These: Wer sich kleine Teddybären an den Rucksackreißverschluss hängt, trägt auch ohne Hemmungen Schwarz-Rot-Gold. Is’ natürlich nix Böses. Viele freundliche Menschen ziehen die deutschen Farben zum Länderspielgucken mit der gleichen Selbstverständlichkeit an wie Abendgarderobe, wenn sie mal in die Oper gehen. Weil man das seit ein paar Jahren eben so macht. So entstehen Konventionen.
Es wäre aber der wahrscheinlich erste Fall in der Geschichte der Menschheit, in der die kollektive Nutzung bestimmter Symbole keine Implikationen hätte. Wie auch beim Bärchen: „Kein Personalchef wird einem Menschen einen verantwortungsvollen Posten überlassen, der mit einem Teddybären zum Bewerbungsgespräch kommt“, schreibt Max Goldt und meint, dass der Feminismus unter anderem an diesem Punkt ansetzen müsse.
Deppenchauvinismus
Und was ist mit den Nationalfarben? 2006, während der WM in Deutschland, bewegte sich noch an der Grenze zum Spalter, wer partout darauf bestand, dass es diesen „entspannten Patriotismus“, den damals alle im Mund führten, einfach nicht gab. 2006 war ein Jahr, in dem die Fremdenfeindlichkeit erstmals nach mehreren Jahren nicht anstieg. Auch türkischstämmige Steuerberater in Neukölln hatten schwarz-rot-gold geflaggt. Es war Sommer, und die Interpretation, dass Deutschland sein Schland von ein wenig Deut befreite, war durchaus möglich.
2012 aber, bei der laufenden Europameisterschaft, muss man schon beide Augen zudrücken, wenn man nicht sehen will, dass ein Begriff wie „entspannter Patriotismus“ heute sicher nicht erfunden würde. Mesut Özil, dessen Integration in die Herzen der Fans vor Kurzem noch als Beweis des Wandels galt, wird rassistisch beschimpft.
Durch ukrainische Stadien schallen „Sieg“-Rufe. Der Bundestrainer erklärt ein Spiel der DFB-Elf in Danzig zum „Heimspiel“, weil die Mannschaft dort ihr Quartier bezogen hat, und deutsche Journalisten machen das Zitat zur Überschrift, als wüssten sie nicht genau, welche politische Aufladung es dadurch bekommt. Dazu kommt ein weitverbreiteter Deppenchauvinismus. Deutsche Fans grölen den griechischen vor dem Spiel ihrer Mannschaften zu: „Eure Tickets haben wir bezahlt.“ Und wenn man sich ein Länderspiel am falschen entspannt-patriotischen Ort anschaut, wird man blöd angemacht, wenn man bei der Hymne nicht mitsingt: „Sind hier lauter Ausländer, oder was?“
These: Der entspannte Patriotismus wirkt phasenweise doch etwas verkrampft.
Kommentare 9
Die Studie Ganz entspannt in Schwarz-Rot-Gold? der Sozialpsychologin Dagmar Schediwy zumindest untermauert die These (die des verkrampften Patriotismus, nicht die mit den Teddybären am Rucksack).
Ich bin weder Nationalist oder Patriotist noch empfinde ich in irgendeiner anderen Art und Weise Stolz, der etwas mit meiner nationalen Identität zu tun haben könnte. Dennoch sehe ich viele Diskussionsrunden und Artikel, die sich mit dem Thema des aufkeimenden "neuen Nationalismus" in Deutschland befassen kritisch.
Wenn der Wohnsitz eines Menschen in einer bestimmten Region liegt, und man sich in dieser sozialisiert hat teilt man kulturelles Gut und Werte. Zu diesem gehören nun mal auch sportliche Großereignisse. Mir wäre eine Welt in der sich Gemeinschaften nicht über so etwas schwammiges, gar unnötiges wie Nationen definieren würden auch sympathischer, aber so viel verständlicher finde ich dieses Gefühl der EM oder WM. Menschen leben in- und lieben die Gemeinschaft.
Selbstverständlich ist es bedauernswert, dass diese "nationale" Stimmung während WM/EM von Rechten ausgenutzt wird, dennoch: Die "schlimmste" Partei, die sich nach dem ganzen Euro(pa)-Firlefanz als potenzieller Kandidat für den Bundestag herausgestellt hat, sind die Piraten. Also: Verharmlosen wir nicht rechte Tendenzen die durch solch ausgelassene, nationale Stimmung geschürt können werden sondern gehen entschieden dagegen vor, aber lassen wir die Kirche erstmal im Dorf. In Deutschland gibt es trotz Europakrise und der zunehmenden Akzeptanz der Nationalfarben seit 2006, keine rechtsextremistische Partei, die annähernd den Rückhalt in der Bevölkerung erreicht, wie in den Niederlanden oder Frankreich. Wenn man ein Grund haben will, um Heute im Deutschlandtrikot vor die Tür zu gehen, da ist er.
Mir scheinen die Texte der Schwarz-Rot-Gold-Kritiker eher so etwas wie "Rückzugsgefechte" (Auweia, militaristische Metapher) zu sein, gerade weil die Benutzung der nationalen Symbole in Deutschland in den letzten Jahren so selbstverständlich geworden ist wie in jedem anderen europäischen Land. Verkrampft ist nicht der entspannte Nationalismus, sondern die Kritik daran.
Dabei geht, wie auch in diesem Text, eine wirklich brisante Tendenz fast unter, die hier in dem Zitat "Eure Tickets haben wir bezahlt" genannt wird. Aber dagegen hilft keine Schwarz-Rot-Gold-Kritik, dagegen würde nur glaubwürdige Politik und auch glaubwürdige Öffentlichkeit helfen, in der Politiker und Bürger zu ihrer jeweiligen Verantwortung für die aktuellen Probleme stehen. Aber das ist ein ganz anderes Thema.
