Das Deut gehört wieder zum Schland

Alltagskommentar Das Sommermärchen hat ausgedient: Wer 2012 entspannt patriotisch sein will, wirkt eher ein bisschen verkrampft: Oder singen Sie etwa nicht die Hymne?
Ein deutscher Fan mit preußischer Pickelhaube in Gdansk, vor dem Viertelfinalspiel Deutschland-Griechenland
Ein deutscher Fan mit preußischer Pickelhaube in Gdansk, vor dem Viertelfinalspiel Deutschland-Griechenland

Foto: Christoph Stache/AFP

These: Wer sich kleine Teddybären an den Rucksackreißverschluss hängt, trägt auch ohne Hemmungen Schwarz-Rot-Gold. Is’ natürlich nix Böses. Viele freundliche Menschen ziehen die deutschen Farben zum Länderspielgucken mit der gleichen Selbstverständlichkeit an wie Abendgarderobe, wenn sie mal in die Oper gehen. Weil man das seit ein paar Jahren eben so macht. So entstehen Konventionen.

Es wäre aber der wahrscheinlich erste Fall in der Geschichte der Menschheit, in der die kollektive Nutzung bestimmter Symbole keine Implikationen hätte. Wie auch beim Bärchen: „Kein Personalchef wird einem Menschen einen verantwortungsvollen Posten überlassen, der mit einem Teddybären zum Bewerbungsgespräch kommt“, schreibt Max Goldt und meint, dass der Feminismus unter anderem an diesem Punkt ansetzen müsse.

Deppenchauvinismus

Und was ist mit den Nationalfarben? 2006, während der WM in Deutschland, bewegte sich noch an der Grenze zum Spalter, wer partout darauf bestand, dass es diesen „entspannten Patriotismus“, den damals alle im Mund führten, einfach nicht gab. 2006 war ein Jahr, in dem die Fremdenfeindlichkeit erstmals nach mehreren Jahren nicht anstieg. Auch türkischstämmige Steuerberater in Neukölln hatten schwarz-rot-gold geflaggt. Es war Sommer, und die Interpretation, dass Deutschland sein Schland von ein wenig Deut befreite, war durchaus möglich.

2012 aber, bei der laufenden Europameisterschaft, muss man schon beide Augen zudrücken, wenn man nicht sehen will, dass ein Begriff wie „entspannter Patriotismus“ heute sicher nicht erfunden würde. Mesut Özil, dessen Integration in die Herzen der Fans vor Kurzem noch als Beweis des Wandels galt, wird rassistisch beschimpft.

Durch ukrainische Stadien schallen „Sieg“-Rufe. Der Bundestrainer erklärt ein Spiel der DFB-Elf in Danzig zum „Heimspiel“, weil die Mannschaft dort ihr Quartier bezogen hat, und deutsche Journalisten machen das Zitat zur Überschrift, als wüssten sie nicht genau, welche politische Aufladung es dadurch bekommt. Dazu kommt ein weitverbreiteter Deppenchauvinismus. Deutsche Fans grölen den griechischen vor dem Spiel ihrer Mannschaften zu: „Eure Tickets haben wir bezahlt.“ Und wenn man sich ein Länderspiel am falschen entspannt-patriotischen Ort anschaut, wird man blöd angemacht, wenn man bei der Hymne nicht mitsingt: „Sind hier lauter Ausländer, oder was?“

These: Der entspannte Patriotismus wirkt phasenweise doch etwas verkrampft.

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