden ist. Einige führende Zeithistoriker haben darauf hingewiesen, dass der 1907 geborene Stauffenberg in eine Reihe mit der „Generation des Unbedingten“ (Michael Wildt) zu stellen sei, deren Aktivismus in einem „entleerten Idealismus der Tat“ (Ulrich Herbert) seinen Höhepunkt gefunden habe. Für die Kerngruppe der NS-Bewegung, die nach 1933 in die Kommandohöhen von Partei, Staat und Terrorinstitutionen einrückte, ist das eine zutreffende Deutung. Nur – trifft sie auch auf den Generationsgenossen Stauffenberg zu?

Es empfiehlt sich, die Perspektive umzukehren. Das eigentliche Faszinosum des Verschwörers zeigt sich darin, dass und wie er die Kraft fand, von den Leitbildern seiner Generation und den Regimeangeboten seiner Zeit Abstand zu gewinnen. Bemerkenswert waren seine Fähigkeit und sein Mut, nicht in überheblicher Distanz zu verharren, sondern den Weg in den organisierten Widerstand und die Staatsstreichplanung zu finden, der ihn schließlich zur Ausführung des Bombenanschlags auf Hitler führte.

Der Schlüssel dazu liegt nicht so sehr im geistigen Erbe des George-Kreises, sondern im allmählichen Abschied vom Haltungsideal des Unbedingten. In dieser Hinsicht wie in keiner anderen ebnete Stauffenberg (wie die anderen Verschwörer und der Widerstand generell) den Weg in die politische Kultur Nachkriegsdeutschlands. Daher ist es zwar berechtigt, aber unfruchtbar, immer wieder auf die „elitäre Haltung“ Stauffenbergs zu verweisen oder etwas schulterzuckend zu konstatieren, politisch habe uns der Graf „heute nichts mehr zu sagen“.

Die Entwicklung und das Vorbild des Grafen sind umso aktueller, als sich derzeit Unbedingtheiten identitärer Selbst- und Fremdverortung breitmachen und das Erbe des Widerstands reklamieren. Der intellektuelle Rechtsextremismus raunt vom „geheimen Deutschland“ (eine Formel Stefan Georges, der Stauffenbergs letzte Worte vor dem Erschießungskommando gegolten haben sollen) als dem untergründigen Urstrom des Deutschen, das sich gegen „Umvolkung“ oder „Überfremdung“ zu Wehr setze.

Die White-Collar-Rechte der AfD intoniert heute Töne des Unbedingten, wenn sie in einem jüngsten Fraktionspapier zur Bundeswehr die Fähigkeit „zum unerbittlichen Kampf“ und die Festigung „deutscher Werte“ propagiert. Person, Leben und Handeln des Grafen Stauffenberg sind weder auf die Inspirationen eines Dichterfürsten noch auf eine generationsspezifische Geisteshaltung noch auf identitär-völkische Zuschreibungen zu reduzieren. Zweifellos war sein Leben maßgeblich geprägt durch die Einflüsse dreier Sozialmilieus: die süddeutsch-katholische Adelswelt, das Offizierkorps der Reichswehr und späteren Wehrmacht und die lebenslange Verbundenheit mit dem Kreis des Meisters Stefan George. Um ihm gerecht zu werden, sollte man diese Bindungen jedoch nicht als Fesseln, sondern als einen Konflikt- und Möglichkeitsraum verstehen. In diesen Lebensformen und in Auseinandersetzung mit ihnen fand Stauffenberg den Weg in den Widerstand.

Hitler war für ihn ein Narr

Wenn der junge Oberleutnant 1938 für das Offizierkorps eine Teilhabe an der „Gesamtverantwortung“ im Staat beanspruchte, so rüttelte er damit am Klischee des „unpolitischen“ Soldaten. Wie andere in der Militäropposition erkannte er früh, dass die personale Eidbindung an den „Führer“ in dem Moment hinfällig geworden war, als dieser die Grundlagen von Moral und Humanität aufkündigte.

Die Aggressions- und Vernichtungskriege des Regimes, zunächst als Befreiungsschläge begrüßt, stießen seit 1941/42 auf Skepsis und Ablehnung. Die Militäropposition musste erkennen, dass Hitler Kriege ohne Ziel und Ende führte und dabei zu verbrecherischen Mitteln griff. Diese „professionelle Einsicht“ trieb die Verschwörer in der Wehrmacht dazu, den Staatsstreich vorzubereiten. Hitler, folgerte Stauffenberg 1942, war ein „Narr und Verbrecher“.

In den geheimen Gesprächen und Verhandlungen der Verschwörergruppen über die künftige Staatsform zerfielen auch die Unbedingtheiten der preußisch-deutschen Staatsmetaphysik. Selbst wenn sich viele der Akteure, auch Stauffenberg, nie zu lupenreinen Demokraten entwickelten, erkannten und bekräftigten sie die vorpolitischen, sittlichen Voraussetzungen, ohne die eine Demokratiegründung gar nicht erst gelingen würde.

Stauffenberg zündete die Bombe, die Hitler knapp verfehlte. Er wagte die extreme Tat, ein Extremist war er nicht. In diesem Sinne hatte der Stauffenberg-Biograf Thomas Karlauf nun doch wieder recht, als er forderte, der Graf gehöre „in die Mitte der Gesellschaft“; dazu müsse man ihn nicht „zum Gutmenschen präparieren“.

Klaus Naumann ist promovierter Militärhistoriker und Mitherausgeber der Fachzeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik

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