Lieber Jörg Friedrich, man kann das gerne auf vielerlei Art durchdeklinieren. Monokausal – à la: Der Deutsche grenzt sich ab, weil er in Schwarz-Rot-Gold auf Fanmeilen feiert – sicher nicht. Andererseits halte ich es für einen Fehlschluss, etwas deshalb unkritisierbar zu finden, weil es bereits so selbstverständlich ist.
Es geht ja nicht darum, Fanmeilenbesuchern, die ein DFB-Trikot mit derselben Freude am Sportgroßereignis tragen, wie sie im Mai noch ein Bayern-München-Trikot trugen, das Recht auf ein lustiges Gemeinschaftserlebnis abzusprechen. Dahinter steht sicher auch eine Eventbegeisterung, die mit dem Turnierende abklingt (und die vielleicht auch wieder kleiner würde, wenn das DFB-Team zweimal nacheinander richtig schlecht spielen und in der Vorrunde ausscheiden würde). Aber dass nationale Symbolik immer noch nationale Symbolik bleibt und ihre selbstverständliche Nutzung für neue Narrative sorgt, die nicht nur fröhlich und positiv sind, das sieht man ja doch bei dieser EM für meine Begriffe sehr deutlich. Ich nehme an, Sie wollen nicht wirklich einen "entspannten Nationalismus" verteidigen, aber falls doch, dann verbleibe ich gerne als Ihr hochgradig Verkrampfter.
"In Deutschland gibt es trotz Europakrise und der zunehmenden Akzeptanz der Nationalfarben seit 2006, keine rechtsextremistische Partei, die annähernd den Rückhalt in der Bevölkerung erreicht, wie in den Niederlanden oder Frankreich. Wenn man ein Grund haben will, um Heute im Deutschlandtrikot vor die Tür zu gehen, da ist er. "
Das liegt aber soch nur daran, dass in Deutschland die politische 'Mitte' es verstanden hat, die menschenverachtenden Positionen zu integrieren, die anderswo an den formalen rechten Rand marginalisert worden sind. Meine persönliche Erfahrung ist es, dass der alltäglöiche Rassismus hierzulande sich parteipolitisch übergreifend ausdrückt, die meisten Menschen, die sich derart äußern, weil sie eben so sozialisert wurden, wählen andererseits mittig, da die offene Identifikation mit rechtsradikalen Parteien weitgehend tabuisiert ist, auch als Folge der deutschen Geschichte, da sich hier der Rechtsextremismus wie nirgends sonst diskreditiert hat. Die mittige politische Identifikation dient ja auch dazu, den eigenen alltäglichen Rassismus und Chauvinismus zu maskieren und somit zu legitimieren.
"Nationalismus" ist ja ein weiter Begriff und ich sehe eigentlich nicht, dass ein "entspannter Nationalismus" sich irgendwie vom Patriotismus unterscheiden lässt. Der Begriff "Patriotismus" ist natürlich unpräzise genug um jedem Streit aus dem Wege gehen zu können, während der Nationalismus das eintscheidende Wort, um das es letztlich geht, im Namen führt.
Wer den schwarz-rot-goldenen entspannten Nationalismus der Kritik unterzieht sollte sich mit der Frage beschäftigen, woher diese Farben kommen, und wogegen sie sich behauptet haben. Schwar-Rot-Gold sind die Farben der Demokratie und der Freiheit, der Bürgerrechte und der Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Das Kaiserreich und die Nazis verwendeten diese Farben nicht und versuchten sie zu diffamieren.
Wer Demokratie und Freiheit wünscht sollte bei so viel Schwarz-Rot-Gold in den Straßen wahre Freude empfinden und sollte diese Farben gerade nicht den Feinden der Demokratie überlassen.
Sehr gut hier zur Übersicht:
http://de.wikipedia.org/wiki/Schwarz-Rot-Gold
http://de.wikipedia.org/wiki/Nationalismus
Vielleicht ist es beruhigend, dass die wirklich verschärften Nationalisten mit der gegenwärtigen flächendeckenden Beflaggung gar nicht so zufrieden sind. So schreibt Moritz Schellenberg in der "Blauen Narzisse", einem rechtsradikalen Internetportal für Schüler und Studenten, über seine Enttäuschung, dass auf der Berliner Fanmeile auf der Straße des 17. Juni am 17. Juni (gerade jenem Tag, den sich die extremen Rechten aus unverständlichen Gründen zu einem neuen Tag der Ehre erkoren haben) nur ein Drittel der Anwesenden und dann auch noch mitten im Lied in die Hymne eingestimmt hätte. Offensichtlich kennen viele die Zeile "von der Etsch bis an die Memel" gar nicht mehr. Skandal! Nicht viel besser ist es allerdings mit dem Geschichtsverständnis des Autors her, wenn er meint, der sowjetische Panzer im Tiergarten erinnere an den 17. Juni. Nicht einmal zum Schluss, als zumindest in der S-Bahn einige Leute "Heute darf ich Nazi sein" grölten, war er zufrieden. So muss er resümieren: "Die wahren Patrioten sind noch immer in Schreibstuben, Bibliotheken und an Rednerpulten zu suchen."
Möglicherweise hat er damit ein kleines bisschen recht, und eine antinationalistische, antirassistische Kritik sollte sich nicht allein auf die oberflächlich Flaggetragenden der Fanmeilen konzentrieren, sondern auch auf die verschärften Schreibtischtäter.
tja, man mag es wenden, wie man will, patriot gibt einen reim auf idiot.
Ball flach halten Leute. Das hängt alles nicht so hoch.