Medienkongress Das Motto des Kongresses am 8./9. April lautet: "Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt." Wirklich schlimm ist das nicht: Die Praxis der Beteiligung wird bleiben
Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt. Das ist der Leitsatz des Medienkongresses, und der stimmt schon mal. Alle möglichen Leute haben sich die Revolution auf alle möglichen Arten vorgestellt.
Da wären zum Beispiel die einst euphorischen Netzpioniere. Fasst man sie als Gruppe zusammen, lässt sich festhalten: Sie wollten mehr Offenheit, mehr Gegenöffentlichkeit, veränderbare Identitäten, mehr Teilhabe, mehr Vernetzung, kurz: die Wissensgesellschaft. Und was haben sie gekriegt? Mark Zuckerberg. Den Kampf zwischen Facebook, Google und Apple um die Netzhoheit. Neue Überwachungsmöglichkeiten. Die Aushöhlung der Privatsphäre. Amateurpornos, Abmahnanwälte und Anzeigen auf den ersten vier Ergebnisplätzen jeder Google-Suche.
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le-Suche.Na klar, die hatten sich die Revolution anders vorgestellt.Dann gibt es die, die schon immer skeptisch waren. Nicht die, die behaupten, das Internet mache blöd, die muss man nicht ernst nehmen; ebenso gut könnte man behaupten, dass Bibliotheken, Volksfeste, Klassikkonzerte und Fußgängerzonen blöd machen. Es geht um die, die befürchtet hatten, am Ende würde die Kreativität dem Kommerz unterliegen. Die ein Primat des Gehudels über die Recherche heraufziehen sahen, des Gelabers über die Substanz, des Copy über die Originalität. Und was haben sie gekriegt? Die Schwarmintelligenz. Freie Software. Ein ausgefuchstes Creative-Commons-System. Transparenz, Whistleblower-Plattformen und jede Menge wiedergefundene Schulfreunde.Ja, auch die hatten sich die Revolution anders vorgestellt.Und auch in meiner Vorstellung sah Revolution anders aus. Ich war als Teenager überzeugt, dass Revolution mit Mistgabeln zu tun hat; damit, dass eine Masse x durch Spontanaktivität y Präsident z zum Handeln zwingt. Morgens geht‘s los, abends ist Rücktritt.Die digitale Revolution aber erweist sich als beeindruckend langwierig, manchmal fast: langweilig – ständig kommen nur neue Katzenvideos bei Youtube hinzu. Es gibt keinen einzelnen benennbaren Impuls, der, gepaart mit aufgestauter Wut, die Verhältnisse mit einem Schlag zum Tanzen gebracht hätte. Keinen Umsturz mit Fackeln und Sprechchören. Es handelt sich eher um ein stetes Crescendo.Was ist das Einschneidende?Die Revolution haben wir uns also anders vorgestellt. Wie gesagt: stimmt. Das verrät aber erst einmal etwas über unsere Vorstellungen – und nicht über die digitale Revolution. Was also ist an ihr nun das Einschneidende?Zunächst einmal sind da viele Kleinigkeiten: Gedruckte Landkarten bleiben ein toller Wandschmuck, aber mitnehmen muss man sie nicht mehr, wenn man wirklich mal den Weg sucht. Wenn in einem Film jemand in einem Keller eingesperrt wird, muss er der Glaubwürdigkeit halber irgendwann verzweifelt aufs Handydisplay glotzen und sagen: ‚Verdammte Möhre! Kein Empfang!‘ Solche Sachen.Darüber hinaus aber stellt sich die Ära, in der die Massenmedien ein weitgehendes Informationsmonopol hatten, als eine Phase der Geschichte, nicht als ihr Ende heraus. Das kann man schlecht finden – Medienverlage jammern ja gern, sie wüssten nicht mehr, wo die Kohle herkommen soll. Aber wenn man einen Schritt zurücktritt, dann bedeutet dieser Wandel im Grundsatz nicht, dass Qualität durch Quantität, Dienstwagen durch Personalnot oder die Bravo durch Porno verdrängt – sondern erstmal, dass Passivität durch Aktivität ersetzt wurde. In Anlehnung an Lawrence Lessig: Wir lesen nicht mehr nur, wir lesen und schreiben jetzt.Jeder hat das Zeug zum Medium. Jeder kann Leserbriefe veröffentlichen, ohne dass die Redaktion sich die Kürzung vorbehalten dürfte. Nicht die so genannte Vierte, sondern die Fünfte Gewalt – sozusagen die allgemeinöffentliche – war es, die recherchierte, wie viele plagiierte Stellen die Doktorarbeit eines Ministers enthält. Jugendliche in, zum Beispiel, Pirmasens sympathisieren über Facebook