Zerrbild mit Schleier

Schweiz Eine Volksinitiative will ein Verbot von Burka und Niqab im öffentlichen Raum – und bedient damit rassistische Stereotype
Ausgabe 08/2021
Ein Foto mit Seltenheitswert
Ein Foto mit Seltenheitswert

Foto: Geisser/Imago Images

Dunkel, düster und drohend sieht sie aus, die voll verschleierte Frau auf den rot-weiß-schwarzen Plakaten mit der Überschrift „Extremismus stoppen!“. Am 7. März stimmt die Schweiz über das sogenannte „Burka-Verbot“ ab. Sollte die Volksinitiative angenommen werden, dürfen sich muslimische Frauen im öffentlichen Raum nicht mehr mit einer Burka oder einem Niqab verhüllen, vom Verbot ausgenommen wären lediglich Gotteshäuser.

Dass diese Initiative, für deren Kampagne Hunderttausende von Franken investiert werden, völlig unverhältnismäßig ist, steht außer Frage. Von den 200.000 in der Schweiz wohnhaften Muslimas tragen von der allgemeinen Wahrnehmung her keine 50 einen Niqab – und so gut wie niemand eine Burka. Ebenso dürfte unstrittig sein, dass zwischen Kabul und Zürich Welten liegen. Mag der Gesichtsschleier unter Paschtunen in Afghanistan Ausdruck einer Unterdrückung der Frau sein, so tragen ihn die Frauen in der Schweiz freiwillig; sie haben sich bisher politisch auch nicht radikalisiert. Zu diesem Schluss kommt unter anderen der Luzerner Islamwissenschaftler Andreas Tunger-Zanetti in seinem neuen Buch Verhüllung und bestätigt damit vergleichbare Forschungen in Belgien, Dänemark, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden.

An allem ist der Islam schuld

Das alles mag so gar nicht in das Bild passen, das die Urheber der Volksinitiative von der muslimischen Frau und dem Islam zeichnen: das der unmündigen, ungebildeten Muslima, Opfer einer rückständigen Religion und quasi ferngesteuert von sexistischen, vollbärtigen, unberechenbaren Ehemännern. Dass dieses klischierte, unverhohlen rassistische Bild jeder Realität entbehrt oder zumindest dem Selbstverständnis vieler Betroffener zuwiderläuft, spielt keine Rolle, solange es als Stigma zur Ab- und Ausgrenzung funktioniert. Wer derart anders ist, so anders denkt, so anders glaubt, sich so anders kleidet, gehört nicht „zu uns“ – und darf deshalb auch nicht weiter in „unserer Gesellschaft“ sichtbar sein.

Alles unsichtbar zu machen, was – wohlgemerkt von „uns“ – als „muslimisch“ oder „islamisch“ empfunden wird, ist seit Jahren das Ziel der Leute vom Egerkinger Komitee, das hinter der Burka-Initiative steckt. Für sie ist der Islam eine ständige Bedrohung und trägt die Schuld an allem Möglichen. „Wir zielen auf die Muslime“, kommentiert eines der Komiteemitglieder und meint damit nicht etwa Individuen, sondern Mitglieder einer Glaubensgemeinschaft, die mit negativen Eigenschaften versehen werden, oft erfunden oder zumindest überzeichnet, aber in jedem Fall geeignet, die „Anderen“ zu dämonisieren und abzuwerten. So werden, was paradox anmuten mag, diese Menschen als Menschen unsichtbar, indem sie als etwas anderes sichtbar gemacht werden, nämlich als „die Muslime“ – als eine homogene, bedrohliche, monströse Gruppe.

Vier Minarette, ein Verbot

Die vermeintlich „Anderen“ selbst zu Wort kommen zu lassen, das sei unabdingbar, um die Vorurteile aufzubrechen, tönt es immer wieder aus Kreisen, die einem Burka-Verbot kritisch gegenüberstehen. Doch sind in der Schweiz wie auch anderswo die Betroffenen inzwischen offenbar müde, an derlei Diskussionen teilzunehmen. Oder sie fürchten Anfeindungen. Dabei sei nicht vergessen, dass Debatten über Kleidungsvorschriften, die angeblich religiösen Ursprungs sind, primär von uns an sie herangetragen werden. Tatsächlich ist der Gesichtsschleier für viele der 450.000 Muslime in der Schweiz ein Relikt, das in ihrem Alltag gar nicht vorkommt und selbst in der islamischen Kultur zunehmend zum Anachronismus verkommt. Sich gegenüber dem Gesichtsschleier zu positionieren oder, im Fall der Männer, gegenüber dem Vollbart mit rasierter Oberlippe, ergäbe für sie genauso viel Sinn wie die an gewöhnliche Christen gerichtete Frage, was sie mit dem Gewand des Ku-Klux-Klans zu tun haben.

Wie unsere verzerrten Bilder der „Anderen“ am Leben erhalten werden, gehört ins komplexe Feld der Stereotypenforschung. Einer ihrer Pioniere, der Journalist und spätere Propagandist des Neoliberalismus Walter Lippmann (1889–1974), war überzeugt, dass die Medien über eine unvergleichliche Macht verfügen, immer wieder dieselben Vorurteile zu verbreiten und so Feindbilder zu zementieren.

Tatsächlich findet man in der (westlichen) Presse nur selten leidlich gewöhnliche Geschichten von Menschen, die – nebst vielem anderen – muslimischen Glaubens sind: die ihrer Arbeit nachgehen, sich für Kunst interessieren oder für ihre Kinder aufwendige Geburtstagsfeiern arrangieren, Netflix schauen, sich um die Zukunft sorgen, weinen und hoffen – wie wir alle. Stattdessen hören wir, kommt die Rede auf Muslime, nur von: Terror, Gewalt, Extremismus. Was eine solcherart zugespitzte Wahrnehmung bewirkt, hat Lippmann analysiert. Früher oder später, schreibt er in seinem Buch Die öffentliche Meinung (1922), werde der Einzelne keine Macht mehr über Stereotype haben. Sehe man eine Person, die dem Klischee entspricht, würden wie automatisch jene Bilder wachgerufen, die sich in den Köpfen festgesetzt haben. Ob diese der Wirklichkeit entsprechen, ist zweitrangig.

Den Initiatoren eines Burka-Verbots scheint genau das gut zu gelingen. Vor gut zehn Jahren hatte das Egerkinger Komitee bereits eine Abstimmung zu einem Minarett-Verbot auf den Weg gebracht. Damals gab es in der ganzen Schweiz nur vier Minarette, und doch wurde die Initiative von fast zwei Dritteln der Stimmberechtigten angenommen.

Klaus Petrus arbeitet als Fotojournalist und Reporter in der Schweiz und in den Balkanstaaten

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