mit dem Aufstand ägyptischer Jugendlicher, die ihrerseits Facebook als Kommunikationstool ihrer Zeit verwenden. Sie alle, ob in Pirmasens oder Kairo, sind nicht nur in Pirmasens oder Kairo, sondern immer auch in der Welt.Natürlich, man kann im Internet nicht nur Missstände benennen, sondern auch Stuss verbreiten. Aber das gilt auch für Bücher und Zeitungen. Es gibt Liebesbriefe und Drohbriefe. Im Radio laufen sowohl großartige Wort- und Musikprogramme als auch die ewige Charts-Dauerberieselung.Was man im Internet sehen und lesen kann, ist nicht zwangsläufig gut oder schlecht – das sind falsche Kategorien. Die Digitalisierung bedeutet vielmehr eine Erweiterung des Machbaren. Das Internet ist die Summe aus seinen Nutzern und dem, was sie tun. Autoritäre Regime können das Internet genauso für ihre Zwecke nutzen wie ihre Kritiker. Es kann als Katalysator sozialen Wandels dienen, aber auch zur Einlullung. Das Internet macht keine neue Politik, es ist nicht für oder gegen Guttenberg, nicht für oder gegen Hartz IV. Der Technik ist das egal. Das Netz macht aber das, was wir machen, weil wir – wir Menschen – das Netz sind.Analog, digital, scheißegalWas macht dieses Wir? Es macht, was es schon immer gemacht hat: Es betrügt, lügt, mobbt, spart, sucht Unterhaltung, arbeitet, hört Musik, kauft Schuhe, macht Geschäfte, hinterzieht Steuern, ist unkonzentriert, schreibt schon wieder die Hausaufgaben ab und bedient sich, ob bei Google oder im Zettelkasten, der Einfachheit halber am liebsten der ersten gefundenen Suchergebnisse. Die digitale Revolution hat das Leben insofern nicht grundlegend umgeworfen. Analog, digital, scheißegal.Aus 14-Jährigen hat sie nicht en gros Aktivisten gemacht. Aber die 14-Jährigen von heute sind die Arbeitnehmer, politischen Aktivisten, Regierungschefs und Oppositionspolitiker von morgen. Die digitale Revolution findet heute statt, aber erst morgen wird man sehen, zu was sie führt. Falls im Jahr 2041 etwa Parteibeschlüsse noch von oben nach unten durchgewunken werden, Lobbyorganisationen intransparent vor sich hinwerkeln und Abgeordnete Bürgernähe immer noch nur bei Volksfesten herstellen, wenn gerade ein Fotograf dabei steht, erst dann wird man sagen müssen: Okay, es war doch nur heiße Luft.Was mich angeht, ich glaube das nicht. Die Technik ergänzt die Möglichkeiten zu handeln für die, die sich beteiligen wollen. Das Internet verteilt Macht von oben nach unten um. Der Link untergrabe die Hierarchie, stand schon 1999 im Cluetrain Manifest, das davon handelt, dass sich das Verhältnis von Unternehmen und Kunden dramatisch verändert, was aber auch für Politiker und ihre Wähler gilt. „Wir möchten“, stand im Manifest, „dass ihr uns 50 Millionen genauso ernst nehmt wie einen Reporter vom Wall Street Journal.“ Das Internet verleiht Netzwerken Autorität.Wer in der Zukunft etwas verändern will, sucht sich schon heute ein Netzwerk. Die politische Macht gehe im Internet auf die vielen über, sagt der Psychologe Peter Kruse und folgert: „Das Internet repolitisiert die Welt jenseits der Parteien.“1970 hat der Schriftsteller und Philosoph Hans Magnus Enzensberger dieses Potenzial vorweggenommen. Er sprach den elektronischen Medien eine „mobilisierende Kraft“ zu, sah dieses politische Potenzial aber vom elektronischen Medium Fernsehen nicht erfüllt, sondern unterdrückt: Das Fernsehen, schrieb er, diene „nicht der Kommunikation, sondern ihrer Verhinderung“. Allerdings könne dieser Zustand durch „netzartige Kommunikationsmodelle“ überwunden werden; konkret: „eine Massenzeitung, die von ihren Lesern geschrieben und verteilt wird“ oder „ein Videonetz politisch arbeitender Gruppen“.Die digitale Revolution besteht darin, dass sie eine Infrastruktur der Beteiligung schafft. Jeder kann ein Anschubser werden. Und was wir daraus machen, liegt an uns. Vom Schriftsteller und Fernsehproduzenten Alexander Kluge stammt die These, die Menschen seien „sehr viel klüger als der Firlefanz im Fernsehen“. Nur wer das partout nicht glauben kann, muss schwarzsehen.
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